Geschichte, zAufi

Dresdner Destillierapparate am Meeresgrund vor Cres?

Regionalgeschichts-Forscher Ivo Saganić in der Mitte August 2020 eröffneten neuen Dauerausstellung zur Öl-Destillerie Linardi. Foto: Magrit Dittmann-Soldičić/ http://stivantango.blogspot.com

Regionalgeschichts-Forscher Ivo Saganić in der Mitte August 2020 eröffneten neuen Dauerausstellung zur Öl-Destillerie Linardi. Foto: Magrit Dittmann-Soldičić/ http://stivantango.blogspot.com

Dauerausstellung auf der Adria-Insel berichtet über das Destillier-Unternehmen „Linardi“

Dresden/Cres, 26. August 2020. Anfang des 20. Jahrhunderts hatte eine Dresdner Firma – Volkmar Hänig & Comp., damals Zwickauer Straße – der Manufakturwirtschaft auf den Inseln der Kvarner Bucht in der Nordadria auf die Beine geholfen, wie unser Gastautor Mathias Bäumel auf unserem Portal Oiger im Sommer 2019 beschrieben hat. Ein Taucher hat nun berichtet, dass er am Grund der Bucht Zylinder entdeckt hat, die womöglich zu einer über 100 Jahre alten Destillier-Anlage aus Dresden gehören.

Sachsen lieferten Apparat für ätherische Öle

Die Firma Volkmar Hänig hatte einen Kupfer-Dampfdestillationsapparat für ätherische Öle inklusive Pumpe in das kleine Dörfchen San Martino (Martinšćica) auf der Insel Cherso (Cres) an den Jungunternehmer Andrija Linardić Sr. geliefert, der hier eine Destillerie für ätherische Öle vor allem aus Salbei, später auch aus Strohblumen, Lorbeer und Rosmarin aufbauen wollte.

Innenansicht der Destillerie. Foto: Linardi-Familienarchiv Triest / Katalog

Innenansicht der Destillerie. Foto: Linardi-Familienarchiv Triest / Katalog

Unternehmung von Linardić belieferte auch das Militär

Im Laufe der Jahre wurde Linardić sehr erfolgreich und lieferte seine ätherischen Öle nicht nur während des Ersten Weltkriegs an die „k. k. Militärmedikamenten Direktion“ in Wien, sondern letztlich auch an führende Chemie- und Pharmaunternehmen wie Heine & Co. aus Leipzig, dem zeitweiligen Weltmarktführer der Riechstoffindustrie Schimmel & Co. in Miltitz und der heute noch aktiven Firma der Aroma- und Duftindustrie Curt Georgis.

Wichtige Folge war auch, dass die damals extrem armen Menschen auf den Inseln wie Cres, Lošinj, Krk und Hvar – ausgeprägten Tourismus gab es noch nicht – mit dem Sammeln dieser Pflanzen und der Arbeit für die Destille ein Einkommen erhalten konnten.

Dokumentenfunde im Privatarchiv

Ermöglicht von zur Verfügung gestellten Dokumentenfunden aus dem Privatarchiv von Daniela Linardi aus Triest und beraten von Ivo Saganić, dem äußerst kenntnisreichen Ortschronisten von Vidovići und Martinšćica, konnten Inge Solis und Irena Dlaka im Jahre 2019 eine Wanderausstellung mit dazugehörigem Katalogbuch zusammenstellen und herausgeben. Über den gesamten heurigen Sommer 2020 ist diese mobile Ausstellung nun auf der Insel Hvar zu sehen.

Der Duft und das Inselleben

Doch eine Dauerausstellung zum Thema „Andrija Linardić und seine Destillerie für ätherische Öle“ wurde nun Mitte August 2020 im Erdgeschoss des kleinen, ehemaligen Kastells in Martinšćica, Insel Cres, eröffnet. Wenige Meter vom kleinen Hafen und der Katamaran-Anlegestelle entfernt, zeigt das engagierte Team um den Regionalgeschichtsforscher Ivo Saganić eine anschauliche Sammlung von Dokumenten und Exponaten zur Geschichte der Öl-Destillerie in der Nordadria, zur Bedeutung der Familie Linardi sowohl für das Inselleben als auch für die Entwicklung der europäischen Aroma- und Duftindustrie.

Konzipiert, gestaltet und ausgebaut wurde das kleine Museum unter Saganić’ Leitung in etwa 650 Stunden freiwilliger Arbeit ohne jede Hilfe der unmittelbaren lokalen Behörden. Unterstützung kam jedoch von der Gespanschaft Küstenland-Bergland (Primorje-Gorski kotar; vergleichbar einem Distrikt oder Regierungsbezirk), deren Vizepräsident das kleine Museum – auch in Gegenwart der Behörden der umliegenden Inseln – eröffnete. Zur Vernissage kamen viele Gäste auch von weiter entfernten Ortschaften und sogar Inseln; über die Einweihung wurde im Radio und in der Zeitung berichtet. „Das war ein großer Erfolg“, so Saganić.

Chronikbuch im Regionaldialekt

Für den ausgewiesenen Forscher der Regionalgeschichte war diese Eröffnungsfeier noch aus einem zweiten Grund etwas Besonderes: Sein Chronikbuch „Naši stari Vidošćani“ über die Generationen von Bewohnern des von Martinšćica drei Kilometer entfernten Bergdörfchens Vidovići, ein teils im regionalen Dialekt geschriebener und mit einer Riesenzahl historischer Fotos versehener, kiloschwerer Band, war eben – gekürzt – in englischer Sprache erschienen. Sowohl die Finanzierung des neuen englischsprachigen Buches aus Mitteln des EU-Projektes „Social Innovation in Marginalised Rural Areas (SIMRA)“ als auch die Einladung zum 2. SIMRA Meeting „Social Innovation Think Tank“ in das schottische Aberdeen bedeuten für Saganić eine große Anerkennung seiner Arbeit. „Der Name Vidovići wird immer bekannter in Europa“, freut sich Saganić. Die nunmehrige Linardi-Ausstellung im unmittelbar benachbarten Martinšćica kann ebenso zur Bekanntheit dieser Gegend beitragen.

Alte Anlage verschrottet

Und hier kommt nochmals das sächsische Dresden ins Spiel. Bisherige Annahmen müssen korrigiert werden. Wenige Tage nach der Ausstellungseröffnung kam ein Zeitzeuge, ein alter Fischer und Taucher, zu Ivo Saganić und berichtete, dass er bei einem seiner Tauchgänge in der Bucht von Martinšćica vor einigen Jahrzehnten ein paar Zylinder gefunden habe. Wie sich herausstellte, könnten das Rudimente der ersten Destillier-Anlage von 1903 der Dresdner Firma Hänig gewesen sein. Die dann 1925 neu installierte, ebenfalls von der – nun in Heidenau sitzenden – Firma Hänig stammende Anlage mit dreifacher Kapazität wurde Saganić zufolge nach Betriebseinstellung der Destillerie 1957 von Arbeitern und Behörden der Schiffswerft in Cres als Schrott verkauft.

Über die Insel Cres

Nach dem Fall Venedigs war die Insel Cres mit einer einzigen kurzen Unterbrechung von neun Jahren ein Teil des Habsburgerreiches beziehungsweise der Donaumonarchie. Ab November 1920 gehörte sie zu Italien. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie jugoslawisch beziehungsweise kroatisch. Der nahezu gleichzeitige Gebrauch der italienischen, kroatischen und früher teils auch der deutschen Sprache war selbstverständlich. Entsprechend gab es auch verschiedene Versionen desselben Namens. Wer Andrij Linardić hieß, war ebenso Andrea Linardi. Und das Dörfchen Martinšćica war ebenso San Martino, die Insel und das gleichnamige Städtchen Cres (gesprochen: Zress) waren auf italienisch Cherso.

Ein Spaziergang entlang der Grabsteine des dortigen kleinen Friedhofes verdeutlicht die verschiedenen Schreibweisen. Die Inschriften bezeugen die Italianisierungs- und Kroatisierungsvorgänge. Die Familie Linardi/ Linardić hat dort eine beeindruckende Grabanlage.

Autor: Mathias Bäumel

Über unseren Gastautor

Mathias Bäumel (geboren 1953) ist Journalist, Buchautor und Musikfreund. Ab 1990 war er als Kultur- und Wissenschaftsjournalist für die Dresdner Neuesten Nachrichten tätig. Ab 1995 war er Chefredakteur des Dresdner Universitätsjournals, bis er 2018 in den Ruhestand wechselte. Auch engagierte er sich lange als ehrenamtlicher Programmchef im Vorstand des Jazzclubs „Tonne“ in Dresden. Privat hat er über viele Jahre hinweg immer wieder die Inseln der Adria besucht und eine besondere Passion für diese Landschaft und deren polynationale Kultur entwickelt.

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt