Prozess ist aber umkehrbar, versichern Ärzte vom Uniklinik Dresden
Dresden, 10. Februar 2021. Durch Magersucht schrumpft das Gehirn und der Intelligenzquotient. Betroffen davon ist etwa ein Drittel der Anorexie-Patientinnen. Das hat eine Studie des Essstörungsexperten Prof. Stefan Ehrlich und der Psychologin Inger Hellerhoff am Uniklinikum Dresden ergeben. Die gute Nachricht dabei: Der Prozess ist umkehrbar.
Auf 25 Kilo heruntergehungert: „Konnte kein Buch lesen, nicht vernünftig Rechnen“
„Laura* ist 15 Jahre alt. Sie lebt seit mehr als einem halben Jahr in der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus in Dresden. Bei einer Körpergröße von 156 Zentimetern wog sie 25 Kilogramm als sie hier ankam“ “, berichten die Mediziner und Medizinerinnen. „,In dieser Zeit habe ich einen Rollstuhl gebraucht, um mich fortzubewegen. Ich war einfach nur noch schlapp’, erinnert sich die Schülerin. ,Ich konnte kein Buch lesen, nicht vernünftig Rechnen. Auch die Geige blieb in ihrem Koffer. Es war mir unmöglich, mich zu konzentrieren, meine Gedanken schweiften immer wieder ab’“.
Biosignale spiegeln Neuronenschaden
Woran das liegen könnte, haben die Teams um Ehrlich und Hellerhoff untersucht. Dafür analysierten sie die Blutwerte von 54 magersüchtigen jungen Mädchen und Frauen im Alter zwischen 12 und 24 Jahren zu Beginn ihrer Akuttherapie und nach einer deutlichen Gewichtszunahme. Die Befunde verglichen sie dann mit den Blutwerten aus einer Kontrollgruppe mit 54 gesunden Studienteilnehmerinnen. Dabei entdeckten sie drei Biosignale, die bei den Anorexie-Patientinnen deutlich verstärkt waren. Dazu gehörten erhöhte Konzentrationen des Tau-Protein, des Neurofilaments light (NF-L) und des GFA-Proteins. Dies deute daraufhin, dass Neuronen bei akuter Anorexie durch den Nährstoffmangel Schäden davon tragen, folgerten die Forscherinnen und Forscher. Die Folgen: Die kognitive Leistungsfähigkeit sinkt, die graue Substanz in der Hirnrinde schrumpft und Liquor (Hirnwasser) füllt die Leerstellen aus.
Gehirn erholt sich bei Gewichtszunahme
Der Prozess lässt sich aber umkehren: „Im Therapieverlauf mit Gewichtszunahme scheint sich das Gehirn zu erholen“, berichtet das Uniklinikum. „Der Volumenverlust schwindet und die NF-L- sowie GFA-Proteinkonzentrationen sinken wieder ab.“ Die nun identifizierten Biosignale können insofern künftig bei Behandlungen benutzt werden, um Therapieerfolge zu messen.
Ab 36 Kilo fahren Geist und Körper wieder hoch
Laura* sieht ihre kritische Grenze bei 36 Kilogramm: Ab diesem Gewicht, „schaltet sich mein Körper wieder ein“, berichtet sie. „Ich bin dann wieder in der Lage zu fühlen, empfinde Trauer, Wut und auch Freude. Ich kann wieder ein Buch lesen, weil ich mich konzentrieren kann und die Aufmerksamkeit nicht ständig abschweift. Seit vier Jahren spiele ich Klavier, habe hier ein Keyboard in der Klinik und habe gerade in der Weihnachtszeit sehr viel und gerne gespielt.“
* Name geändert
Autor: hw
Quelle: UKD
Wissenschaftliche Publikation
Differential longitudinal changes of neuronal and glial damage markers in anorexia nervosa after partial weight restoration | Translational Psychiatry (nature.com), DOI: 10.1038/s41398-021-01209-w
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