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Funken am Rande des Chaos

Professor Leon Chua beim Gastvortrag an der TU Dresden. Foto. Heiko Weckbrodt

Professor Leon Chua beim Gastvortrag an der TU Dresden. Foto. Heiko Weckbrodt

Memristor-Erfinder Leon Chua: Der analoge Weg führt zur 1. Gehirnmaschine

Dresden, 24. Januar 2018. Viele Unternehmer und Wirtschaftspolitiker sprechen derzeit von den Chancen der Digitalisierung. Aber ist die Zukunft wirklich digital oder vielleicht doch analog, nach dem Vorbild der Natur? Damit rechnet zumindest der US-amerikanische Elektroningenieur und Elektronik-Vordenker Prof. Leon Chua von der University of California. Bei einem Gastvortrag „Local Activity and the Edge of Chaos“ in der TU Dresden erklärte er am Dienstagabend: Um „gehirn-ähnliche Maschinen“ mit echter, nicht nur vorgespiegelter „Künstlicher Intelligenz“ zu bauen, brauche man gehirnähnliche Elektronik. Die Bausteine dafür seien nicht Digital-Prozessoren und Speicherchips im heutigen Sinne, sondern synapsen-ähnliche „Memristoren“. Und die könne man zu „Zellularen Neuronalen Netzwerken“ (englisch CNN abgekürzt) verschalten, die Muster „am Rande des Chaos“ erkennen können.

Memristoren merken sich wie Synapsen frühere Anregungen

Als Chua die genannten Memristoren 1971 theoretisch entwarf, klang dieses Konzept noch recht phantastisch: Sie sind Speicher (Memory) und Widerstand (Resistor) in einem und „merken“ sich, welcher Strom in der Vergangenheit durch sie hindurch geflossen ist – und verändern damit ihren Widerstand gegen neue Ströme in der Zukunft. Sprich: Ähnlich wie die Synapsen neigen sie zu mehr Aktivität, wenn sie oft angeregt werden. Und anders als heutige Digitalcomputer, die Speicher und Rechenwerk streng trennen („Von-Neumann-Architektur“), können die Synapsen im Gehirn und die Memristoren im Analogcomputer Speicher und Prozessor gleichermaßen sein.

1971 theoretisch vorhergesagt, 2007 erstmals realisiert

Erst 36 Jahre nach Chuas Konzeptvorstellung stellten Physiker die ersten Memristoren her, inzwischen messen diese Bauteile nur noch wenige Nanometer. Auch erste Beispiele für Zellulare Neuronale Netzwerke, mit denen später Memristoren verschaltet werden sollen, gibt es schon. So führte Chua in der TU ein Hochgeschwindigkeits-Video vor, in dem detailliert zu sehen ist, wie ein Schuss einen Apfel trifft. Das besondere daran: Aufgenommen wurde es nicht mit einer winzigen Kamera, die nicht mal 200 Bildpunkte im Quadrat aufnimmt und mit weniger als ein Watt Energieverbrauch auskommt. Denn anders als digitale Highend-Kameras nimmt dieses System nicht jedes Einzelbild in epischer Breite auf, sondern konzentriert sich nur auf die Fluktuationen, auf die Muster im Bildchaos. „Und da ist nichts digital, alles analog“, sagt Chua. Für Filme in hervorragender Bildqualität sind CNN-Systeme damit nicht geeignet – aber für sehr schnelle Bilderkennung.

Gibt es Ausnahmen vom 2. Hauptsatz der Thermodynamik?

Das Konzept dahinter entstand aus einem alten Wissenschaftsrätsel: Wenn es stimmt, was Lord Kelvin und die deutschen Physiker Max Planck und Rudolf Clausius im zweiten Hauptsatz der Thermodynamik postulierten, dann neigt die Welt – vereinfacht gesagt – systematisch dem Chaos zu. Tatsächlich aber entstehen immer wieder Muster im „Einheitsbrei“, formen sich Sonnen aus kosmischen Nebeln, entstehen Flecken auf dem Fell des Leoparden, bilden sich Y-Muster in Wüstendünen. „Lokale Aktivitäten“, kleine „Fluktuationen“ oder „Symmetriebrüche am Rande des Chaos“, die sich unter besonderen Bedingungen zu Strukturen verstärken können, sind für solche Ausnahmen vom Zweiten Hauptsatz verantwortlich, meint Chua. Und er ist überzeugt: Gelingt es den Ingenieuren, einen Computer aus Memristoren zu bauen, richtig zu verschalten und lokale Aktivitäten anzustoßen – dann haben wir unsere Singularität: eine erste echte „Künstliche Intelligenz“.

Autor: Heiko Weckbrodt

Weitere Gastvorträge von Leon Chua an der TU Dresden:

  • „Everthing you wish to know about memristors but are afraid to ask”, 28. Februar 2019, 13.30 Uhr
  • “10 things you didn’t know about memristors”. 5. März 2018, 10 Uhr
  • “10 more things you didn’t know about memristors”, 19. März, 10 Uhr

Alle Vorträge finden im Görges-Bau, Helmholtzstr. 9, Raum 226/H in englischer Sprache statt.

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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