Besucher können künftig per AR-App und Mediastation in alte Dampflok, Honecker-Citröen und andere Oldtimer hineinschauen.
Dresden, 3. Juli 2019. All die Oldtimer, Dampfloks und alten Kräder in Museen eint eines: Sie sind erkalteter Stahl, der seit Jahrzehnten nicht mehr die Hitze der Brennkammern gespürt hat. Mal eben in einen dieser schönen, alten, rundgelutschten 311er Wartburgs einsteigen und den Zweitakter röhren lassen? Fehlanzeige! Aber das ändert sich gerade durch digitale Technologien aus Dresden. Studenten der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) erweitern dafür gemeinsam mit der Dresdner Medienagentur „Ravir Film“ die Realität im Verkehrsmuseum Dresden.
„Augmented Reality“ macht per Smartphone die Feuerbüchse und Rauchkammer sichtbar
Die Basistechnologie dahinter nennt sich auf Englisch „Augmented Reality“ (AR) und funktioniert mit jedem Smartphone: Die Gratis-App „VMD AR“ aufspielen, mit dem Telefon auf die alte 99er Dampflok im Erdgeschoss draufhalten und plötzlich offenbart der stählerne Riese sein animiertes Innenleben. Der Betrachter sieht dann auf seinem Smartphone-Bildschirm die Glut in der Feuerbüchse auflodern, den heißen Dampf durch den Zylinder strömen, die Gase durch die Rauchkammer wirbeln – da lacht das Herz des Pufferküssers. Und eine Etage weiter oben kann der Besucher per Medienstation das Velour im Citröen CX des großen Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker begutachten, in einer Hof-Sänfte Platz nehmen oder in einen alten Skoda Octavia einsteigen.
Alte Skodawerbung und die Veloursitze der 80er
„Diese neuen digitalen Anwendungen sind kein Selbstzweck, sondern bieten dem Besucher einen echten Zusatznutzen“, betonte Museumsdirektor Joachim Breuniger. „Bisher sind die Kraftfahrzeuge auf der zweiten Ebene nur schwer von allen Seiten zu betrachten“, erläutert Ausstellungs-Chef Benjamin Otto ein Beispiel. „Durch die neuen Medienstationen an den Geländern können die Besucher nun richtig an die Automobile heranzoomen, sie aus vielen Perspektiven anschauen und sogar darin Platz nehmen.“ Auf Wunsch zeige das interaktive Terminal auch zeitgenössische Werbehefte für die Autos, technische Zeichnungen und andere Zusatzinformationen in Deutsch und Englisch an.
Wer im Museum punktet, bekommt schnell Job in der Digitalbranche
„Für die Studenten ist es sehr motivierend, an solchen praktischen Anwendungen mitzuarbeiten“, betonte Professor Markus Wacker, der an der HTW den Lehrstuhl für Computergrafik leitet und unter dessen Regie mehrere digitale Exponate entstanden für das Verkehrsmuseum entstanden sind. Solche Schaustücke gelten nämlich als 1a-Referenzen bei der späteren Job-Suche in der freien Wirtschaft. „Erst kürzlich hat ein Student sofort eine Anstellung bekommen, nachdem er dem Unternehmen seine Arbeit fürs Verkehrsmuseum gezeigt hatte“, erzählt der Professor.
AR-Scanner verhaspelte sich am Dampflok-Schwarz
Denn solche digitalen Ausstellungs-Attraktionen gehen weit über bloße akademische Fingerübungen hinaus. Einerseits müssen sie den harten Alltag eines vieltausendfach besuchten Museums „überleben“ und sich in der Besuchergunst bewähren. Anderseits betreten die Dresdner Studenten und Ravir-Kreativen auch digitales Neuland. Beispielsweise verhaspelte sich anfangs ständig der Dampflok-Realitätserweiterer, den die Ravier-Experten und die Medieninformatik-Studentin Vanessa Brüll von der HTW gemeinsam entwickelten. „Die AR-Software konnte die Details auf der schwarzen Oberfläche von Dampfloks nur schwer unterscheiden“, erklärt Hans Bauer von Ravir-Film. Deshalb haben die Entwickler schließlich – in Absprache mit Breuninger und Otto – kleine Markierungen in Reichsbahn-Optik auf aufgebracht, damit die Smartphones ihre Auslösepunkte finden.
HTW und TU entwickeln Oldtimer-Scanner
Ein anderes Problem: Der Chromglanz von Oldtimern verwirrt alle marktüblichen Scanner. „Im ersten Anlauf mussten wir deshalb viel per Hand modellieren – mit Messschieber, Lineal, und Blaupause“, berichtet Markus Wacker. In Zukunft wollen die HTW-Studenten aber noch mehr Exponate im Verkehrsmuseum einscannen und digital erweitern – und da stoßen manuelle Methoden an ihre Grenzen. „Wir wollen daher nun zusammen mit den Kollegen von der TU doch noch Scan-Methoden für metallisch glänzende Objekte entwickeln“, verrät der HTW-Professor.
Autor: Heiko Weckbrodt
Quelle: Vor-Ort-Recherche, Verkehrsmuseum Dresden, Ravir
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