Verband Biosaxony geht von 18 Prozent mehr Umsatz und Jobs aus
Dresden, 22. Mai 2021. Die sächsische Biotechnologie-Branche ist während der Corona-Zeit kräftig gewachsen – vor allem durch die besonderen Herausforderungen in der Pandemie. Das hat André Hofmann, der Chef der sächsischen Biotech-Branchenverbandes „Biosaxony“, heute in Dresden mitgeteilt. Auch der Biosaxony-Vorstandsvorsitzende Oliver Uecke, in Personalunion einer der Chefs der Dresdner Fett-Tech-Firma „Lipotype“, sprach von einem spürbaren Branchenwachstum, bemerkenswerten Innovationen sowie erheblichen Investitionen in die biotechnologische Forschung und Entwicklung in Sachsen. Die Biotech „Made in Saxony“ werde nun auch international stärker wahrgenommen
Biotech-Firmen bauen Belegschaften aus
Genaue Zahlen seien zwar noch nicht erhoben, räumte Hofmann ein. Er schätze aber, dass die Bio- und Medizintech-Unternehmen im Freistaat in dieser Zeit fast ein Fünftel mehr Umsatz und neue Jobs generiert haben. Einige Unternehmen wie etwa die Dresdner „Biotype“, die während der Corona-Zeit von einer Entwicklungsfirma zum Massenproduzenten von Covid19-Tests mutiert war, berichteten gar von Wachstumsraten um die 50 Prozent.
Delta weiter auf dem Vormarsch
Die Biotech-Szene in Deutschland und speziell auch in Sachsen habe binnen weniger Monate „wichtige Lösungen für die Bekämpfung der Pandemie entwickelt und auf den Markt gebracht“, nannte der Biosaxony-Chef wichtige Triebfedern für die Branche. „Und Corona wird uns noch lange beschäftigen. Die Delta-Variante ist weiter auf dem Vormarsch.“ Außerdem gebe es eine starke Nachfrage für neue Therapien gegen die Langzeitfolgen von Corona-Erkrankungen („Long Covid“).
3D-Drucker-Netz erzeugte Visiere im Akkord
Schon in der Frühphase der Seuche hätten sächsische Netzwerke aus Unternehmen und Forschungseinrichtungen sehr rasch Lösungen für die drängendsten Engpässe entwickelt, betonte Hofmann. Er verwies beispielhaft auf das von „Dresden-Concept“ und „Biosaxony“ binnen Wochen installierte Netzwerk aus über 100 3D-Druckern ganz verschiedener Firmen und Institute, die gemeinsam Anti-Corona-Visiere und andere Mangelprodukte während der ersten Welle im Akkord produzierten. Später stieg das Netzwerk auf Spritzgussmaschinen um. Insgesamt verteilte es letztlich gratis über 8000 Schutzvisiere in einer Zeit, als der Nachschub aus China weitgehend versiegt war.
Next3D: Notfallbeatmer für Afrika
Ähnliche Akut-Lösungen entstanden an vielen Orten in Sachsen. Neurochirurgen der Uni Leipzig spannten beispielsweise ihre Forschungsgruppe „Next3D“ ein, um binnen einer Woche gemeinsam mit der Hochschule Zwickau und dem Fraunhofer-Werkzeugmaschineninstitut IWU aus Chemnitz den Protoptypen eines Notfall-Beatmungssystems zu kreieren. „Das System wurde dann nach Liberia gesendet“, berichtete Ronny Grunert von der Forschungsgruppe. „In Deutschland hatte sich die Lage zum Glück schnell stabilisiert.“ Mit 3D-Druckern und anderen Hightech-Werkzeugen leierte das Team zudem auf die Schnelle eine Verschlusskappen-Produktion für selbstgebraute Sterilisationsmittel an.
Beispiel „C-LEcta“: Leipziger Spaltenzyme für eine globale Impfstoffproduktion
Die 2004 aus der Uni Leipzig ausgegründete Biotech-Firma „C-LEcta“ wiederum generierte mit einer Art „gelenkter Evolution“ spezielle Enzyme, die Erbgutreste aus Corona-Impfstoffen entfernen. „Im Fokus steht jetzt der Aufbau preisgünstiger Corona-Impfstoffproduktionen in anderen Regionen der Welt, zum Beispiel in Asien, die sich die teuren hiesigen Impfstoffe nicht leisten können“, erzählte C-LEcta-Chef Marc Struhalla. „Da werden noch enorme Impfstoffmengen gebraucht.“ Dabei sollen die Leipziger Enzyme helfen. Inzwischen ist C-LEcta auf über 100 Köpfe und zehn Millionen Euro Jahresumsatz gewachsen.
Beispiel „Biotype“: Durch Corona-Testbedarf zum Massenproduzenten mutiert
Eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte legte während der Pandemie auch die Biotech-Firma „Biotype“ aus Dresden-Hellerau hin, die zur Molekulardiagnostik-Gruppe (MDG) von Wilhelm Zörgiebel gehört. Binnen weniger Monate baute Biotype für ein englisches Unternehmen eine Corona-Testproduktion, basierend auf der Polymerase-Kettenreaktion (PCR), auf. „Wir waren als Forschungsunternehmen bis dahin eher kleine Stückzahlen gewöhnt“, berichtete Zörgiebel. „Wir mussten unseren Ausstoß plötzlich verzwanzigfachen – und sind so zu einem Produktionsunternehmen gewachsen.“
Dafür ist Biotype in und am alten „Schraubzwingen“-Komplex in Hellerau stark expandiert: Zörgiebel und seine Kompagnons richteten zunächst ein neues 800-Quadratmeter-Labor ein, zwei weitere Fertigungs-Labore sind noch im Bau. Die Belegschaft sei bereits um die Hälfte gewachsen, so Zörgiebel. Mittlerweile sind 90 Frauen und Männer für Biotype Dresden tätig, in der gesamten MDG sind es 250 Beschäftigte, die zuletzt für 40 Millionen Euro Gruppenumsatz sorgten. Und ein weiteres Wachstum ist absehbar. Der Coronatest-Auftrag für die Engländer ist inzwischen zwar ausgelaufen, in Summe stellten die Dresdner insgesamt rund 18 Millionen Tests her. Aber nun geht es mit neuen Kunden weiter: „Wir wollen uns als Hersteller komplexer Produkte und Systeme profilieren“, kündigte der Chef an. Im Fokus stehen dabei neue, selbstentwickelte Modaplex-Instrumente für die Krebsdiagnostik und andere Einsatzfelder.
Vom Vakzin-Kühlkoffer bis zum Lungenmedikament
Und die Liste der Biotech-Innovationen, die Sachsen während der Pandemie hervorgebracht hat, ließe sich noch weiter fortsetzen: „Genewiz“ aus Leipzig zum Beispiel hilft mit DNS-Analysen bei Covid19-Forschungen, Adversis Pharma entwickelte Verfahren für Antikörper-Nachweise, Mannin Leipzig forscht an einem Medikament gegen akutes Lungenversagen, Roboscreen Leipzig liefert Reagenzien für PCR-Tests und Schaumaplast Nossen baut Kühlboxen für den Impfstoff-Transport.
Platzmangel in Dresdens Bio-Johannstadt bleibt ungelöst
Die auffällige Häufung von Leipziger Firmen in dieser Beispielliste ist kein Zufall: Die Biotech-Szene in der Messestadt entwickele sich sehr dynamisch und ziehe immer mehr Neubauten hoch, schätzte Biosaxony-Geschäftsführer André Hofmann ein. „Das würden wir uns auch für Dresden wünschen.“ Das Gründungs-Potenzial ist in der Landeshauptstadt auch zweifellos vorhanden. Hier mangelt es aber schon seit Jahren an Büro- und Ansiedlungsflächen im Biotech-Viertel Johannstadt.
Biosaxony: Neue Eigenkapital-Berechnung ist „für forschende Unternehmen eine Katastrophe“
Zwei weitere Punkte machen der Branche im Freistaat ernste Sorgen: Einerseits habe Sachsen seine Biotech-Sonderförderung auslaufen lassen, kritisierte der Verbands-Chef. Anderseits fordere die EU, sogenannte „nachrangige Darlehen“ nicht mehr dem Eigenkapital eines Unternehmens zuzurechnen. „Für forschende Unternehmen ist das eine Katastrophe, da sie in der Regel über eine geringe Eigenkapital-Quote verfügen und auf Fördermittel angewiesen sind“, kritisierte Hofmann. „Durch die fragwürdige Auslegung der EU-Verordnung entstehen deutschen Unternehmen aus Forschung und Entwicklung massive Wettbewerbsnachteile, da andere EU-Länder die Regelung deutlich weicher interpretieren. Das ist praktisch ein kompletter Ausschluss von staatlichen Förderinstrumenten inklusive der Forschungszulage. Wir befürchten, dass dadurch Innovationslöcher ungeahnten Ausmaßes entstehen.“
Leipzig ist 2022 Gastgeber für Europas größte Biotech-Konferenz
Dennoch gebe es auch positive Nachrichten, hieß es vom „Biosaxony“-Verband: Leipzig werde nämlich im kommenden Jahr Gastgeber für die „BIO-Europe“ sein und damit für eine der größten internationalen Biotechnologie-Fachkonferenzen überhaupt. Die Veranstalter erwarten Vertreter von über 2500 Biotech-Unternehmen zu diesem Branchentreff.
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: Biosaxony, Biotype, Next3D, Oiger-Archiv
Zum Weiterlesen:
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