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Neue Rentnerkraft durch Robotermuskeln

Mit den sogenannten Hasel-Musikeln können Roboterhände selbst so empfindliche Objekte wie eine Himbeere greifen, ohne sie zu zerdrücken. Hasel ist eine Abkürzung für "Hydraulically Amplified Self-healing ELectrostatic Actuator", also hydraulisch verstärkte selbstheilende elektrostatische Aktuatoren. Bildschirmfoto aus dem Youtube-Video "HASEL artificial muscles for next-generation soft robotics" der University of Colorado

Mit den sogenannten Hasel-Musikeln können Roboterhände selbst so empfindliche Objekte wie eine Himbeere greifen, ohne sie zu zerdrücken. Hasel ist eine Abkürzung für „Hydraulically Amplified Self-healing ELectrostatic Actuator“, also hydraulisch verstärkte selbstheilende elektrostatische Aktuatoren. Bildschirmfoto aus dem Youtube-Video „HASEL artificial muscles for next-generation soft robotics“ der University of Colorado

Experte für selbstheilende Kunstmuskeln wechselt als Humboldt-Professor von den USA an die TU Dresden

Dresden, 19. Mai 2020. Mit selbstheilenden Roboter-Muskeln will der Physiker Christoph Keplinger gebrechlichen Senioren wieder neue Kraft im Alltag verleihen: Der aus Österreich stammende Forscher arbeitet derzeit in den USA an Robotern, die aus neuartigen Polymermuskeln statt aus Stahl bestehen. Nun wechselt er von der University of Colorado als Humboldt-Professor an die TU Dresden. Dort baut er am „Else-Kröner-Fresenius-Zentrum für Digitale Gesundheit“ (EKFZ) eine eigene Abteilung für die Konstruktion „weicher“ Roboter auf.

Christoph Keplinger. Foto: University of Colorado Boulder

Christoph Keplinger. Foto: University of Colorado Boulder

Österreicher will neue Forschungsgruppe aufbauen

„Dresden als Standort bietet mit der TU und ihrer exzellenten Hochschulmedizin ein attraktives Umfeld für anwendungsbezogene Forschung“, betonte der Wissenschaftler. Er freue sich sehr darauf, hier „eine interdisziplinäre Forschergruppe für Soft Robotics mit Schwerpunkt in der Medizin aufzubauen“.

Erklärvideo (Uni Colorado):

Programm soll Spitzenkräfte nach Deutschland locken

Mit 36 Jahren ist der im oberösterreich Rohrbach geborene Christoph Keplinger einer der jüngsten Preisträger der mit jeweils fünf Millionen Euro dotierten „Alexander von Humboldt“-Professuren. Mit diesem Programm will die Humboldt-Stiftung mehr Spitzenwissenschaftler nach Deutschland locken.

Menschenähnliche Roboter und innovative Prothesen möglich

Christoph Keplinger steht für neue Ansätze in der Robotik und in dere Prothesen-Forschung: Er entwickelt künstliche Muskeln aus Polymeren, die durch elektrische Signale dazu gebracht werden, sich zu dehnen, durchsichtig zu werden und erlittene „Verletzungen“ selbst wieder zu heilen. Bei elektrischen Schäden dauert dies nur Sekunden, berichtet der Physiker auf Oiger-Anfrage. „Wir arbeiten auch an verschiedenen Konzepten zur Selbstheilung von mechanischen Schäden wie Schnitte oder Kratzer. Dabei handelt es sich um Prozesse, die etwa einen Tag dauern.“

Die künstlichen Muskeln beim Gewichtheben. Fotos: Keplinger Research Group and Science Robotics/AAAS

Die künstlichen Muskeln beim Gewichtheben. Fotos: Keplinger Research Group and Science Robotics/AAAS

Hohe Lebensqualität bis in Alter als Ziel

Mit solchen Kunstmuskeln lassen sich künftig beispielsweise menschenähnlichere Roboter bauen, möglich wären auch künstliche Arme und Beine für verstümmelte Menschen oder leichte Exoskelette, die Lahme wieder laufen lassen. „Oft sind alternde Menschen geistig noch sehr fit, aber der Körper macht nicht mehr mit“, weiß der Forscher. „Dazu beizutragen, diesen Menschen eine hohe Lebensqualität und Selbständigkeit bis ins sehr hohe Alter zu ermöglichen, das motiviert mich jeden Tag an neuen kreativen Ideen zu arbeiten.“

Auch die US-Weltraumbehörde NASA hat Exoskelette entwickeln zu lassen, um zu testen, ob sich damit die Kraft von Astronauten verstärken lässt. Foto: NASA

So sind Exoskelette – hier ein Muster der US-Weltraumbehörde NASA – heute meist noch: schwer und extrem teuer. Foto: NASA

Ärzte hoffen auf innovative Prothesen

Die Uniärzte in Dresden wiederum hoffen darauf, dass der Humboldt-Professor neue Impulse für die Medizintechnik mitbringt: „Professor Keplinger ist mit seiner Forschung zu aktiven Prothesen der nächsten Generation, Aktuatorsystemen und chirurgischen Roboterwerkzeugen ein hochkarätiger Zuwachs für die Dresdner Hochschulmedizin“, betonte Uniklinik-Vorstand Prof. Michael Albrecht.

Weitere Firmengründung in Deutschland denkbar

Und erste Schritte in Richtung Praxiseinsatz sind schon getan: Mit „Artimus Robotics“ hat Keplinger in Boulder in den USA ein Unternehmen gegründet, das bereits erste Testprodukte der neuen Hasel-Muskeln an einige Kunden ausliefert. „Wir sind auch am Überlegen, ob ein weiterer Standort von Artimus Robotics in Deutschland sinnvoll ist“, berichtet der Professor. Anknüpfungspunkte mit Roboterherstellern wie Festo und mit der deutschen Automobilindustrie sieht er hier viele. „Genau wie Roboter werden auch die Autos der Zukunft immer anpassungsfähiger und sowohl im Innenraum als auch außen sich wechselnden Passagieren oder Umweltbedingungen anpassen“, ist er überzeugt. „Dafür sind weiche, adaptive Systeme wie künstliche Muskeln sehr attraktiv.“

Dresden, Stuttgart und Tübingen wollen in Robotik kooperieren

Normalerweise sind die Humboldt-Professuren auf fünf Jahre limitiert. Hinter den Kulissen verhandeln die TU Dresden und das Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart und Tübingen bereits über ein Kooperationsmodell, durch das der Weichroboter-Spezialist dauerhaft in Deutschland gehalten werden kann. „Durch diese angestrebte enge Kooperation mit einem der europaweit führenden Forschungsinstitute für Robotics entsteht ein noch größerer Mehrwert für die TU“, schätzte der Dresdner Uni-Rektor Prof. Hans Müller-Steinhagen ein. Falls er Direktor in dem schwäbischen Max-Planck-Instiut werden sollte, will Keplinger mindestens 30 Jahre in Deutschland forschen – in Stuttgart an den Grundlagen, in Dresden am Praxiseinsatz seiner Robotermuskeln – vor allem in der Medizin.

Auch Sachsen will in Robotertechnik eine 1. Geige spielen

Sachsen gilt zwar nicht gerade als Hochburg der Robotik, profiliert sich in dieser Disziplin seit einiger Zeit aber mit Innovationen. Unternehmen wie Xenon und Fabmatics Dresden beispielsweise treiben die Fabrik-Automatisierung voran, Wandelbots Dresden ist ein gefragter Entwickler für intuitive Roboter-Anlernsysteme und an der TU Chemnitz arbeitet Professorin Ulrike Thomas an Robotern mit menschenähnlichen Eigenschaften, die auf Beinen laufen können. Auch an der TU und der HTW Dresden beschäftigen sich Forscher mit Robotikthemen.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: TUD, Humboldt-Stiftung, Oiger-Archiv, University of Colorado

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt