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Roter Riese glüht im Eiswurmlager

Ein Kran hebt den Beschleuniger vor den Stolleneingang im Plauenschen Grund in Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Ein Kran hebt den Beschleuniger vor den Stolleneingang im Plauenschen Grund in Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Mit einem unterirdischen Beschleuniger wollen Dresdner Physiker das Innere von Riesensternen simulieren

Dresden, 27. April 2017. Fast wie ein zu groß geratener Photonen-Torpedo aus den „Enterprise“-Filmen sieht der acht Meter lange Koloss aus, der da zwischen den Felswänden schwebt. Langsam, ganz langsam senkt sich das zehn Tonnen schwere Aggregat auf ein blaues Bett aus Stahl. Der Vorarbeiter hebt den Helm, sucht die Augen des Kranfahrers, spreizt Daumen und Zeigefinger leicht: vier Zentimeter noch. Dann sitzt der Beschleuniger so, dass ihn die stählernen Chaisenträger in den Stollen hieven können. Die Physiker ringsum nicken zufrieden: Ja, das sieht gut aus. Der Rote Riese ist im Eiswurmlager in Dresden-Coschütz gelandet. Die ehemalige Felsenkeller-Brauerei wird damit als Forschungsstandort weiter ausgebaut.

Der schwere beshcleuniger-Tank muss genau aufs Stahllager platziert werden, damit er dann in den Stollen geschoben werden kann. Foto: Heiko Weckbrodt

Der Kranführer und die Arbeiter müssen den schweren Beschleuniger-Tank genau aufs Stahllager platzieren, damit er dann in den Stollen geschoben und gezogen werden kann. Foto: Heiko Weckbrodt

Aus Konkursmasse gekauft

Denn die Wissenschaftler der TU Dresden und des Helmholtz-Zentrums Dresden Rossendorf (HZDR) haben Großes mit der Röhre vor, wenn sie am Jahresende von einem Labor umhüllt ist. „In dem Tank steckt ein elektrostatischer Ionen-Beschleuniger“, erklärt HZDR-Strahlenphysiker Dr. Daniel Bemmerer. „Den haben wir aus der Konkursmasse einer britischen Firma übernommen, die Arzneimittel untersucht hat, aber die Lehmann-Wirtschaftskrise nicht überstanden hat. Wir wollen damit die Kernfusion in Sternen nachstellen.“

Chirurgen des Uniklinikums Dresden und des Leichtbau-Instituts ILK der TU haben gemeinsam neuartige Kiefer-Implantate aus aus kohlenstofffaser-verstärkten Polyetheretherketon entwickelt. Diese Leichtbau-Implantate sollen die Komplikationen klassischer Metallbrücken (Bruch, Lockeung etc.) verhindern. Foto: TUD-ILK

Ohne Kohlenstoff kein Mensch Foto: TUD-ILK

Nur Wasserstoff gab’s nach dem Urknall en gros

Davon erhoffen sich die Forscher neue Erkenntnisse darüber, wie unsere Welt eigentlich so werden konnte, wie wir sie kennen. Denn was uns alltäglich und banal erscheint, ist alles andere als selbstverständlich: Leben und schließlich der Mensch konnten auf der Erde nur entstehen, weil im Universum Elemente wie Wasser-, Sauer- und Kohlenstoff in bestimmten Mengen verfügbar sind. Der einfache Part war da noch der simpel gestrickte Wasserstoff: Dessen Atome bestehen in der Regel nur aus nur einem Proton und einem Elektron und entstanden massenhaft nach dem Urknall. Aus der Fusion dieser Wasserstoff-Atome zu Helium ziehen Sterne wie unsere Sonne über Milliarden Jahre hinweg all ihre Wärme.

Die Computervisualisierung zeigt, wie das Schwarze Loch (l.) den Roten Riesen langsam verschlingt. Abb.: Nasa

Die Computervisualisierung zeigt, wie ein Schwarzes Loch (l.) einen Roten Riesen langsam verschlingt. Abb.: Nasa

Rote Riesen widmen sich dem „Kohlenstoff-Brennen“

Doch um schwerere Elemente wie Kohlenstoff und Sauerstoff auszubrüten, bedarf es sehr großer und alter Sterne, zum Beispiel sogenannter „Roter Riesen“. Sind Druck, Dichte und Hitze in ihrem Innern stark genug, überwinden die Atomkerne ihre natürlichen Barrieren untereinander und verschmelzen zu komplexeren Elementen. Entsteht dabei Kohlenstoff, reden Astrophysiker auch vom „Kohlenstoff-Brennen“.

5 Millionen Volt bringen Ionen auf Trab

Um diese kosmischen Brutstätten für Elemente nachzustellen, wird der Beschleuniger im Eiswurmlager mit Hochspannungen bis zu fünf Millionen Volt arbeiten. Dadurch kann er geladene Atomkerne nahezu bis auf Lichtgeschwindigkeit bringen und gegen andere Ionen schießen, so dass extreme Zustände wie im Innern der Roten Riesen entstehen. Vor allem wollen die Dresdner Forscher dabei herausbekommen, warum diese kosmischen Fabriken immer wieder in einem ganz bestimmten Verhältnis Kohlenstoff und Sauerstoff produzieren.

Hofft auf neue Erkenntnisse über die Kernfusion in Riesensternen: Physiker Daniel Bemmerer neben dem Beschleuniger-Tank beim Eiswurmlager in dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Hofft auf neue Erkenntnisse über die Kernfusion in Riesensternen: Physiker Daniel Bemmerer neben dem Beschleuniger-Tank beim Eiswurmlager in dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Schutzschild gegen Myonen-Hagel

„Prinzipiell gibt es solche Pelletron-Beschleuniger auch anderswo“, betont Dr. Bemmerer. „Aber weltweit existiert nur noch eine weitere Anlage dieser Art in Italien, die gegen kosmische Strahlung abgeschirmt ist.“ Dazu muss man wissen, dass tagtäglich ein unsichtbarer Hagel aus sogenannten Myonen auf die Erde einprasselt. Dabei handelt es sich um Teilchen, die nur wenig schwerer als Elektronen sind und sich an der Grenze zwischen Erdatmosphäre und Weltall ständig neu bilden. Eigentlich haben sie nur eine sehr kurze Lebensdauer von wenigen Mikrosekunden. Weil sie aber so schnell sind, dehnt sich diese Zeit durch relativistische Effekte soweit, dass sie die Erde noch erreichen. „Da das unsere Messungen verzerrt, können wir die Experimente nicht auf der Erdoberfläche durchführen“, erklärte Prof. Kai Zuber vom TU-Institut für Kern- und Teilchenphysik.

Das alte Fabrikensemble der Felsenkeller-Brauerei im Dresdner Stadtteil Coschütz ist heute ein Gewerbehof und eine Forschungseinrichtung. Foto (bearbeitet): Heiko Weckbrodt

Das alte Fabrikensemble der Felsenkeller-Brauerei im Dresdner Stadtteil Coschütz ist heute ein Gewerbehof und eine Forschungseinrichtung. Foto (bearbeitet): Heiko Weckbrodt

Brauer gruben Eiswurmlager vor über 150 Jahren

Daher haben sich die Physiker auf die alten Stollen im Weißeritztal besonnen, die einen fast 50 Meter dicken steinernen Schutzschild gegen den kosmischen Teilchenhagel bieten. Diese Keller hatte die Felsenkeller-Brauerei vor über 150 Jahren in den Plauenschen Grundes hauen lassen – damals freilich nicht, um Bier vor Myonen zu schützen, sondern um ständig kühlendes Eis auf Lager zu haben. 1991 ging die Brauerei wie so viele DDR-Betriebe den Bach oder vielmehr die Weißeritz runter. Die insgesamt 66 Meter langen Felsengänge aber blieben.

Rossendorfer nutzen Eiswurmlager seit 1982 für Präzions-Messungen

Den benachbarten Stollen Nummer 4 nutzen bereits seit 1982 Rossendorfer Ingenieure als „Niederniveaumesslabor“. Zunächst gehörte das unterirdische Messlabor zum DDR-Kernforschungszentrum Rossendorf. Seit der Wende messen dort Experten des Vereins „Strahlenschutz, Analytik & Entsorgung Rossendorf“ (VKTA) extrem schwach radioaktive Proben aus. Die VKTA-Mitarbeiter können unter dem abschirmenden Felsen selbst dann noch ionisierende Strahlung nachweisen, wenn die eine Million Mal schwächer ist als die natürliche Strahlung im menschlichen Körper.

Schon die Felsenkeller-Brauerei hatte neben dem Eiswurm-Lager ein eigenenes Laboratorium. Foto (bearbeitet): Heiko Weckbrodt

Schon die Felsenkeller-Brauerei hatte neben dem Eiswurm-Lager ein eigenes Laboratorium. Foto (bearbeitet): Heiko Weckbrodt

Nobelpreisträger zum Richtfest im Fels erwartet

In einen weiteren Stollen des Eiswurmlager hat eine Spezialfirma heute nun den Beschleuniger gehievt. In den nächsten Monaten werden Arbeiter für 1,2 Millionen Euro ein komplettes Laboratorium um das Aggregat herum und in den Fels hineinbauen. Auch planen die Dresdner Physiker weitere technische Vorrichtungen wie einen Veto-Detektor für jene Myonen, die den schützenden Felsschild doch durchschlagen.

Insgesamt wird das Labor mit Beschleuniger über zwei Millionen Euro kosten, von denen einen Teil die „Deutsche Forschungsgemeinschaft“ (DFG) finanziert. Zum Richtfest für Deutschlands tiefstes Teilchenlabor im Sommer erwarten TU und HZDR als Stargast den kanadischen Nobelpreisträger Prof. Arthur B. McDonald. Der Probebetrieb soll im Dezember 2017 starten.

Die Brauerei mit dem Eiswurm im Logo hatte sich nahe der Weißeritz angesiedelt. Foto (bearbeitet): Heiko Weckbrodt

Die Felsenkeller-Brauerei mit dem Eiswurm im Logo hatte sich nahe der Weißeritz angesiedelt. Foto (bearbeitet): Heiko Weckbrodt

Starkes internationales Interesse erwartet

Die Forschungsanlage könnte eine Pilgerstätte für Wissenschaftler aus Nah und Fern werden: Anders als das Alternativ-Aggregat in Südeuropa, das die Italiener fernab der Zivilisation eingegraben haben, wird der Dresdner Eiswurm-Beschleuniger relativ leicht zugänglich sein. „Wir wollen unsere Anlage auch internationalen Kollegen zugänglich machen“, verspricht Dr. Bemmerer. Für das neue Labor habe man eigens eine Beratungskommission eingesetzt, die die kostbare Experimentierzeit an die Wissenschaftler mit den interessantesten Vorschlägen verteilen soll.

Autor: Heiko Weckbrodt

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Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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