Sächsischer Ansiedlungsexperte Zimmer-Conrad plädiert für eine Ökologisierung der Industrie – im eigenen Interesse
Dresden, 4. Oktober 2021. Die Wirtschaft muss ihre „Ökologisierung“ selbst vorantreiben, statt sie zu bekämpfen. Das hat Ministerialrat Christoph Zimmer-Conrad vom sächsischen Wirtschaftsministerium auf einem Mikroelektronik-Symposium in Dresden gefordert. „Ihr müsst euch mit den Zukunftsvisionen der jungen Menschen von heute versöhnen und sie unterstützen“, appellierte er an die Unternehmer.
Wachsender Widerstand gegen Industrie zu erwarten, wenn sie sich nicht auf Greta-Visionen einlässt
Denn im Moment habe die Industrie ein erhebliches Image-Problem: Kaum noch eine Fernsehserie über Umweltverschmutzung und düstere Seilschaften, kaum noch eine Klimadebatte komme ohne die Industrie als Bösewicht aus. Zudem werde sich die Umweltbewegung um Greta Thunberg nach der Pandemie noch vehementer als bisher zurückmelden. „Die Industrie muss grüner und beliebter werden, sonst sehe ich für die Genehmigungsverfahren für künftige Ansiedlungen schwarz“, betonte Zimmer-Conrad, der in den vergangenen zwei Dekaden viele Industrieansiedlungen in Sachsen begleitet hat. Diese „Ökologisierung“ sei als eine Sache der Vernunft und eines gesunden Eigeninteresses zu begreifen: Wenn sich die deutschen Industriellen an die Spitze dieser Entwicklung stellen, statt dies anderen Akteuren zu überlassen, könnten sie gute Geschäfte damit machen – und gleichzeitig die eigenen Lebensgrundlagen sichern.
Menschenleere Fabriken brauchen weder Licht noch Belüftung
Ein Beispiel für solch eine Ökologisierung der Industrie, die industrielle Wertschöpfung und Umweltschutz vereinbare, ist für Zimmer-Conrad das alte und nun wiederentdeckte Konzept der „Dunklen Fabrik“ (Dark Fab): Wenn es im Zuge der „Industrie 4.0“-Initiativen nun doch gelingen sollte, menschenleere Fabriken allein durch Künstliche Intelligenzen (KI), Roboter, Maschinen, Drohnenschwärme und automatische Transportsysteme betreiben zu lassen, braucht man darinnen weder Tageslicht noch allzu viel Heizung oder Belüftung. Derartige „Dark Fabs“ könne man dann auch gleich unter die Erde verbannen und Wiesen oder Bäume darauf pflanzen, argumentierte Zimmer-Conrad. Solch ein Ansatz könne Anwohnerbedenken zerstreuen, Betriebskosten sparen, der Bodenversiegelung entgegenwirken und die ökologische Bilanz der Industrie stark verbessern. Die vielbeschworene Rückkehr der Industrie in die Städte – nur eben sauber und ohne Fabrikschlote – wäre so denkbar.
Schon in den 1960ern rechnete man „schon bald“ mit kybernetischen Fabriken
Zur Debatte standen derartige Konzepte bereits in der ersten Blütezeit der Kybernetik, vor allem in den 1960ern. Science-Fiction-Romane wie „Kommando Venus 3“ von Karl-Heinz Tuschel aus dem Jahr 1980 diskutierten beizeiten auch die Risiken autonom agierender Roboterfabriken. Damals jedoch waren sie praktisch, finanziell und technisch gar nicht umsetzbar. Heute jedoch rücken sie technologisch, logistisch und computertechnisch langsam in den Bereich des sinnvoll Machbaren.
Chipfabriken machen „es vor: Kaum noch klassische Arbeiter im Reinraum
In modernen hochautomatisierten Halbleiterfabriken wie bei Infineon, Bosch oder Globalfoundries zum Beispiel gibt es längst kaum noch menschliche „Operators“ im Reinraum, die Chipscheiben-Lose hin- und hertragen, um damit Maschinen zu beladen: All dies haben längst Roboter und hochautomatisierte Transportsysteme übernommen, von denen viele übrigens von sächsischen Herstellern stammen – ebenso wie die Schaltkreise dafür. In diesen Fabriken gibt es zwar noch Menschen. Meist handelt es sich aber um keine Arbeiter im klassischen Sinne, sondern um Wartungstechniker oder Ingenieure. Sie kümmert sich nur noch um jene Eingriffe, mit denen KIs und Roboter heute noch überfordert sind.
Corona-Krise hat gezeigt: Heimarbeit ist selbst für manche Fabriken möglich
Gerade die Corona-Krise hat dann noch einmal deutlich gezeigt, dass Heimarbeit zwar nicht in allen, aber doch machen Industriebetrieben durchaus möglich ist. Der Gang in den Reinraum beispielsweise ist in vielen Fällen durch ferngesteuerte Eingriffe ersetzbar. Zudem erproben viele Betriebe derzeit auch die „vorausschauende Wartung“ („Predictive Maintenance“), die viele Kontroll- und Prüfaufgaben an KI-Systeme überträgt.
Frühere Anläufe zu 100-%-Roboterfabriken sind immer wieder gescheitert
Insofern verkürzt sich der Weg zur „Dark Fab“ immer mehr. Allerdings bleibt es umstritten, ob solche völlig menschenleeren Fabriken jemals zuverlässig funktionieren werden. Selbst bei Fabmatics Dresden, die mit eben solchen Hochautomatisierungs-Lösungen gutes Geld verdienen, ist die Geschäftsführung in diesem Punkt skeptisch: Immer wieder gebe es selbst in modernsten Fabriken Aufgaben, die KI und Roboter überfordern oder für die der Mensch einfach die günstigere Lösung sei. Auch hatten bereits in den 1980ern viele Industrieländer und Großunternehmen geglaubt, dass es bis zur Vollautomatisierung kein langer Weg mehr sei. Und doch scheiterten solche Projekte immer wieder an der enormen Komplexität der Aufgaben.
Auch soziale Widerstände zu erwarten
Nicht zuletzt gab und gibt es immer wieder gesellschaftlichen Widerstand gegen die Idee menschenleerer Fabriken, vor allem mit Blick auf die Arbeitsplätze, die dabei wegrationalisiert werden. Allerdings hat die Erfahrung gezeigt, dass solche „Jobkiller“ wie der PC oder der Roboter über die Jahre hinweg unterm Strich für mehr Beschäftigung und Wertschöpfung in den Industrieländern gesorgt haben statt für Massenarbeitslosigkeit, wie oft befürchtet. Und solche Megatrends wie „Predictive Maintenance“, „Dark Fab“ und „Industrie 4.0“ haben zumindest in Sachsen in jüngster Zeit für mehr und für hochwertigere Arbeitsplätze gesorgt: „Für diese Riesenthemen werden viele Schaltkreise, viele Roboter gebraucht“, meint Zimmer-Conrad. Und die würden in vielen Fällen in Sachsen hergestellt.
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: Symposium „60 Jahre Mikroelektronik in Dresden“, Referat Zimmer-Conrad, Auskünfte Fabmatics, Oiger-Archiv
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