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Helmholtz Dresden sucht nun Spitzen-Nachwuchsforscher in Afrika und Osteuropa

Prof. Sebastian Schmidt ist seit April 2020 der wissenschaftliche Direktor des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf. Foto: Heiko Weckbrodt

Prof. Sebastian Schmidt ist seit April 2020 der wissenschaftliche Direktor des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf. Foto: Heiko Weckbrodt

Der neue Wissenschaftsdirektor Sebastian M. Schmidt will im Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf eine riesige Elektronenkanone bauen und den Blick über den Tellerrand schärfen.

Dresden, 29. April 2020. Die Wissenschaftler in Rossendorf bekommen in den nächsten Jahren neue Groß-Forschungsgeräte, sollen aber auch öfter über ihre Fachgrenzen hinausschauen und Kooperationen mit Osteuropa und Afrika aufbauen. Das hat der neue wissenschaftliche Direktor Prof. Sebastian M. Schmidt des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) angekündigt. Der 1967 in Greifswald geborene Quantenphysiker und bekennende Star-Trek-Fan muss demnächst auch viel Geld auftreiben: Er will unter anderem einen rund 200 Millionen Euro teuren und weltweit einmaligen Elektronenbeschleuniger namens „Dali“ bauen, der wie ein riesiger Nacktscanner für Biomoleküle arbeitet und die Anziehungskraft des HZDR noch einmal deutlich steigern dürfte. DNN-Reporter Heiko Weckbrodt hat ihn über seine Pläne ausgefragt.

„Entdecker in der Nanowelt“:

Ich sehe da Raumschiff-Bilder und einen Kommunikator aus der Fernsehserie „Enterprise“ auf dem Bord hinter ihnen. Sind Sie Star-Trek-Fan?

Schmidt (lächelt verschmitzt): Ich denke immer wieder an den Vorspann: Die Enterprise reist dorthin, wo kein Mensch zuvor gewesen ist. Das könnte auch für unser Zentrum der Leitspruch sein. Nur dass wir nicht durch den Weltraum reisen. Wir sind Entdecker in der Nanowelt und der Quantenwelt. Abgesehen davon hätte ich diese Stücke daheim nicht aufhängen können.

Wie weit ist das Rossendorfer Zentrum auf dem Weg in unbekannte Welten denn schon gelangt? Prosaischer gefragt: Wo steht das HZDR in der Wissenschaftsgemeinde?

Wir sind gut aufgestellt. Mein Vorgänger Roland Sauerbrey hat das HZDR klug als multiprogrammatisches Großforschungszentrum positioniert, ohne sich zu verzetteln.

Prof. Roland Sauerbrey, wissenschaftlicher Direktor des HZDR. Foto: André Wirsig für das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf

Schmidts Vorgänger Prof. Roland Sauerbrey hatte das HZDR schräfer profiliert und international sichtbarer gemacht. Nun sind die nächsten Schritte fällig, meint sein Nachfolger. Foto: André Wirsig für das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf

Was wollen Sie anders machen?

Der eingeschlagene Weg ist schon richtig. Ich wünsche mir aber eine stärkere Vernetzung zwischen unseren großen Forschungsbereichen Gesundheit, Materie und Energie. Wenn Physiker und Lebenswissenschaftler zusammenarbeiten, können sie gemeinsam mehr erreichen. Ich möchte eine Atmosphäre schaffen, die jeden Wissenschaftler ermuntert, mal ins Nachbargebäude zu schauen oder sich mit den Kollegen aus den anderen Fachdisziplinen auf einen Kaffee zu treffen. Ich plane zum Beispiel ein neues Programm für Vernetzungs-Doktoranden: Jeweils zwei Institute aus verschiedenen Bereichen von uns sollen sich zusammentun, um einen Nachwuchswissenschaftler bei einer fachübergreifenden Dissertation zu betreuen. Ich wette, da kommen viele neue Ideen heraus.

Der Terahertz-Scanner spürt verborgene Wandgemälde und Biozide in Kunstwerken auf. Abb.: Andrea Schmidt, HfBK

Terahertz-Quellen sind den Laien vor allem als „Nacktscanner“ am Flughafen bekannt. Dort sie können weit mehr – zum Beispiel verborgene Wandgemälde und Biozide in Kunstwerken aufspüren. Abb.: Andrea Schmidt, HfBK

Wissenschaftler suchen 200 Millionen Euro für einen Riesen-Nacktscanner

Sind Großinvestitionen geplant?

Das größte Projekt ist die „Dresden Advanced Light Infrastructure“, kurz „Dali“: ein neuer leistungsstarker Elektronenbeschleuniger auf dem HZDR-Campus, der Terahertz-Strahlung erzeugt und mit starken Lasern gekoppelt wird. Die Terahertz-Strahlen versetzen die Untersuchungsobjekte in einen Zustand, in dem wir mit dem Laser in Echtzeit Prozesse sehen, die bisher der direkten Beobachtung kaum zugänglich waren: Wir können damit zum Beispiel die Informationsverarbeitung in menschlichen Zellen sichtbar machen, Molekülen bei der chemischen Verbindung zuschauen und Materialien für neue Speicherchips finden. Diese Großforschungsanlage wird voraussichtlich gegen Ende des Jahrzehnts in Betrieb gehen und rund 200 Millionen Euro kosten. Wenn der Bund dieses Geld bewilligt, bekommen wir ein neues Alleinstellungsmerkmal, das auch viele Wissenschaftler von außerhalb anziehen dürfte.

Das HZDR hat in den vergangenen Jahren Außenstellen und Labore in Freiberg, Görlitz, Leipzig, Hamburg, Grenoble und im israelischen Rechovot aufgebaut. Stehen weitere Dependancen und internationale Projekte auf ihrer Agenda?

Ich hoffe zum Beispiel auf Kooperationen mit den Universitäten in Prag und Breslau. Ein erster Ansatz könnten gemeinsame Symposien sein, die wir abwechselnd in Dresden und Breslau austragen.

Viele Chancen sehe ich auch in Schwellenländern: Wenn es uns schon selten gelingt, den USA die vielversprechenden Nachwuchs-Forscher wegzuschnappen, dann können wir solche „Young Potentials“ aber womöglich zum Beispiel in Georgien oder in Afrika finden. Und das meine ich nicht im Sinne eines „Wegnehmens“: Vielleicht können wir in einem afrikanischen Land die Gründung eines Labors unterstützen, damit die jungen Leute nach ihrer Zeit in Rossendorf in ihr Heimatland zurückkehren und dort eine Perspektive finden, um ihre Forschungen fortzusetzen.

Diversität ist Gebot der Stunde

Gute Leute zu finden ist wohl überall zum Problem geworden…

In der Tat: Versuchen Sie zum Beispiel mal, zehn neue Stellen für Experten zu besetzen, die auf „Künstliche Intelligenz“ oder Daten-Analysen spezialisiert sind. Da stehen wir in einem harten Wettbewerb mit vielen anderen, die auf dem Gebiet forschen.

Einerseits hoffe ich, dass wir da mit der TU Dresden als unserem wichtigsten strategischen Partner zu Lösungen kommen. Denkbar wären stärkere Spezialisierungen im Studium, so dass in Dresden künftig mehr KI- und Big-Data-Absolventen verfügbar sind.

Andererseits brauchen wir mehr Diversität. Wir müssen zum Beispiel mehr weibliche Fachleute gewinnen. Und eben auch Experten von überall her. Jeder ist hier willkommen. Und wissenschaftlicher Arbeit tut es nur gut, wenn ganz verschiedene Sichtweisen einfließen.

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt