Dresden/Radebeul, 9.1.2012: Einladend sieht anders aus. Schwere Stahltüren öffnen den Blick in einen Fußgängertunnel. Ummantelt von nüchternen Betonplatten und grell ausgeleuchtet von künstlichem Licht wirkt die Passage wie ein Bunkertrakt. Eine Frau rennt quer durchs Bild: Hat Sie Angst vor nächtlichen Verfolgern oder will sie nur ihre Straßenbahn nicht verpassen? „Run!“ ist nur eine von vielen bemerkenswerten urbanen Szenarien, die Jan Gütter mit seiner Kamera eingefangen und in seinem Internet-Tagebuch (Blog) namens „Film-Riss“ veröffentlicht hat.
„Anfangs habe Landschaften und Architektur fotografiert, aber das wurde mir zu langweilig“, sagt der 41-Jährige Gütter, der in Radebeul lebt und für eine Dresdner Hightech-Firma arbeitet – ein Job, bei dem er in der Welt herum kommt. „Ich habe mich dann auf Straßenszenen konzentriert, auf Momentanaufnahmen vor allem des Stadtlebens.“ Wichtig sei es ihm geworden, „die ungewöhnliche Perspektive“ zu finden, mit seiner Spiegelreflexkamera „Nikon D700“ und seiner „Fujifilm FinePix X 100“ zu Orten zu gehen, „wo sonst kaum einer hinkommt.“
Das ist ihm auch gelungen: Wo andere beim Radebeuler Spitzhaus an die Aussicht ins Elbtal oder Treppenläufe denken, ist Gütter abseits der Wege vorgedrungen, hat einen verrümpelten Weg entdeckt, der aussieht wie eine Szene aus Tarkoswkis Endzeitparabel „Stalker“. Ein anderes Bild zeigt einen bejahrten Mann, der am Dresdner Hauptbahnhof neben Reklame und einem Papierkorb eine Bank gefunden hat. Liest er die Boulevard-Zeitung in seinen Händen oder ist er darüber eingeschlafen? Die Zeit scheint in der Schwarz-Weiß-Fotografie wie eingefroren.
Schon als Kind habe er sich für Fotografie interessiert, erzählt Gütter. „Meine erste Knipse war eine Beirette aus DDR-Produktion, da war ich zehn Jahre alt.“ Anfangs habe er nur drauflosgeknippst, erst mit der Zeit begann sich sein Gefühl für Motive zu entwickeln. In den 1990er Jahren arbeitete Gütter dann auch als Journalist bei den „Dresdner Neuesten Nachrichten“ (DNN).
Als er den Jobs wechselte, habe er den Journalismus vermisst, erinnert er sich. „Für mich war das Internet die Chance, das privat weiterzumachen, was ich mit den DNN aufgeben musste: zu fotografieren, journalistisch zu schreiben, zu publizieren.“
2009 richtete er deshalb seinen Blog „Film-Riss“ ein, den er gemeinsam mit zwei ebenfalls fotografierenden Freunden füllt. „Ich mache das nicht, um auf hohe Zugriffszahlen zu kommen, sondern aus Spaß – und um meinen Freunden und Bekannten zu zeigen, was es alles zu entdecken gibt“, sagt Gütter. „Manchmal schreibe ich auch ein paar Zeilen dazu auf, manchmal wird sogar eine richtige Geschichte daraus.“ Und das kann auch Teamwork sein: Einmal habe ein Freund von ihm eine Kurzgeschichte angefangen und dann gesagt: So mach, was draus – und so geschah es. Heiko Weckbrodt
Ihre Unterstützung für Oiger.de!
Ohne hinreichende Finanzierung ist unabhängiger Journalismus nach professionellen Maßstäben nicht dauerhaft möglich. Bitte unterstützen Sie daher unsere Arbeit! Wenn Sie helfen wollen, Oiger.de aufrecht zu erhalten, senden Sie Ihren Beitrag mit dem Betreff „freiwilliges Honorar“ via Paypal an:
Vielen Dank!