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Hörgeräte-Akustiker arbeiten heute mit Bluetooth-Protokollen statt Schraubenzieher

Gründer Klaus Dippe (links) neben dem heutigen Chef von "Höregeräte-Dippe", Alexander Wüstenhagen Foto: Heiko Weckbrodt

Gründer Klaus Dippe (links) neben dem heutigen Chef von „Höregeräte-Dippe“, Alexander Wüstenhagen
Foto: Heiko Weckbrodt

Für Hörgeräte-Akustiker hat sich das Berufsbild massiv verändert

Dresden, 20. August 2018. Das Internet der Dinge, in dem alles mit allem vernetzt ist, scheint manchem noch in weiter Ferne zu liegen. Tatsächlich aber macht es schon heute vielen Schwerhörigen das Leben leichter: „Smartphones, TV – immer mehr Heimelektronik lässt sich inzwischen über Bluetooth-Funk mit Hörgeräten koppeln“, berichtet Alexander Wüstenhagen, der das Fachgeschäft „Hörgeräte-Dippe“ in der Dresdner Innenstadt leitet. „Das ist dann wie ein drahtloser Kopfhörer zum Beispiel für den Fernseher.“ Das Hörerlebnis sei damit ein ganz anderes als früher mit den alten Analog-Geräten.

GPS-Navi im Hörgerät

Ein Ende dieser Vernetzung sei noch gar nicht in Sicht. „Irgendwann werden auch Vitalwerte durch Hörgeräte überwacht und GPS-Sensoren eingebaut“, vermutet Wüstenhagen. Die Idee dabei: Wenn der Miniaturcomputer im Hörgerät zu erkennen vermag, ob der Träger in der Kneipe oder im Konzertsaal sitzt, kann er das Gerät automatisch mal so eichen, dass das störende Geplapper am Nachbartisch zugunsten des Dialogs mit dem Gegenüber ausgeblendet wird, oder so, dass auch die kleinste Nuance im Harfenspiel noch zu hören ist.

„Als ich meine Lehre angefangen habe, hat mir jemand einen Schraubendreher überreicht und gesagt: So, das ist das wichtigstes Werkzeug für dein berufliches Leben“, erinnert sich der 42-jährige Hörgeräteakustikermeister  an die alten Analog-Zeiten. „Heute verbinde ich mich per WLAN in neue Hörgeräte und setzte mich mit Bluetooth-Protokollen auseinander. Unser Berufsbild hat sich in den vergangenen 25 Jahren massiv verändert.“

Die Digitalisierung hat alles verändert

Das kann Unternehmensgründer Klaus Dippe, der mittlerweile 66 Jahre jung ist und daher das Geschäft an seinen ehemaligen Mitarbeiter Wüstenhagen verkauft hat, nur bestätigen. „Die Digitalisierung hat alles verändert“, sagt er. „Früher musste man analoge Hörgeräte mühsam manuell einstellen. Heute helfen dem Hörgeräteakustiker dabei Computerprogramme“, sagt er. „Die Hörgeräte sind auch kleiner, schöner und robuster geworden, widerstehen besser Wasser, Schweiß und Staub, weil die ganzen äußeren Regler weggefallen sind.“

Meisterin Katja Thulka lötet ein Hörgerät in der Werkstatt von Hörgeräte-Dippe. Foto: Heiko Weckbrodt

Meisterin Katja Thulka lötet ein Hörgerät in der Werkstatt von Hörgeräte-Dippe. Foto: Heiko Weckbrodt

Abgesehen von der besseren Hör- und Lebensqualität, die Digitaltechnik den Hörgeräte-Trägern beschert habe, seien dadurch auch dezentere Designs möglich geworden, ergänzt Wüstenhagen: „Anders als Brillen, die heutzutage auch gerne mal bunt und ausgefallen aussehen dürfen, sind Hörgeräte und Schwerhörigkeit immer noch Tabu-Firmen“, meint er. Kleine Kinder wollen durchaus auch mal etwas Buntes im Ohr. „Aber ab der Pubertät möchten alle nur noch ganz unauffällige Geräte, die man möglichst gar nicht sieht.“

Was sich aber über all die Jahre beim Hörgeräte-Dippe nie geändert habe, seien Qualitätsanspruch und Kundenorientierung, meinen der Gründer und der neue Chef unisono. Zum Beispiel hat der studierte Automatisierungs-Ingenieur Dippe, seit er 1993 sein Hörgeräte-Geschäft gründete, alle Mitarbeiter immer auf Meister-Niveau gebracht: Die Meisterbriefe an der Wand sprechen darüber Bände. Gut qualifizierte Leute, Geduld und handwerkliches Können sieht er als sein Erfolgsrezept, das dem Geschäft schon Tausende Kunden beschert hat, darunter Popmusiker, Akademiker und viele andere Klienten mit ausgefallenen Sonderwünschen. Zudem hat das Geschäft eine eigene Werkstatt, was inzwischen in der Branche fast selten geworden ist.

„Verstehgerät“ statt nur eine Hörhilfe

„Das Hörgerät als solches ist eigentlich nur ein Halbprodukt“, meint Klaus Dippe. „Zu einem fertigen Ganzen wird es erst durch die technisch-handwerklichen Anpassungen und den Einstellprozess gemeinsam mit dem Kunden, für den wir uns meist acht bis zwölf Wochen Zeit nehmen.“ Erst damit und durch die neuen digitalen Möglichkeiten werde es vom „Hörgerät“ zum „Verstehgerät“.

Auch kooperiert das Unternehmen für Feldstudien mit der bundesweit agierenden Firma ciAD, die auf Hörgeräte-Entwicklung und -Tests für die Branche spezialisiert ist. Zwar seien keine deutschen Hörgeräte-Hersteller am Markt übrig geblieben – die meisten Geräte werden inzwischen in Dänemark, der Schweiz, England, den USA und in Asien hergestellt. Aber: „Durch diese Kooperation bekommen wir mit, was bald auf den Markt kommt“, erklärt Wüstenhagen.

All dies, inklusive der vielen Fortbildungen, sei sicher aufwendig, sagt Dippe senior. „Aber ich habe ganz bewusst den Kunden und Mitarbeiter vom ersten Tag an in den Mittelpunkt der Geschäftstätigkeit gestellt. Denn wenn man gut ist, dann redet der Kunde vielleicht mit zwei, drei Bekannten darüber. Aber wenn einmal etwas schief läuft, redet er mit 20 Leuten darüber. Deshalb muss man immer gut sein, sonst wird das nichts mit der Mund-zu-Mund-Propaganda.“

Plötzlich wieder den Kies knirschen und die Festplatte rödeln hören

Hinzu trete die menschliche Dimension: „Wir helfen letztlich Menschen, die mit ihrem Hörvermögen einen wichtigen Sinn zumindest teilweise verloren haben, diesen Verlust zu bewältigen“, erklärt Wüstenhagen. Oft warten die Schwerhörigen zu viele Jahre, bis sie endlich zum Ohrenarzt und Hörgeräteakustikermeister gehen. Dann bekommen sie ein modernes digitales Hörgerät und erleben das Leben plötzlich wieder in ganz anderen Tönen, die sie über die Jahre hinweg schon fast vergessen hatten. „Die Welt wird für sie wieder schriller, mit vielen hohen Tönen“, erzählt Dippe. „Sie können mit einem Male wieder den Kies unter ihren Schuhen knirschen und die Festplatte in ihrem Computer rattern hören.“

Für viele sei dies ein verwirrendes Erleben. „Eigentlich braucht viele danach eine spezielle Anpassungstherapie, so wie nach einer OP eine Physiotherapie üblich ist“, sagt Wüstenhagen. „Das bezahlen die Kassen leider nicht. Aber für viele ist das so wichtig, dass wir solch eine Audiotherapie dennoch anbieten.“ Diesen Menschen zu helfen, ihre Welt akustisch neu zu entdecken, sei letztlich auch eine tiefe Befriedigung für jeden Meister, unterstreicht Dippe. „Manchmal sind wir mehr Psychologen als Techniker.“

Kurzüberblick:

  • Unternehmen: Hörgeräte-Dippe
  • Geschäftszweck: Verkauf, Anpassung und Entwicklung von Hörgeräten, Höranlagen, „In-Ear-Monitoring“-Ohrstöpseln für Musiker, Audiotherapie u. a.
  • Gegründet: 1993 in Dresden
  • Belegschaft: Vier Meister
  • Mehr Infos im Internet: hoergeraete-dippe.de

Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt