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Silsax-Chef: Zeitenwende heißt auch mehr technologische Souveränität

Frank Bösenberg. Foto: Silicon Saxony/ PR

Frank Bösenberg. Foto: Silicon Saxony/ PR

Aktive und ehemalige Mikroelektroniker fordern in Dresden straffere Aufholjagd für Deutschlands und Europas Chipindustrie

Dresden, 7. April 2023. Europa und speziell auch Deutschland sind gut beraten, die eigene Chipindustrie auszubauen, um nicht „zwischen die Mühlsteine USA und China zu geraten“. Das hat Geschäftsführer Frank Bösenberg vom sächsischen Hochtechnologie-Branchenverband „Silicon Saxony“ (Silsax) bei einem Treffen von rund 30 ehemaligen DDR-Mikroelektronikern („Alumni“) in den Technischen Sammlungen Dresden (TSD) eingeschätzt.

Treffen der Mikroelektronik-Alumni in den Technischen Sammlungen Dresden im April 2023. Foto: Heiko Weckbrodt

Treffen der Mikroelektronik-Alumni in den Technischen Sammlungen Dresden im April 2023. Foto: Heiko Weckbrodt

Müssen nicht alle Chips selber bauen, aber mehr als bisher

„Wenn jetzt oft von einer Zeitenwende die Rede ist, dann gehört auch mehr technologisches Souveränität dazu“, sagte Bösenberg. „Dazu gehört, dass wir zwar nicht alle Chips selber bauen müssen, aber doch mehr als bisher.“ Denn die eher wachsenden als schrumpfenden Konflikte zwischen den USA, China, Taiwan, Nord- und Südkorea, könnten letztlich dazu führen, dass Europa von der Zufuhr von Highend-Schaltkreisen abgeschnitten werden könnte. Wenn Europa aber in ausufernden Handelskriegen und protektionistischen Wettläufen neutral bleiben wolle, dass sei eben auch mehr Selbstversorgungsfähigkeit durch eine starke eigene Halbleiterindustrie nötig. Andernfalls gerate die Bundesrepublik in eine Lage, in der ihr nur noch übrig bleibe, sich für eine Seite zu entscheiden, statt zu vermitteln.

Auto- und Telefonindustrie müssen mitziehen

Damit dieser strategische Ansatz bei den politischen Entscheidern Gehör finde, müssten indes neben der deutschen Halbleiterindustrie selbst eben auch die großen Anwenderbranchen mitziehen. „Denn Chips würde eben nicht nur für Smartphones gebraucht, sondern auch für die Autoindustrie, den Maschinenbau und andere Branchen, sind aber, wie ja die Vereinigten Staaten ja oft auch argumentieren, eine Frage der nationalen Sicherheit.“ So müssten sich beispielsweise die großen Telekommunikationskonzerne wie Telekom und Vodafone einmal ernsthafter die Frage stellen, womit sie eigentlich die technisch führende Huawei-Netzwerktechnik ersetzen wollen, wenn die auf politischen Druck entfernt werden muss.

Vor allem die modernen 300-mm-Fabriken von TSMC sind stark ausgelastet. Foto: TSMC

Vor allem die modernen 300-mm-Fabriken von TSMC sind stark ausgelastet. Foto: TSMC

Junghans: Das kann große Teile der Wirtschaft in Europa ruinieren.“

Ähnlich äußerte sich auch Prof. Bernd Junghans vom Leibniz-Institut für interdisziplinäre Studien. Die hiesige Wirtschaft habe sich bereits jetzt in eine fatale Abhängigkeit von zu wenigen Highend-Chip-Quellen wie TSMC, Samsung & Co. begeben, die dramatische Folgen haben könne, wenn beispielsweise China irgendwann Taiwan einkassiert oder Nordkorea mit seinen Kernwaffen gegen Südkorea vorgehe. Die Erdbebenwellen fernöstlicher Konflikte würden dann binnen kurzem dramatische Folgen für die hiesige Industrie haben – das habe schon die Corona-Zeit gezeigt, als selbst kurze Lieferausfälle ganze Autofabriken in Deutschland lahmgelegt hatten. „So etwas kann große Teile der Wirtschaft in Europa ruinieren.“

Bernd Junghans. Foto: privat

Bernd Junghans. Foto: privat

Europas Anteil sinkt

Hintergrund: Europas Marktanteil an den weltweiten Halbleiter-Umsätzen ist in der vergangenen Dekade von zehn auf etwa acht Prozent gesunken, statt sich zu verdoppelt, wie noch 2013 von EU-Kommissarin Neelie Kroes gewünscht. Nun unternimmt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) zwar mit ihrem „Europäischen Chipgesetz“ einen ähnlichen Anlauf noch mal. Doch anders als in den Vereinigten Staaten, wo Subventionen aus dem US-amerikanischen „Chips Act“ bereits rasch flossen und Wirkung zeigten, tut sich Brüssel nach wie vor schwer, Gelder freizusetzen. Ähnliche Effekte wollen viele der Mikroelektronik-Alumni, von denen viele auch nach der Wende noch Karrieren in deutschen Hightech-Schmieden absolvierten, auch in der deutschen Förderpolitik festgestellt habe: Durch seine förderative Strukturen zerfasere jeder deutsche Versuch, Geld in Schwerpunkttechnologien zu pumpen, in „landesfürstliche Begehrlichkeiten“: Statt die Mittel zu konzentrieren, dränge jede Region darauf, etwas vom Kuchen abzubekommen – und nirgendwo werde genug Fördergeld konzentriert.

Von Südkorea lernen heißt siegen lernen?

Dass es andererseits gelingen könne, mit einer klugen Wirtschaftspolitik erhebliche Rückstände (wieder) aufzuholen, habe Südkorea gezeigt, mein wiederum Junghans: „Noch vor einigen Jahrzehnten war das Land von Koreakrieg zerstört. Und doch haben es die Südkoreaner systematisch geschafft, Führungspositionen in der Mikroelektronik und weiteren Hochtechnologie-Branchen einzunehmen. Das zeigt doch: Es geht.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Quelle: Alumni-Treffen in den TSD vom 5.4.2023

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt