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Helmholtz Dresden arbeitet an spintronischen Mustererkennern für Digitalchips

Die winzigen Scheiben enthalten Magnetwirbel, die untereinander wie Spin-Wellen interagieren. Die HZDR-Forscher vergleichen sie mit Trommel mit Sand darauf: Klopft man darauf, bilden sich komplexe Muster im gesamten Raum. Auch Dateneingabe (das "Trommeln") und Datenausgabe ("das Muster) sind möglich. Grafik: H. Schultheiß für das HZDR

Die winzigen Scheiben enthalten Magnetwirbel, die untereinander wie Spin-Wellen interagieren. Die HZDR-Forscher vergleichen sie mit Trommel mit Sand darauf: Klopft man darauf, bilden sich komplexe Muster im gesamten Raum. Auch Dateneingabe (das „Trommeln“) und Datenausgabe („das Muster) sind möglich. Grafik: H. Schultheiß für das HZDR

Neuromorph aufgerüstete Mikroelektronik soll für autonome E-Autos schneller Pfade im Verkehrschaos finden

Dresden, 24. Juli 2023. Künftige Computerchips werden womöglich neben digitalen Rechenwerken auch spintronische Ko-Prozessoren enthalten, die ähnlich wie die Neuronen im menschlichen Gehirn werkeln. Sie sollen überall dort eingreifen, wo klassische Binär-Rechner extrem ins Schwitzen geraten: Sie sollen beispielsweise an Bord selbstfahrender Elektroautos rasch Muster im Verkehrschaos entdecken, Staus vorhersagen und Unfälle vermeiden. So könnten aber auch bei der Wettervorhersage, im Aktienhandel oder der vorausschauenden Wartung von Roboterfabriken helfen. Dafür entwickeln Katrin und Helmut Schultheiß vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) mikrometerkleine Magnetwirbel-Scheiben. Das Forscherpaar hat nun nachgewiesen, dass sich ihre „Magnonen“ genannten Magnetwirbel auch in heutige Chips und Chipfabriken integrieren lassen und sie tatsächlich zur Mustererkennung taugen. Das hat das HZDR heute mitgeteilt.

Klassische Rechner verplempern viel Energie bei Mustererkennung

„In vielen Bereichen der Automatisierung vom autonomen Fahren über das Internet der Dinge bis zum Edge Computing kämpft die Industrie mit schnellen Datensignalen“, betont Helmut Schultheiß. „Denn viele Sensoren liefern kleine Datenpakete mit hoher Geschwindigkeit. Darin Muster zu erkennen ist für momentane Computerarchitekturen sehr energieaufwendig.“

Für heutige Computer besteht Welt nur aus Abfolgen zweier Ziffern

Zum Verständnis: Heutige Computer zerlegen in ihren Prozessoren und Speichern die Aufgaben, die der Mensch ihnen stellt, in lange Folgen aus Nullen und Einsen. Die vergleichen sie dann mit elementaren logischen Operationen, addieren und subtrahieren sie und so weiter. Diese binäre Logik und die Digitalrechentechnik dahinter hat sich bewährt, kann die meisten Matheaufgaben viel schneller als jeder Mensch ausrechnen. „Wenn es um komplexe mathematische Berechnungen geht, ist das boolesche Rechnen immer noch führend“, unterstreicht Helmut Schulheiß. „Für arithmetische Aufgaben wird es in den nächsten 100 Jahren wohl nichts Besseres geben. Doch die aktuellen Computerarchitekturen haben ein großes Problem darin, Muster zu erkennen und Komplexität zu erfassen.“

Magnetwirbel könnten Hardware-Basis für neuromorphe Rechner sein

Denn die „Digitalen“ verbrauchen bei bestimmten Aufgaben unverhältnismäßig viel Zeit und Energie: Wenn beispielsweise große Zahlen in Prim-Faktoren zerlegt werden sollen, wie es oft bei Ver- und Entschlüsselungen fällig ist, dann sind Quantencomputer weit schneller. Und der Mensch wiederum kann oft einen Blick auf ein Verkehrsgewühl „intuitiv erahnen“, wie er oder sie am besten fahren muss, um einen Unfall zu verhindern. Diese analogen Methoden menschlicher Neuronen-Netzwerke lassen sich womöglich auf neuartige spintronische Schaltkreise übertragen, an denen eben auch die Schultheißens seit Jahren arbeiten.

Schultheiß: In der Chipfabrik muss nichts umgerüstet werden

Allerdings nützen spintronische Erfolge nur wenig, wenn sie lediglich im Labor gut funktionieren, für ihre Massen-Produktion jedoch Abermilliarden an neuen Fabrik-Investitionen nötig wären. Daher verfolgen die HZDR-Forscher inzwischen die Idee, ihre neuromorphen Rechenknechte auf Magnonen-Basis in die existierende Mikroelektronik einzubetten – so dass die im Normalfall digital arbeiten, bei Mustererkennungen aber den spintronischen Ko-Prozessor zuschalten kann. „Das Gute an unserer Technologie ist, dass nichts umgerüstet werden muss“, betont Helmut Schultheiß.

Schäden an Windrädern vorausahnen

Und neben dem Einsatz in autonomen Fahrzeugen sieht er auch viel Potenzial in Industrie und speziell auch Energiewirtschaft für seine Magnetwirbel-Chips, wenn sie erst mal produktionsreif ist: „Bei Windrädern könnten sie zum Beispiel in den Antriebswellen nach Schwingungsmustern suchen, die auf einen Lagerschaden hinweisen. Dadurch wäre die Wartung möglich, bevor das Lager überhaupt ausfällt. Das spart Geld, Energie und Ressourcen.“

Kooperation mit Globalfoundries

Und bis hin zu ersten prototypischen digital-spintronischen Bauelementen ist es womöglich auch gar nicht mehr so weit hin: Erst kürzlich haben das HZDR und die Dresdner Chipfabrik von „Globalfoundries“ eine strategische Kooperation vereinbart. Ausdrücklich dabei genannte ist dort auch die Zusammenarbeit im Projekt „Nonlinear Magnons for Reservoir Computing in Reciprocal Space“ (Nimfeia), in dessen Zuge die Schulheißens ihre Magnetwirbel-Mustererkenner entwickeln.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: HZDR, Oiger-Archiv

Wissenschaftliche Publikation:

„Pattern recognition in reciprocal space with a magnon-scattering reservoir” von L. Körber, C. Heins, T. Hula, J.-V. Kim, S. Thlang, H. Schultheiss, J. Fassbender, K. Schultheiss, in: Nat Commun 14, 3954 (2023). Fundstelle im Netz: DOI: 10.1038/s41467-023-39452-y

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt