Mit dem alten Waggonwerk 1 ist nun auch eine Zwischenlösung für das wachsende Institut gefunden
Görlitz/Dresden, 13. Dezember 2022. Den sächsischen Helmholtz-Forschern ist es – trotz gewisser Anfangsskepsis – gelungen, auch Top-Wissenschaftler aus aller Welt für das noch junge „Center for Advanced Systems Understanding“ (Casus) in Görlitz zu gewinnen. „Wir haben hier ein interdisziplinäres Zentrum aufgebaut und dafür die besten Leute nach Görlitz geholt“, betonte Casus-Wissenschaftschef Dr. Michael Bussmann während einer Tagung über Künstliche Intelligenz in Sachsen im Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR). Die anfänglichen Bedenken, das grenznahe Görlitz mit seinen rund 55.000 Einwohnern sei zu abgelegen, um Spezialisten aus Amerika, China, Indien und andere Ländern anzulocken, haben sich insofern nicht bewahrheitet. Und mittlerweile bahnt sich im ehemaligen Görlitzer Waggonbauwerk Nr. 1 auch eine Zwischenlösung mit 65 neuen Arbeitsplätzen für den Raummangel in dem rasch wachsenden Institut an.
Komplexe Systeme wie Klima, Neutronensterne und Medizin-KI im Fokus
Seit der Gründung 2019 ist das Casus-Team mittlerweile auf über 70 Forscher aus 25 Nationen gewachsen. „Wir sind superglücklich, wie gut uns das bisher gelungen ist“, betont Casus-Sprecher Dr. Martin Laqua. Er führt das vor allem auf die wegweisenden Forschungsthemen und exzellenten wissenschaftlichen Möglichkeiten am Casus zurück: Immerhin können die Astrophysiker, Mathematiker, Klimaexperten, Systembiologen, Verkehrsforscher, Datenanalysten und andere Fachleute von Görlitz aus beispielsweise auf die schnellsten Supercomputer der Welt zugreifen, aber auch an den teils einzigartigen Großforschungsanlagen des Mutterinstituts HZDR zugreifen. Und das Spektrum der Fragen, denen die Teams damit nachgehen können, ist ebenso breit wie auch anspruchsvoll: Wie lassen sich neue Algorithmen für den Kampf gegen Pandemien einsetzen? Was passiert im kosmischen Umfeld von Schwarzen Löchern und Neutronensternen? Wie funktioniert das „System Erde? Wie verhält sich Materie unter extremen Bedingungen? Wie können Künstliche Intelligenzen (KI) Ärzten in kleineren Kliniken helfen, die richtigen Therapien für ihre Patienten zu finden?
Casus hat Spitzenforscher aus 20 Nationen eingesammelt
Um diese und weitere Themenfelder zu beackern, suchen Bussmann und sein Team ständig neue Spitzenkräfte und haben auch schon allerlei Preise eingeheimst. Erst kürzlich haben sie beispielsweise den spanischen Physiker Dr. Ricardo Martínez-García an Bord geholt, der auf die komplexe Interaktion von Zellen in Organismen spezialisiert ist. Und ebenfalls erst kürzlich hat Casus-Nachwuchsforscher Dr. Tobias Dornheim ein millionenschweres Stipendium („ERC Starting Grant“) vom Europäischen Forschungsrat bekommen.
Der Forscher von heute ist auch Programmierer in eigener Sache
Als wichtiges Rezept für solche Erfolge sieht Dr. Bussmann in der interdisziplinären und internationalen Zusammensetzung „seiner“ Forschungsgruppen, aber auch der besonderen Werkzeug-Expertise in den Kollektiven: „Wer hierher kommt, ist nicht nur gut in der Forschung, sondern kennt sich auch mit Computing aus und hat ein exzellentes Methodenwissen.“ Gemeint ist damit: Wer heute in den vom Casus verfolgten Forschungslinien erfolgreich sein will, der muss zum Beispiel auch selber programmieren können, muss wissen, wie in der kurzen zugeteilten Zeitscheibe aus einem Supercomputer das Maximum herausholen kann. „Wenn wir unsere Codes laufen lassen, steigt die Leistungsaufnahme schnell mal auf acht Megawatt“, erzählt der Wissenschaftschef. Unter anderem deshalb arbeiten Spitzen-Nachwuchsforscher wie eben Tobias Dornheim am Casus gerade daran, wie sie solche Programme auch auf Notebooks lauffähig bekommen.
30 Arbeitsplätze für 70 Forscher
Doch die dynamische Casus-Entwicklung hat auch ihre Kehrseite: Am Gründungsdomizil am Görlitzer Untermarkt drängen sich theoretisch bereits über 70 Forscher an rund 30 Arbeitsplätze. Zwar arbeiten in der Praxis viele von ihnen daheim oder am HZDR, doch das ist keine Dauerlösung für ein Institut, das in den nächsten Jahren eine etwa 100-köpfige Belegschaft anpeilt. Eigentlich ist mit dem ehemaligen Görlitzer Kondensatorwerk am Neiße-Ufer auch schon längst ein passendes größeres Domizil gefunden.
Doch inzwischen ist bereits absehbar, dass die Sanierung der alten Fabrik teurer sein und länger dauern werde als anfangs gedacht, wie Casus-Aufbaudirektor Prof. Roland Sauerbrey auf Oiger-Nachfrage einräumte. Der Aufwand, um das denkmalgeschützte Gebäude in Schuss zu bringen, habe sich als erheblich herausgestellt. Vermutlich werde es daher nun auch etwas länger dauern, bis die Wissenschaftler ans Flussufer umziehen können.
Komplexe Systeme statt Eisenbahnwagen
Immerhin ist nun eine Interimslösung gefunden, damit der Platzmangel nicht das weitere Casus-Wachstum ausbremst: Derzeit richten Arbeiter das ehemalige „Werk 1“, das früher zum Waggonbau Görlitz gehörte, für die Wissenschaftler her, berichtet Casus-Sprecher Martin Laqua. 2023 soll ein Teil der Forscher dann diesen Zweistandort mitnutzen können. Dort sollen für sie dann 65 zusätzliche Arbeitsplätze zur Verfügung stehen.
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: KI-Tagung im HZDR, Auskünfte Sauerbrey, Bussmann, Laqua, Casus
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