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Salbei-Duft von der Adria für des Kaisers Soldaten

Innenansicht der Destillerie. Foto: Linardi-Familienarchiv Triest / Katalog

Innenansicht der Destillerie. Foto: Linardi-Familienarchiv Triest / Katalog

Wie eine Dresdner Firma vor etwa 100 Jahren erste wirtschaftliche Erfolge auf Cres und Lošinj auslöste.

Martinšćica/Dresden, 3. Juli 2019. Wer in dieser Sommersaison seinen Urlaub auf den adriatischen Inseln Cres oder Lošinj verbringen will, könnte neben seinen gewohnten Freizeitaktivitäten mit Vergnügen einer wirtschafts- und kulturhistorischen Besonderheit nachgehen: einer speziellen Verbindung zwischen Dresden und dem kleinen Dörfchen Martinšćica auf der Insel Cres.

Blauviolett blüht der wilde Salbei

Dorthin gelangt man mit der Autofähre von Brestova nach Porozina auf der einzigen Straße, entlang schier endloser Macchia- und Steinfelder, am Städtchen Cres vorbei bis zum Abzweig Hrasta. Dann entweder nach rechts Richtung Martinšćica oder geradeaus durch eine im Volksmund „steiniges Arabien“ genannten Steinwüste und über das uralte Bischofsstädtchen Osor bis nach Lošinj. Bemerkenswert im Mai und Juni: Überall, wo nicht gerade die Macchia bis an den Straßenrand reicht, blüht blauviolett beidseitig des Sträßchens und bis an den Horizont der wilde Salbei.

Blick von der Gegenseite der Bucht auf den Mini-Hafen von Martinšćica im Jahre 1928. In der rechten Bildhälfte das größere Gebäude direkt am Wasser ist die Linardi-Destillerie. Foto: Historische Ansichtskarte

Blick von der Gegenseite der Bucht auf den Mini-Hafen von Martinšćica im Jahre 1928. In der rechten Bildhälfte das größere Gebäude direkt am Wasser ist die Linardi-Destillerie. Foto: Historische Ansichtskarte

In Martinšćica landet man unweigerlich an der Gaststätte „Sidro“ (Anker), unmittelbar am Wasser gelegen und bevölkert von ein paar Einheimischen, die ihr Bier oder ihren Kaffee trinken, sowie anfangs weniger, später in der Vorsaison mehr Touristen, schaulustig, durstig und entspannt vor sich hinsitzend.

Einst eine Destillerie für ätherische Salbei-Öle

Ivo Saganić, Ortschronist und ehemaliger Seefahrer, erzählt, dass das Sidro-Gebäude einstmals eine Destillerie für ätherische Öle vor allem aus Salbei war. Gegründet hatte diese Destille Anfang des 20. Jahrhunderts ein gewisser Andrija Linardić Sr., der aus dem heute kaum mehr existenten, benachbarten Weiler Grmov stammte. Linardić hatte Anfang 1902 in einer in Dalmatien herausgegebenen Zeitschrift gelesen, dass die österreichisch-ungarische Regierung der Rosmarin-Genossenschaft im Örtchen Velo Grablje auf der Insel Hvar eine moderne Maschine zur Wasserdampfdestillation geschenkt hatte. Hintergrund war, dass die Menschen auf all diesen Inseln – ausgeprägten Tourismus gab es noch nicht – ein Einkommen haben sollten.

Reklame der Firma Volkmar Hänig & Comp. aus einer Zeitung aus dem Jahre 1904.

Reklame der Firma Volkmar Hänig & Comp. aus einer Zeitung aus dem Jahre 1904.

Maschine kam aus Dresden – finanziert auf Pump beim Kloster

Gerade auch das Richtige für das Dörfchen und die Weiler seiner Region, dachte Linardić, fuhr nach Hvar und ließ sich die Maschine vorführen. Geliefert war sie von der 1867 gegründeten Dresdner Firma „Volkmar Hänig & Comp.“, die ihren Sitz damals auf der Zwickauer Straße 27 hatte. Linardić Sr. kontaktiert Hänig sofort per Brief. Aber weil er kein Deutsch sprach und wegen der damals noch unentwickelten Verkehrsverhältnisse dauerte die Korrespondenz ziemlich lange. Das Angebot aus Dresden mit dem Foto der Maschine, Preis, Beschreibung und Spezifikationen kam erst Ende Dezember 1902. Der Gesamtpreis des Kupfer-Dampfdestillationsapparates für ätherische Öle inklusive Pumpe war so hoch, dass sich der Neu-Kleinstunternehmer Linardić beim Vorsteher des benachbarten Klosters Geld für die Anzahlung borgen musste.

Als die Maschine endlich aus Dresden ankam, hatte man einige Schwierigkeiten beim Zusammenbau der Maschine und mit dem Finden einer geeigneten Unterkunft.

Verspottet von den einheimischen Bauern

Linardić stellte schließlich die Destillationsmaschine in das Haus von Antun Stanić, der in die USA gegangen war, und er schaffte es, die einheimische Bevölkerung von der Ernte zu überzeugen. Salbei würde sich auszahlen. Die Einheimischen verspotteten ihn nämlich zunächst, glaubten nicht, dass man aus den Blättern „irgendeine Art von Öl“ bekommen könnte. Die erste Wasserdampfdestillation von Salbei zu ätherischem Öl begann am 20. August 1903. Linardić produzierte bald ungefähr 400 Kilogramm Öl. Und er begann, Angebote mit Proben an zahlreiche Hersteller von Chemikalien und Medizinprodukte in Österreich und Deutschland zu senden. Doch es dauerte vier Jahre, bis Linardić das aus Salbeiblättern gewonnene Öl erfolgreich verkaufen konnte.

Anordnung der Destillationsmaschine, geliefert von der Firma Volkmar Hänig & Comp. aus Heidenau/Dresden. Foto: Linardi-Familienarchiv Triest / Katalog

Anordnung der Destillationsmaschine, geliefert von der Firma Volkmar Hänig & Comp. aus Heidenau/Dresden. Foto: Linardi-Familienarchiv Triest / Katalog

Erfolg sorgte für Umzug

Im Laufe der Zeit wurde die Destillerie der Familie Linardić immer erfolgreicher. 1910 zog sie zunächst in eine Behelfsunterkunft, eine Baracke, um und schließlich am 1. Februar 1912 in das extra dafür errichtete, deutlich größere Gebäude im Zentrum des Örtchens ganz unmittelbar am Ufer – die heutige Gaststätte Sidro.

Export ätherischer Öle an führende deutsche Unternehmen

Das Unternehmen dehnte seine Produktion auch auf das Destillieren von ätherischen Ölen aus Strohblumen und aus Lorbeer aus. Die Rohstoff-Pflanzen wurden bald überall auf der Insel und darüber hinaus geerntet. Es gelang, große Mengen nach Deutschland an führende Chemie- und Pharmaunternehmen wie Heine & Co. aus Leipzig, dem zeitweiligen Weltmarktführer der Riechstoffindustrie Schimmel & Co. in Miltitz und der heute noch aktiven Firma der Aroma- und Duftindustrie Curt Georgis zu verkaufen.

Ätherische Öle sollten Truppe bei Laune halten

Die Firma Linardić belieferte während des Ersten Weltkriegs die „k. k. Militärmedikamenten Direktion“ in Wien, die es den Truppen mittels der ätherischen Öle leichter machen wollte, im Gestank auszuhalten. Vor allem nach den Absatzschwierigkeiten in Deutschland als Folge der Hyperinflation 1923 verstärkte Linardić seine Bemühungen um den US-amerikanische Markt, den er schließlich auch mithilfe einer ihn vertretenden Firma aus Triest erreichte.

Hänig lieferte zweite Destillier-Apparatur

Ein Zehnjahresvertrag mit Heine & Co. in Leipzig ermöglichte der Firma Linardić 1925 die Anschaffung einer zweiten, moderneren Destillier-Apparatur. Diese wurde wiederum von der Dresdner Firma Volkmar Hänig & Comp. geliefert. Die hatte ab 1906 ihren Sitz in Heidenau auf der Gabelsberger Straße 4. Offenbar deshalb firmierte sie seither unter der Ortsbenennung Heidenau – Dresden.

In den 1950ern wurden Destilliergeräte ins Meer geworfen

Die Destillerie in Martinšćica arbeitete letztlich bis 1957. Dann wurde ihr Inventar auseinandergenommen. Die Destilliergeräte landeten im Meer. Das Gebäude selbst wurde in eine Gaststätte, heute Sidro, umgewandelt.

Hänig nach dem Krieg enteignet und dem VEB Excelsior Heidenau zugeschlagen

Und was geschah derweil mit dem einstigen Lieferanten der Apparaturen? Das Hänig-Gebäude auf der Zwickauer Straße in Dresden wurde nach dem Ersten Weltkrieg abgerissen und an dessen Stelle ein größeres Büro- und Produktionsgebäude errichtet. Im Jahre 1930 erwarb die Firma Seelig & Hille („Teekanne“, die Erfinder des Teebeutels) das Gebäude. Zu DDR-Zeiten war es dann schließlich Sitz des Autobahnbaukombinates. Aber das wäre eine andere Geschichte.

Die Firma Volkmar Hänig & Comp. in Heidenau wurde nach dem Zweiten Weltkrieg enteignet und ging im VEB Excelsior-Werke Heidenau auf.

Das Gebäude der früheren Destillerie (rechts) beherbergt seit Jahrzehnten die Gaststätte Sidro (Anker), wobei die beschattete Terrasse (links) das Lokal im lichtgleißenden Sommer nicht nur erträglich, sondern zum beliebten Treffpunkt für Einheimische und Touristen macht. Foto: www.nimm-eine-auszeit.de

Das Gebäude der früheren Destillerie (rechts) beherbergt seit Jahrzehnten die Gaststätte Sidro (Anker), wobei die beschattete Terrasse (links) das Lokal im lichtgleißenden Sommer nicht nur erträglich, sondern zum beliebten Treffpunkt für Einheimische und Touristen macht. Foto: www.nimm-eine-auszeit.de

Ausstellung und Katalog dokumentieren Aspekte der Aroma- und Duftindustrie

Eine sehr anschauliche und gut recherchierte Ausstellung im Museum der kleinen Stadt Cres dokumentiert detailliert die Entwicklung der Firma der Familie Linardić, deren Handelsbeziehungen bis in die USA und deren Kontakte nach Sachsen. Dazu gibt es einen kroatisch- und englischsprachigen Katalog „Scent of Victory. The Linardić Distillery of Essential Oils in Martinšćica“. Autoren sind Inge Solis und Irena Dlaka.

Besuch lohnt sich

Wer also an den weiten, steinigen Flächen blühenden wilden Salbeis vorübergefahren ist und gern im Sidro „vor Anker“ geht, dem sei – gerade auch als Dresdner – der Besuch dieser erhellenden Präsentation mit Brückenschlag zwischen Cres und Sachsens Hauptstadt empfohlen.

Die Ausstellung im Stadtmuseum Cres läuft noch bis 30. Juli 2019, danach ist sie vom 2. August bis 21. September 2019 in Nerezine auf der Insel Lošinj zu sehen. Der Katalog ist jeweils vor Ort und in Touristenbüros der Gegend erhältlich.

Autor: Mathias Bäumel

Über die Insel Cres

Nach dem Fall Venedigs war die Insel Cres mit einer einzigen kurzen Unterbrechung von neun Jahren ein Teil des Habsburgerreiches beziehungsweise der Donaumonarchie. Ab November 1920 gehörte sie zu Italien. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie jugoslawisch beziehungsweise kroatisch. Der nahezu gleichzeitige Gebrauch der italienischen, kroatischen und früher teils auch der deutschen Sprache war selbstverständlich. Entsprechend gab es auch verschiedene Versionen desselben Namens. Wer Andrij Linardić hieß, war ebenso Andrea Linardi. Und das Dörfchen Martinšćica war ebenso San Martino, die Insel und das gleichnamige Städtchen Cres (gesprochen: Zress) waren auf italienisch Cherso.

Ein Spaziergang entlang der Grabsteine des dortigen kleinen Friedhofes verdeutlicht die verschiedenen Schreibweisen. Die Inschriften bezeugen die Italianisierungs- und Kroatisierungsvorgänge. Die Familie Linardi/ Linardić hat dort eine beeindruckende Grabanlage.

Autor: Mathias Bäumel

Mathias Bäumel. Foto: Matthias Creutziger/Musik-in-dresden.de

Mathias Bäumel. Foto: Matthias Creutziger/Musik-in-dresden.de

Über unseren Gastautor

Mathias Bäumel (geboren 1953) ist Journalist, Buchautor und Musikfreund. Ab 1990 war er als Kultur- und Wissenschaftsjournalist für die Dresdner Neuesten Nachrichten tätig. Ab 1995 war er Chefredakteur des Dresdner Universitätsjournals, bis er 2018 in den Ruhestand wechselte. Auch engagierte er sich lange als ehrenamtlicher Programmchef im Vorstand des Jazzclubs „Tonne“ in Dresden. Privat hat er über viele Jahre hinweg immer wieder die Inseln der Adria besucht und eine besondere Passion für diese Landschaft und deren polynationale Kultur entwickelt.

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt