Geschichte

Der rote Baron vom Weißen Hirsch

Der 16-jährige Manfred von Ardenne präsentierte 1933 eine von ihm verbesserte Braun'sche Röhre - eine Schlüsselkomponente für die Entwicklung des elektronischen Fernsehens. Fotograf unbekannt, Quelle: ADN, Bundesarchiv, Wikipedia, CC3-Lizenz

Der 16-jährige Manfred von Ardenne präsentierte 1933 eine von ihm verbesserte Braunsche Röhre – eine Schlüsselkomponente für die Entwicklung des elektronischen Fernsehens. Fotograf unbekannt, Quelle: ADN, Bundesarchiv, Wikipedia, CC3-Lizenz

Vor 60 Jahren gründete Manfred von Ardenne in Dresden das einzige private Forschungsinstitut der DDR

Dresden, 27. Mail 2015. Manfred von Ardenne (1907-1997), in der DDR oft auch „Der rote Baron“ genannt, war eine widersprüchliche Persönlichkeit: Manche beschreiben ihn als Quertreiber, andere als Opportunisten, als genialen Autodidakten oder als „Nicht so ganz“-Wissenschaftler“, als scharfen Analytiker oder unbescheidenen Rechthaber. Von Ardenne erfand das elektronische Fernsehen und das Elektronenmikroskop. Er half mit, dass Stalin seine Wasserstoffbombe bekam. Später führte er das einzige private Forschungsinstitut der DDR auf dem Weißen Hirsch in Dresden. Nun, 60 Jahre nach der Gründung dieses Instituts, dieses marktwirtschaftlichen „Fremdkörpers“ inmitten der ostdeutschen Zentralverwaltungswirtschaft, hat das Urania-Vortragszentrum Dresden dem roten Baron und seinem Werk ein Symposium gewidmet.

Berghofer: „Manchmal war er fast autistisch“

Als „eine der herausragendsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts“ charakterisierte beispielsweise Wolfgang Berghofer, der letzte SED-Oberbürgermeister von Dresden, den Baron vom Weißen Hirsch. Der habe in den 1980er Jahren immer deutlicher auf die Schwächen des DDR-Wirtschaftssystems hingewiesen – aber eben hinter verschlossenen Türen. Indes seien auch die Schwächen Ardennes gelegentlich sichtbar geworden. „Manchmal war er fast autistisch“, erinnert sich Berghofer.

Von-Ardenne-Chef Robin Schild, Ex-OB Wolfgang Berghofer und Alexander von Ardenne (von links nach rechts) beim Urania-Symposium zu Ehren Manfred von Ardennes im Kongresszentrum Dresden. Foto. Heiko Weckbrodt

Von-Ardenne-Chef Robin Schild, Ex-OB Wolfgang Berghofer und Alexander von Ardenne (von links nach rechts) beim Urania-Symposium zu Ehren Manfred von Ardennes im Kongresszentrum Dresden. Foto. Heiko Weckbrodt

Von der Welt der Sterne beseelt

Der Astronom Dieter Herrmann, manchem sicher noch als Moderator der DDR-Fernsehsendung „aha“ in Erinnerung, skizzierte von Ardenne wiederum als durch und durch von der Welt der Sterne beseelt, von einem Universum, dass den Menschen zu Bescheidenheit ermahne.

Prof. Dieter B. Herrmann skizzierte Baron von Ardenne als begeisterten Astronomie-Fan. Foto: Heiko Weckbrodt

Prof. Dieter B. Herrmann skizzierte Baron von Ardenne als begeisterten Astronomie-Fan. Foto: Heiko Weckbrodt

Gratwanderung zwischen Forschung und Politik

Auf der einen Seite war Ardenne sicher durch und durch Forscher und Erfinder, obgleich er nie ein abgeschlossenes Studium vorzeigen konnte. Auf der anderen Seite war er aber eben auch ein politischer Mensch, ein Pragmatiker, der sich durchaus auch Liebkind bei der Funktionärskaste machte, um seine Ziele zu erreichen. Sohn Alexander von Ardenne sieht darin aber nicht Opportunismus, sondern eher Idealismus: Als sein Vater nach seiner Zwangsrekrutierung für Stalins Atombomben-Programm wieder aus der Sowjetunion entlassen wurde, sei es dessen ganz bewusste und freie Entscheidung gewesen, statt der BRD die DDR zu wählen, und da wiederum Dresden: „Er sah darin die Chance, im Osten Deutschlands ein neues gesellschaftliches Experiment mitzugestalten“, erinnert sich Alexander von Ardenne.

Obwohl er letztlich sogar Volkskammerabgeordneter wurde, habe sein Vater aber damals, 1954/55, bloß nicht ins Zentrum der SED-Macht gehen wollen. Für ihn sei nur eine Kulturstadt weit weg von Berlin in Frage gekommen. Damit seien nur noch Weimar und Dresden geblieben – und um seine Forschungen fortsetzen zu können, habe er in Dresden die weit besseren Voraussetzungen gefunden.

Ardenne wirkt bis heute in Dresden nach

Und dort hat er Spuren bis heute hinterlassen. Um nur zwei besonders prominente Beispiele zu nennen: Das heutige Fraunhofer-Institut für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik (FEP) an der Winterbergstraße zum Beispiel ging aus einer der Abteilungen von Ardennes Privatinstitut hervor. Andere Institutsaktivitäten führten 1991 zur Ausgründung der „Von Ardenne GmbH“. Heute beschäftigt dieses Unternehmen rund 700 Mitarbeiter, exportiert Hightech-Anlagen für die Beschichtung von Architekturglas und Solarmodulen in alle Welt und gilt als Vorzeigeunternehmen am Standort Dresden.

In Abchasien erinnert man sich noch heute an Hertz und Ardenne

Und selbst Tausende Kilometer von Dresden entfernt erinnert man sich immer noch an den großen Erfinder – oder nutzt zumindest seine Geräte und Technologien. Am weltweit größten Teilchenbeschleuniger, dem LHC am CERN bei Genf, arbeitet zum Beispiel bis heute eine Ardennsche Protonenquelle. Und in Georgien und in Kasachstan sind Ardennes Elektronenstrahl-Öfen teilsweise immer noch im Einsatz, wurde die Forschungstradition der in der Nachkriegszeit in die Sowjetunion verschleppten deutsche Forscher wie Gustav Hertz und Manfred von Ardenne fortgeführt. Eine Botschaftsvertreterin Abchasiens war extra für das Ardenne-Symposium der Urania nach Dresden gekommen. Und sie versicherte: „Jeder Einwohner Abchasiens kennt die Namen der großen Physiker aus Deutschland, die lange Jahre dort tätig waren.“ Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt