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Gefahr für Wunderwaffe Antibiotika kommt aus dem Wasser

Stäbchenbakterium Clostridium difficile – ein typischer Krankenhaus-Keim, Foto: Janice Carr, CDC/ Lois S. Wiggs, Wikipedia, Public Domain

Stäbchenbakterium Clostridium difficile – ein typischer Krankenhaus-Keim, Foto: Janice Carr, CDC/ Lois S. Wiggs, Wikipedia, Public Domain

Dresdner TU-Forscher und Partner fordern Strategie gegen resistente Umweltkeime

Dresden, 28. Oktober 2015. Damit die Antibiotika als wichtigste Waffe der Mediziner gegen Infektionen nicht wirkungslos werden, haben Forscher der TU Dresden in einem gemeinsamen Strategiepapier mit europäischen Partnern neue Filtersysteme in Klärwerken, Antibiotika-Grenzwerte für Wasser und landwirtschaftliche Düngemittel sowie weitere Maßnahmen gefordert. Damit wollen sie den Vormarsch antibiotika-resistenter Bakterien über einen bisher nur wenig beachteten Pfad ausbremsen: über die Umwelt und ganz speziell über Gewässer.

„Ganzheitliche Sicht unerlässlich“

Prof. Thomas Berendonk. Foto: Nereus

Prof. Thomas Berendonk. Foto: Nereus

„Eine ganzheitliche Sicht auf die Entwicklung von Antibiotikaresistenzen in der Umwelt ist unerlässlich“, erklärte der Limnologe (Binnengewässer-Kundler) Prof. Thomas Berendonk von der TU Dresden. „Denn die Bedrohung für die menschliche Gesundheit, die von Antibiotikaresistenten Bakterien in der Umwelt ausgeht, kann nur so abgeschätzt und wirksam eingedämmt werden.“

Antibiotika waren Revolution für Infektions-Behandlung

Hintergrund: Seit ihrer Entdeckung vor über 80 Jahren haben Penicillin und andere Antibiotika bereits Millionen Menschen das Leben gerettet – Patienten, die früher zum Beispiel an simplen Wundinfektionen gestorben wären. Weil die Ärzte seitdem allerdings Antibiotika immer exzessiver einsetzen, haben sich inzwischen viele Bakterien an diese Wunderwaffe der Medizin angepasst, sind gegen zahlreiche Antibiotika immun geworden.

Resistente Keime töten jährlich Tausende

Die durch solche multiresistenten Bakterien verursachten und durch Antibiotika nicht mehr behandelbaren Infektionen fordern in den USA jährlich etwa 23.000 Tote, hat die US-Gesundheitsbehörde CDC geschätzt. Europäische Hochrechnungen gehen von 25.000 Todesfällen pro Jahr in Europa aus, informierte das Robert-Koch-Institut in Berlin.

Resistenztest in der Petrischale: Die Keimkultur rechts ist bereits immun gegen fast alle Antibiotika. Foto: Dr Graham Beards, Wikipedia. CC4/GNU-Lizenz

Resistenztest in der Petrischale: Die Keimkultur rechts ist bereits immun gegen fast alle Antibiotika. Foto: Dr Graham Beards, Wikipedia. CC4/GNU-Lizenz

In Indien sterben immer mehr Babys durch Resistenz-Keime

Weil multiresistente Keime aber oft nicht präzise erkannt werden, sind all dies nur Schätzungen. Die Dunkelziffer dürfte hoch sein. Derweil mehren sich aus Indien Berichte, dass dort immer häufiger Säuglinge durch Infektionen mit multiresistenten Keimen sterben. Dort nämlich sind Antibiotika – anders als in Deutschland – nicht verschreibungspflichtig, sondern frei verkäuflich, was wohl oft dazu führt, dass sie exzessiver verwendet werden.

Forschung war bisher auf Krankenhaus als Keimquelle fokussiert

Zudem haben sich Forscher bisher vor allem auf die Ausbreitung multiresistenter Bakterien in Krankenhäusern fokussiert. Dabei werde meist übersehen, dass sich solche potenziell gefährlichen resistenten Bakterien über die Umwelt ausbreiten, warnen Prof. Thomas Berendonk von der TU Dresden und weitere europäische Forscher der Initiative „COST Action DARE – Detecting Antibiotic Resistance in Europe“. Hauptquellen dafür seien Privathaushalte (menschliche Ausscheidungen, die über die Kanalisation Flüsse, Seen, Teiche und andere Gewässer erreichen), Krankenhäuser, die Landwirtschaft (Ausscheidungen von antibiotika-behandelten Tieren) und Industrie (hier vor allem die Pharmabranche).

Neue Filteranlagen für Klärwerke gefordert

Teilweise erreichen die darin enthaltenen Antibiotika-Reste stark verdünnt natürliche Biotope. Dadurch sind sie für die dort lebenden Bakterien nicht tödlich, aber noch präsent genug, damit die Keime eine Immunität entwickeln können. In anderen Fällen landen diese Abwässer in Klärwerken, wo die biologisch besonders aktive Brühe sogar noch begünstigend auf die Resistenzbildung wirkt.

Mit Edelgas durchlöcherte Edelstahlfolien in 10.000-facher Vergrößerung. Foto: HZDR

Foto: HZDR

Membran- und Kohlefilter könnten helfen

Als Hauptansatzpunkt, um dagegen vorzugehen, sehen die TU-Forscher und ihre DARE-Kollegen aus ganz Europa daher auch die Klärwerke: „Vielversprechende Technologien wie Membran- und Aktivkohlefiltration sind bereits vorhanden, jedoch muss ihre Wirksamkeit bestätigt und der flächendeckende Einsatz an wichtigen Eintragsquellen durchgesetzt werden“, betonen sie. Einige Forschergruppen – zum Beispiel in Greifswald – experimentieren inzwischen auch mit alternativen Methoden, um Enzyme und andere komplexe Moleküle im Abwasser unschädlich zu machen – indem sie nämlich Plasmabögen im Wasser zünden, die die Moleküle in unschädlichere Verbindungen aufbrechen.

Bedenkliche könnten in Datenbanken verzeichnet werden

Auch sollten mathematische Modelle entwickelt werden, die die Ausbreitung der Keime in Gewässern vorhersagen, fordern derweil die TU-Wasserkundler. Sinnvoll sei zudem der Aufbau einer Datenbank mit Umweltbakterien, die gerne Resistenzen ausbilden und die das Potenzial haben, diese Immunität auch an Keime weiterzugeben, die für Menschen unmittelbar gefährlich sein können. Auf der Basis solcher Datenbanken könne man dann die – bisher noch recht aufwendigen – molekularbiologischen Testmethoden für solche Keime verfeinern und zielgerichteter einsetzen.

EU soll Antibiotika-Grenzwerte für Wasser vorgeben

Auch fordern die Forscher, maximal zulässige Konzentrationen solcher resistenter Bakterien in der europäischen Wasserrahmenrichtlinie festzulegen. Zudem sollte gesetzlich reguliert werden, wieviel belastete Gülle und Mist Bauern verwenden dürfen, um Felder zu düngen. Bisher gebe es solche Regularien in dieser Form weder für Bauern noch für Klärwerke, sagte Dr. Mareike Braeckevelt vom „Center for Advanced Water Research“ (CAWR) an der TU Dresden. Wieviel solche Auflagen und Klärwerk-Nachrüstungen kosten werden, sei noch schwer zu beziffern. Das Umweltbundesamt hat aber eingeschätzt, dass eine vierte Klärstufe die Abwassergebühren um zwei bis zehn Prozent erhöhen dürften. In jedem Falle wäre dies aber ein wichtiger Schritt, damit Antibiotika auch in Zukunft effektiv gefährliche Infektionen bekämpfen können.

Autor: Heiko Weckbrodt

-> Vertiefen wollen 15 Doktoranden aus ganz Europa – darunter auch zwei von der TU Dresden – diese Untersuchungen im EU-finanzierten „Marie Sklodowska Curie Innovative Training Network ANSWER – Antibiotics and mobile resistance elements in wastewater reuse applications: risks and innovative solutions“. Das Netzwerk startete am 1. Oktober, die offizielle Auftaktveranstaltung ist am 25./26.11. 2015 in Wien.

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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