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CERN nun sicher: Haben Higgs-Superteilchen entdeckt

Das Bild zeigt eine Teilchen-Kollision am CERN-Detektor CMS, bei der anscheinend ein Higgs-Boson entstand. Abb.: CERN

Das Bild zeigt eine Teilchen-Kollision am CERN-Detektor CMS, bei der anscheinend ein Higgs-Boson entstand. Abb.: CERN

Physiktagung in Dresden mit über 2100 Teilnehmern

Dresden, 6. März 2013: Das Partikel, das seine Physiker am europäischen Forschungszentrum CERN kürzlich entdeckt haben, ist tatsächlich das viel gesuchte Superteilchen, das Mensch und Materie im Universum erst ermöglicht hat. „Es ist ein Higgs-Boson“, legte sich Generaldirektor Rolf-Dieter Heuer heute – trotz einiger Restzweifel – während der Jahrestagung der „Deutschen Physikalischen Gesellschaft“ (DPG) in Dresden fest. Dessen könne man sich angesichts neuer Auswertungen der Messergebnisse, die unter anderem einen Spin (eine Art Drehimpuls) 0 für das mysteriöse Teilchen ergeben hätten, nun ziemlich sicher sein.

Partikel mit apokalyptischem Potenzial

Der Physiker Peter Higgs, der das Higgs-Boson voraussagte, bei einem besuch im CERN. Foto: CERN

Der Physiker Peter Higgs, der das Higgs-Boson voraussagte, bei einem Besuch im CERN. Foto: CERN

Wer all dies für langweiliges Nerd-Zeug hält, sei gewarnt: Mit dem Higgs-Boson steht und fällt nicht nur das Standardmodell der Teilchenphysik, sondern auch unser Universum. Von der Tech-Sprache der Physiker sollte man sich nicht in die Irre führen lassen. Während andere über das Wetter von morgen plaudern, parlieren die Kollegen des britischen Physikers Peter Higgs – der das Superteilchen 1964 prophezeit hatte – bei einer Kaffee Tasse in aller Seelenruhe über nahende Apokalypsen, gegen die Sintflut wie ein Badefest anmutet. Hat nämlich das Higgs-Boson ein für die Menschheit ungünstiges Energieniveau, kann das gesamte Universum von einem Augenblick auf den nächsten zusammenklappen.

Keine Panik: Sonne fackelt so schnell nicht ab, Universum hat noch 10 hoch 100 Jahre

Prof. Michael Kobel

Prof. Michael Kobel. Abb.: hw

Der Dresdner Kernphysiker Prof. Michael Kobel, der die DPG-Tagung leitet, verkündet allerdings frohe Botschaften: Selbst im ungünstigsten Fall hat das Universum – statistisch gesehen – noch etwa 10 hoch 100 Jahre vor sich. Wohlgemerkt: statistisch gesehen. Und dem Higgs-Boson sagen die Physiker auch stabilisierende Wirkungen nach: Es erzeugt wahrscheinlich ein gleichmäßiges Feld, das den ganzen Kosmos wie ein Geleepudding durchwabert, und durch seine Zähigkeit auch die übermütigen Kernfusionskräfte in der Sonne bändigt. Anders ausgedrückt: Dieses Higgs-Gelee sorgt dafür, dass unser Zentralgestirn nicht plötzlich wie eine Magnesiumfackel verglüht.

Ausbau der Weltantwortmaschine geplant

Experimentell überprüfen können die Physiker diese Fragen rund um das Higgs-Superteilchen erst, seitdem der weltweit größte Protonen-Beschleuniger am CERN, der „Large Hadron Collider“ (LHC) in Betrieb gegangen ist. Die milliardenteure Antwortmaschine hatte im Juli 2012 den ersten Higgs-Nachweis erbracht, der allerdings monatelang noch umstritten war.

Higgs-Boson-Video vom CERN:

Nach Higgs rückt Dunkle Materie in den Fokus der Forschung

Inzwischen erwägt das CERN, um das Jahr 2030 herum einen doppelt so starken Beschleuniger unter dem CERN zu installieren, um noch höherenergetische Teilchen zu erzeugen. Denn erstens könnte es nicht nur ein, sondern mehrere Higgs-Bosonen geben. Und zum Zweiten hoffen die Physiker auch, bald die mysteriöse Dunkle Materie und Dunkle Energie experimentell nachweisen zu können, die laut theoretischen Voraussagen die Expansion unseres Universums wesentlich beeinflusst – und Prognosen über die Zukunft unseres Kosmos’ erlauben würde. „Wir erwarten darüber in den nächsten Jahren durch neue Detektoren, die derzeit konstruiert werden, neue Erkenntnisse“, kündigte Kobel an. Mittlerweile gilt auch als gesichert, dass es Dunkle Materie nicht nur zwischen den Galaxien gibt, sondern auch in unserem Sonnensystem, ja sogar auf der Erde – wenn auch nur in homöopathischen Mengen, die etwa einem Proton in einem Stück Würfelzucker entsprechen.

Es ist also eine besonders spannende Zeit für die Physik angebrochen und dies spiegelt sich auch in der Resonanz auf die DPG-Jahrestagung in Dresden: Bis heute haben sich schon 2137 Teilnehmer eingeschrieben. Neben Higgs-Boson und Dunkler Materie wollen sie bis Freitag unter anderem auch die Beiträge der Physik zur Energiewende in Deutschland diskutieren.

Neutrinos als Spiegelgesetz-Verletzer unter Verdacht

Im unterirdischen Ringbeschleuniger LHC tief unter dem CERN werden Protonen fast bis auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und stoßen dann zusammen. Damit werden Zustände wie nach dem Urknall simuliert. Die dabei entstehenden Fragmente werden an Großanlagen wie hier dem Atlas-Detektor ausgewertet. Abb.: MPG

Im unterirdischen Ringbeschleuniger LHC tief unter dem CERN werden Protonen fast bis auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und stoßen dann zusammen. Damit werden Zustände wie nach dem Urknall simuliert. Die dabei entstehenden Fragmente werden an Großanlagen wie hier dem Atlas-Detektor ausgewertet. Abb.: MPG

Aber auch die Fortschritte der Neutrino-Physik werden in Dresden heiß diskutiert. Denn Neutrinos stehen seit einiger Zeit im Verdacht, für eine verblüffende, aber erwiesene Verletzung der Spiegelgesetze im Universum verantwortlich zu sein: Eigentlich entstanden nach dem Urknall nämlich gleich viel Materie und Antimaterie. Bringt man beides zusammen, sollte am Ende nur pure Energie übrig bleiben. Wie wir alle aber tagtäglich sehen können, muss es einen Überschuss an „normaler“ Materie gegeben haben, sonst gebe es weder Sonne, noch Erde oder Menschen. Dafür könnten eben jene flinken und schwer fangbaren Neutrinos verantwortlich sein, die möglicherweise in Personalunion Teilchen wie Antiteilchen sind – und vielleicht für den besagten Materieüberschuss verantwortlich waren.

Physiker ausgezeichnet

Während der Tagung in Dresden hat die DPG auch zwei verdiente Forscher ausgezeichnet: Werner Nahm wurde heute im Audimax des TU-Hörsaalzentrums mit der Max-Planck-Medaille für seine theoretischen Arbeiten über die Supersymmetrie ausgezeichnet. Dieter Pohl – übrigens ein gebürtiger Dresdner – erhielt die Stern-Gerlach-Medaille für seine experimentellen Erfolge, Licht auf kleinstem Raum zu konzentrieren. Diese Technik wird nun in hochauflösenden Mikroskopen und in Zukunft wahrscheinlich in optischen Computersystemen eingesetzt. Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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