Dresden-Lokales, Geschichte

Feuer, Bombendonner und Angst

Stadtarchiv-Direktor Thomas Kübler (l.) und Kulturbürgermeister Ralf Lunau sichten die eingereichten Zeitzeugen-Berichte. Foto: Heiko Weckbrodt

Stadtarchiv-Direktor Thomas Kübler (l.) und Kulturbürgermeister Ralf Lunau sichten die eingereichten Zeitzeugen-Berichte. Foto: Heiko Weckbrodt

235 Zeitzeugen-Berichte über Zerstörung Dresdens 1945 kommen ins Stadtarchiv

Dresden, 25. März 2015: Damit die Erinnerungen an die Schrecken des Krieges und die Zerstörung Dresdens nicht aus dem kollektiven Gedächtnis der Stadt verschwinden, wenn die letzten Überlebenden gestorben sind, hat das Stadtarchiv Dresden heute Berichte, Tagebücher, Fotos und andere Materialien von 235 Zeitzeugen in seinen Bestand übernommen.

Interviews, Briefe und Tagebücher wichtige Ergänzung zu offiziellen Akten

Archivdirektor Thomas Kübler versprach, die Kartons voller Unterlagen schnellstmöglich zu sichten, teils auch zu digitalisieren, um sie Forschern und nachfolgenden Generationen dauerhaft zugänglich zu machen. „Solche Zeitzeugenberichte sind eine wichtige Komplementär-Quelle zu den offiziellen Akten über jene Zeit.“

Neben dem wissenschaftlichen Wert zum Beispiel für die alltagsgeschichtliche Forschung seien solche persönlichen Erinnerungen auch besonders gut geeignet, um den jungen Dresdnern von heute, für die der Weltkrieg in ferner Vergangenheit liege, das Denken und Erleben, Schuld und Leid jener Menschen nahe zu bringen, die 1945 junge Leute waren. Stellvertretend für viele übergab der frühere Kriminalhauptkommissar Karl-Heinz Sobierajski an Kübler die Erinnerungscollage seines Verwandten Dietmar Rietschier. Der hatte als Kleinkind das Bombardement in der Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945 in Dresden hautnah erlebt. Er wohnt seit Jahrzehnten aber in den USA.

Ein Bericht über die Tage nach dem Bobardement. Foto: hw

Ein Bericht über die Tage nach dem Bombardement. Foto: hw

Mit dem Pferdegespann hinaus aus der brennenden Stadt

Dietmar Rietschier war noch keine drei Jahre alt, als seine Welt um ihn zusammenbrach. Nur noch dunkel erinnert sich der Architekt, der heute im US-amerikanischen Luisana lebt, an die Nacht des 13. Februars 1945: Wie seine Mutter im Rundfunkempfänger die Meldung von den nahenden britischen Bomberstaffeln hörte, wie sie ihren Sohn aus dem Bett holte, ihm eilig ein paar Klamotten überzog und in den Keller lief. „Woran er sich aber noch gut erinnert, waren die Angst, die er damals hatte, das Knallen und das Feuer überall, als die Familie nach der ersten Angriffswelle den Keller verließ“, erzählt Karl-Heinz Sobierajski. Auch dass sich Mutter und Kind bald wieder verstecken mussten, als der zweite Nachtangriff folgte. „Am Morgen sind sie dann aus brennenden Stadt hinausgegangen, in einen Vorort. Dort wurden sie von einem Pferdegespann in Richtung Dippoldiswalde mitgenommen.“

Karl-Heinz Sobierajkski und Kulturbürgermeister Ralf Lunau (l.) mit der Erinnerungscollage von Dietmar Rietschier. Foto: Heiko Weckbrodt

Karl-Heinz Sobierajski und Kulturbürgermeister Ralf Lunau (l.) mit dem Erinnerungsposter von Dietmar Rietschier. Foto: Heiko Weckbrodt

Letztlich in den USA gelandet

Das Haus seiner Kindheit hat Sobierajskis Großschwager Dietmar Rietschier nur noch einmal wiedergesehen, als seine Mutter noch einmal nach Dresden zurückkehrte, um zwischen den Trümmern nach unversehrten Habseligkeiten zu wühlen. 1949 wanderte die Familie nach Südamerika aus, Dietmar Rietschier selbst siedelte später in die USA über, wo er Architektur und Bauwesen studierte. Dort ist er heute Exekutivdirektor einer Wasserbauschutz-Firma in Louisana.

Auch Fotos und Tagebücher haben die Zeitzeugen beigesteuert. Foto: Heiko Weckbrodt

Auch Fotos und Tagebücher haben die Zeitzeugen beigesteuert. Foto: Heiko Weckbrodt

„Die Erlebnisgeneration stirbt aus“

Diese persönlichen Erinnerungen an jene schicksalhafte Nacht sind nur ein Puzzleteil unter vielen, um die „erinnerungskulturelle Arbeit in der Stadt“ zu unterstützen, wie es Kulturbürgermeister Ralf Lunau (parteilos) bei der Übergabe der gesammelten Zeitzeugen-Berichte und -Materialien formulierte. Und Archivdirektor erwartet von ihnen vor allem „autobiografische“ Erkenntnisgewinne: „Diese Briefe, Tagebuch-Eintragungen, Interviews und Fotos erzählen uns beispielsweise, wo die Überlebenden später hingegangen sind, wie sie ihre Traumata verarbeitet haben, welche Familienschicksale sich damals ereignet haben.“ Zudem dürfe man sich nichts vormachen: „Die Erlebnisgeneration stirbt aus“, warnte Kübler. „Umso wichtiger ist es, solche Zeugnisse für die Nachwelt aufzuzeichnen, aufzuarbeiten und aufbewahren.“

Zeitzeugenarchiv wächst

Das Stadtarchiv Dresden wird die neuen Bestände in sein Zeitzeugen-Archiv integrieren. Das wurde ab 1999 aufgebaut und fokussiert sich vor allem auf zwei Schwerpunkte: Die Bombardierung Dresdens am 13. und 14. Februar 1945 und die Wendeereignisse 1989/90 in Dresden. Inzwischen umfasst dieses Teilarchiv 17 laufende Meter Unterlagen. Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt