Ifo-Forscher: Rückverlagerung würde Deutschland 10 % Wirtschaftsleistung kosten
München, 10. August 2021. Trotz aller Diskussionen um eine mögliche Rückverlagerung industrieller Produktion nach Europa will nur jedes zehnte deutsche Unternehmen künftig verstärkt auf einheimische Lieferketten setzen. Das geht aus einer Umfrage und Analyse des Ifo-Wirtschaftsforschungsinstituts „Ifo“ aus München im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) hervor. „Viele Firmen planen stattdessen, ihre Lagerhaltung auszubauen und die Anzahl ihrer Zulieferer zu erhöhen“, berichtete Lisandra Flach, die das Ifo-Zentrum für Außenwirtschaft leitet.
Deutschlands Wirtschaft gehört seit Jahren zu den Vorreitern der Globalisierung
Über Jahre hinweg hatten Unternehmen vor allem aus den Industrieländern die Vorteile der Globalisierung genutzt und internationale Liefer- und Produktionsketten aufgebaut. Vor allem die deutsche Industrie gehörte zu den Vorreitern dieses Kurses: Die Unternehmen internationalisierten sich dadurch, erschlossen sich neue Absatzmärkte, konnten viele Bauteile billiger einkaufen, umgingen dadurch oft auch protektionistische Abriegelversuche – schufen aber eben auch Jobs und Wertschöpfung in anderen Ländern. Vor allem der damalige US-Präsident Donald Trump und die Corona-Seuche versetzten diesen globalen Wertschöpfungsketten dann aber schwere Schläge: Corona, Trumps Handelskriege, die Blockaden im Suez-Kanal sowie im Roten Meer, aber auch durch den Wintereinbruch in Texas und den Brand in einer wichtigen japanischen Fabrik störten die weltumspannenden Lieferketten, zerstörten sie teilweise sogar.
Hinzu trat der bereits vorher artikulierte Wunsch vieler Nationalstaaten, sogar in Deutschland, Jobs und Wertschöpfung aus anderen Ländern abzuziehen und hinter die eigenen Grenzen zurückzuholen. Auch setzen sich viele Umweltaktivisten und Globalisierungsgegner für weitgehend regionale Wirtschaftskreisläufe ein. Die Produktionsstopps in deutschen Autofabriken, denen plötzlich wichtige Mikroelektronik-Zulieferungen fehlten, entfachten die Diskussionen um eine mögliche De-Globalisierung, eine Entflechtung der internationalen Liefernetze und regionale Produktionsketten erneut.
Hohe Wohlstandsverluste durch Deglobalisierung zu erwarten
Die Ifo-Forscher selbst halten eine Deglobalisierung allerdings für keine gute Idee: Sie warnen vor „hohen Wohlstandsverlusten“, wenn die deutsche Wirtschaft die Produktion hinter die nationalen Grenzen oder ins nahe Ausland zurückverschieben sollte. „Die deutsche Lieferkette hat in den letzten Jahrzehnten enorm an Komplexität und Länge zugenommen“, schätzte Lisandra Flach in einem KAS-Interview ein. „Dass solch eine komplexe Lieferkette auch Risiken mit sich bringt, das ist keine Frage.“ Aber: „Bei einer Rückverlagerung könnte die reale Wirtschaftsleistung Deutschlands um fast zudem Prozent zurückgehen“, schätzte Lisandra Flach. „Importierte Vorleistungen sind ein wesentlicher Bestandteil der deutschen Wettbewerbsfähigkeit“, heißt es in ihrer Studie. Zugleich würde eine „Deutschland First“-Politik auch zu Wohlstandsverlusten in Nordafrika, in der Türkei und weiteren Regionen führen, aus denen die Bundesrepublik Wertschöpfung abziehen würde.
KAS-Interview mit Lisandra Flach (KAS):
Sinnvoll sei aber für kleine und mittelständische Unternehmen vielmehr, zusätzliche Lieferquellen zu erschließen. Wichtig sei es allerdings, dafür auch die internationalen Handelsabkommen „mittelstandsfreundlicher zu gestalten“, forderte Studien-Koautor Andreas Baur. „Eine Vereinfachung und Harmonisierung von Ursprungsregeln würde beispielsweise kleinen und mittleren Unternehmen die Nutzung von Freihandelsabkommen deutlich erleichtern und auf diese Weise neue Möglichkeiten zur Diversifizierung eröffnen.“
Enge Verflechtung mindert Risiko von Handelskriegen
Zugleich weisen die Ifo-Forscherinnen und –Forscher auch auf die stabilisierenden politischen Wirkungen internationaler Verflechtung hin: „Die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen China und der EU können die Wahrscheinlichkeit für eine aggressive Handelspolitik verringern, da beide Seiten bei einem Handelskonflikt viel zu verlieren hätten“, betonte Lisandra Flach.
Autor: hw
Quellen: Ifo, KAS, Oiger-Archiv
Wissenschaftliche Publikation:
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