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Neue Debatte um Leuchtturm-Politik in Sachsen

Vor allem die modernen 300-mm-Fabriken von TSMC sind stark ausgelastet. Foto: TSMC

TSMC will für den Bau einer Chipfabrik in Dresden laut Bloomberg eine besonders hohe Subventionsquote von 50 Prozent. Derartige Milliardenflüsse für wenige Großkonzerne stoßen dem sächsischen Mittelstand bitter auf. Foto: TSMC

Unternehmerverband kritisiert Milliardenflüsse für Großansiedlungen / IHK: Leuchtturmpolitik hilft, in Sachsen größere, stärkere Strukturen zu schaffen

Dresden/Leipzig, 9. Juni 2023. Angesichts der jüngsten Milliarden-Subventionen für Halbleiter-Fabriken und wenige andere ausgewählte Technologie-Betriebe ist erneut eine Debatte um die „Leuchtturm-Politik“ in Sachsen, also die gezielte Förderung von hochtechnologie-orientierten Großansiedlungen im Land, entbrannt. Die Lagergrenzen ziehen sich dabei quer durch die Wirtschaft.

Verband: Politik und Konzerne entziehen den Kleinen zunehmend Existenzgrundlage und Innovationskraft

So hat der „Unternehmerverband Sachsen“ aus Leipzig in einem offenen Brief den wirtschaftspolitischen Fokus der Landesregierung auf Großansiedlungen kritisiert und vor einem „Überbietungswettkampf bei den Subventionen“ gewarnt. Dagegen werde durch immer neue und oft sehr sprunghafte politische Entscheidungen, aber auch durch die personelle Sogkraft öffentlicher Verwaltungen und weniger Großunternehmen „den kleinen und mittelständischen Unternehmen, die 99,8 Prozent Wirtschaftskraft in Sachsen stellen und damit mehr als 2/3 aller Umsätze erzielen, zunehmend die Existenzgrundlage und Innovationskraft entzogen“. Sie verweisen auf Beispiele wie Lieferkettengesetz, Industriestrompreis-Diskussion, Datenschutz-Auflagen, Lohnsteigerungen, aber auch den mittlerweile existenzbedrohenden Fachkräfte-Mangel.

Kristian Kirpal. Foto: Anja Jungnickel für die IHK zu Leipzig

Kristian Kirpal. Foto: Anja Jungnickel für die IHK zu Leipzig

Auch Kammern fordern mehr „Verlässlichkeit politischer Entscheidungen“

In vielen Punkten könne man dem Unternehmerverband da nur recht geben, erwidern nun die Industrie- und Handelskammern (IHK) Dresden, Leipzig und Chemnitz auf eben diesen „offenen Brief“: „mehr Wertschätzung für Unternehmertum und Selbstständigkeit, weniger Bürokratie, eine schnelle und moderne Verwaltung, die insbesondere das gemeinsame Ermöglichen im Blick hat, oder die Verlässlichkeit politscher Entscheidungen im Kontext von Planungssicherheit für Unternehmen sind von ganz herausragender Bedeutung“, zählt der Leipziger IHK-Präsident Kristian Kirpal solche gemeinsamen Kritikpunkte auf.

IHK-Präsident: Von jeder Großinvestitionen profitiert nachweislich das Umfeld

Kirpal betont aber auch, dass die Leuchtturm-Politik in Sachsen gute Gründe habe: Im Vergleich etwa zu Süd- oder Westdeutschland sei die Unternehmensstruktur in Sachsen auch über 30 Jahre nach der Wende immer noch zu sehr von Klein- und Kleinstfirmen geprägt. „Gemeinsames Ziel aller relevanten Akteure muss es sein, größere und schlagkräftigere Strukturen zu schaffen, und eine gute Balance zwischen den unterschiedlichen Betriebsgrößen herzustellen“, argumentiert Kirpal. Und dazu gehöre eben auch, große Unternehmen im Freistaat anzusiedeln, möglichst auch Unternehmenszentralen hier zu etablieren, „um weniger von strategischen Entscheidungen abhängig zu sein, die teils Tausende Kilometer entfernt getroffen werden“. Und: „Zudem profitieren von jeder Großinvestition nachweislich auch kleinere Unternehmen am Standort und in der Region als Zulieferer, Dienstleister oder Kooperationspartner. Beispiele, etwa aus dem Halbleiter- und Automotivbereich, gibt es viele.“

Das VW-Werk Zwickau montiert das Audi-Elektroauto "Q4 e-tron". Foto: Audi

Blick ins VW-Werk Zwickau – eines der Leuchtturm-Projekte, für die in den 1990ern das Biedenkopf-Kabinett das wirtschaftspolitische Fundament gegossen hatte. Foto: Audi

Schon Kabinett Biedenkopf stellte Weichen in Richtung Großansiedlungs-Akquise

In den Jahren nach der Wende hatte erst das Kabinett Biedenkopf und dann auch die Nachfolge-Regierungen in Dresden große Anstrengungen unternommen, große Unternehmen wie Siemens beziehungsweise Infineon, AMD beziehungsweise Globalfoundries, Bosch, Volkswagen und BMW nach Sachsen zu holen, um hier „Leuchttürme“ zu schaffen, um die herum sich eine starke Zuliefer- und Abnehmerindustrie bilden kann. Diese Strategie hat – im Vergleich zu den meisten anderen ostdeutschen Bundesländern – für Sachsen auch recht gut funktioniert. Allerdings haben die hohen Subventionen, die dabei immer wieder geflossen sind, bereits mehrfach zu kritischen Debatten geführt: So betonten Vertreter aus dem sächsischen Mittelstand bereits mehrfach, dass auch sie solche Fördergelder brauchen könnten.

Prof. Reint Gropp. Foto: Fotowerk BF für das IWH

Prof. Reint Gropp. Foto: Fotowerk BF für das IWH

Und: Erst kürzlich hatte der Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Reint E. Gropp, die Milliardensubventionen für Arbeitsplätze in der Chipindustrie ganz generell in Frage gestellt. Viel sinnvoller sei es, das Geld des Steuerzahlers in Innovationsprojekte zu stecken, argumentierte er – erntete dafür allerdings auch Kritik vom sächsischen Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) und vom Branchenverband Silicon Saxony.

Milliardenzuschüsse für Infineon, Intel & Co., Fachkräftemangel und Flut immer neuer Auflagen sorgen für Frust im Mittelstand

Dass diese Debatte nun wieder aufgelodert ist, dürfte mit zwei Trends zusammenhängen: Einerseits haben die Subventionen für neue Chipfabriken und andere Schlüsseltechnologie-Projekte inzwischen in Höhe und Quoten schwindelerregende Höhen erreicht: Intel beispielsweise will 40 Prozent der Chipfabrik-Kosten in Magdeburg vom Staat als Zuschuss bekommen, Infineon in Dresden will 20 Prozent – und in jedem Fall fließen Milliardensummen. Und wie der Gerüchteküche zu entnehmen ist, pokert der taiwanesische Halbleiterkonzern TSMC sogar noch höher und will laut „Bloomberg“ gar die Hälfte seiner geplanten Chipfabrik-Investitionen in Dresden vom Staat bezahlt bekommen.

Immer neue Auflagen von den Politikern

Andererseits bürden vor allem EU und Bund der Wirtschaft immer neue Zusatzaufgaben, Auflagen und letztlich Extrakosten auf. Dazu gehören die Datenschutzgrund-Verordnung, das Lieferkettengesetz mit seinen weitreichenden Forderungen, die Arbeitsbedingungen in weit entfernten Zulieferbetrieben zu überwachen und zu verändern, zahlreiche Arbeitszeit-Dokumentationen, Mindestlohn-Gesetz, zahlreiche Umweltauflagen, Heizungsverordnungen, Corona-Auflagen und dergleichen mehr. All dies ist für Konzerne mit viel Personal vielleicht noch zu leisten, doch viele kleine und mittelständische Betriebe können so viele Zusatzaufgaben kaum noch leisten.

„Konkurrenz durch Konzerne und öffentlichen Dienst ist übermächtig“

Hinzu kamen zuletzt die stark gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise sowie die sich fortwährend verschärfenden Probleme vor allem in kleineren Betrieben, die nicht so hohe Löhne wie Konzerne und Behörden zahlen können, offene Stellen überhaupt noch zu besetzen. Gerade letzteren Punkt hat der Unternehmerverband Sachsen in seinem „offenen Brief“ noch einem gesondert betont: „Die Fachkräfte- und Mitarbeitersuche stellt die kleinen und mittelständischen Unternehmen zunehmend vor unlösbare Probleme“, heißt es da. „Die Konkurrenz durch Konzerne und den öffentlichen Dienst ist übermächtig.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Unternehmerverband Sachsen, sächsische IHKern, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt