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IHK Dresden: Sachsen muss Fachkräfte-Akquise im Ausland ausbauen

Länder mit wachsender Bevölkerung und hoher Jugendarbeitslosigkeit wie Vietnam - hier eine Straßenszene aus Saigon - rücken drei Dekaden nach der Wende wieder in den Fokus der sächsischen Arbeitskräfte-Akquise. Foto: Heiko Weckbrodt

Länder mit wachsender Bevölkerung und hoher Jugendarbeitslosigkeit wie Vietnam – hier eine Straßenszene aus Saigon – rücken drei Dekaden nach der Wende wieder in den Fokus der sächsischen Arbeitskräfte-Akquise. Foto: Heiko Weckbrodt

Wirtschaftskammer will zentrale Anlaufstellen in allen Kreisen und schnellere Visa-Vergabe

Dresden, 6. April 2023. Die Novelle für das deutsche Fachkräfte-Einwanderungsgesetz wie auch die sächsische Fachkräfte-Strategie sind Schritte in die richtige Richtung – bedürfen aber weiterer Verbesserungen. Und den bloßen Absichtserklärungen müssten auch Taten folgen. Das hat Präsident Andreas Sperl von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Dresden heute eingeschätzt.

Andreas Sperl. Foto: IHK Dresden

Andreas Sperl. Foto: IHK Dresden

Um zugewanderte Fachkräfte führt künftig kaum ein Weg für Sachsen herum

Denn mittlerweile pressiert der Arbeiter- und Spezialistenmangel in der sächsischen Wirtschaft bereits sehr. Die Binnen-Reserven an weiblichen Spezialisten und Senioren reichen laut IHK nicht einmal ansatzweise aus, um diese wachsenden Lücken zu füllen. Und vielen Flüchtlingen, die bereits im Lande sind, fehlen geeignete Qualifikationen für anspruchsvollere Stellen. Das deckt sich mit ähnlichen Analysen durch das „Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung“ (IAB), das Ifo-Institut in Dresden sowie den Branchenverband „Silicon Saxony“. „Für mehr und mehr Betriebe führt kaum noch ein Weg um Zuwanderer herum“, betonte Sperl. „Der Fachkräftemangel ist eine echte Wachstumsbremse.“

Noch viel zu viel Bürokratie

Zwar gebe es auch eine Reihe von Unternehmen, die es mit Zuwanderern probiert haben und danach sagen: „Einmal und nie wieder“, ergänzt IHK-Sprecher Lars Fiehler. Aber das liege eher selten an den Kollegen aus dem Ausland selbst, sondern vielmehr an dem bürokratischen Aufwand, der daran hängt: Erst müssen die Fachkräfte in den überlasteten deutschen Botschaften im Ausland monatelang auf ein Visum warten, dann in Sachsen Papierkriege bewältigen, teils bis zu ein Jahr auf einen Deutsch-Sprachkurs warten und dergleichen mehr. Hier seien Verbesserungen dringend nötig.

Lukas Rohleder ist Geschäftsführer des sächsischen Energietechnologie-Branchenverbandes "Energy Saxony". Foto: Heiko Weckbrodt

Lukas Rohleder. Foto: Heiko Weckbrodt

Gehaltshürden für viele sächsische Betriebe zu hoch

So fordere beispielsweise das novellierte Fachkräftegesetz immer noch einen garantierten Brutto-Monatsverdienst von mindestens 3216 Euro, bevor ein ausländischer Arbeiter ein Visum bekommt. Zudem müssten ausländische Fachkräfte, die ein Arbeitssuche-Visum wollen, prophylaktisch 934 Euro pro Monat auf ein Sperrkonto einzahlen. Zwar sei es nachvollziehbar, dass der Staat vom Zuwanderer eine Art Garantie wolle, dass der in Deutschland für seinen Lebensunterhalt sorgen kann, betonte IHK-Geschäftsführer Lukas Rohleder. Doch das geforderte Bruttogehalt sei für viele ostdeutsche Betriebe einfach zu hoch angesetzt. Und die obligaten Sperrkonto-Einzahlungen sind wiederum eine hohe Hürde für Menschen beispielsweise aus Vietnam, für die allein die 934 Euro pro Monat daheim teils einem halben Jahresgehalt entsprechen.

Botschaften und Ausländerbehörden brauchen mehr Personal

Die IHK Dresden hat nun eine ganze Liste mit Verbesserungswünschen aufgestellt. Dazu gehören auch mehr Personal für Ausländerbehörden und Botschaften, um die Bearbeitungsdauer für Visa-Anträge und Arbeitserlaubnisse auf maximal sechs Wochen zu drücken. Auch wünscht sich die Kammer eine zentrale Bundesstelle, die die Punkte für die geplante „Chancenkarte“ vergibt, mit der gut geeignete Bewerber besonders schnell einreisen können. „Überhaupt nicht gut wäre es, wenn diese Punkte von unterschiedlichen Stellen unterschiedlich vergeben werden“, meint Rohleder.

Massiver Ausbau der Sprachkurse im In- und Ausland gefordert

Außerdem wünschen sich die ostsächsischen Wirtschaftsvertreter einjährige Vorbereitungskurse mit Spracherwerb und Vorqualifikation bereits im Heimatland für junge Zuwanderer, die in Deutschland eine Ausbildung beginnen wollen. Sinnvoll sei generell ein deutlicher Ausbau der Deutsch-Sprachkurse im In- und Ausland. Ebenfalls auf der Wunschliste stehen Willkommens-Zentren in allen kreisfreien Städten und Landkreisen Sachsen: Sie sollen einstellungswillige Firmen und Neuzugewanderte aus einer Hand beraten und betreuen.

Kammern bieten eigene Ressourcen an, um neue Aufgaben für Außenhandelskammern zu finanzieren

Auch sollten die deutschen Außenhandelskammern im Ausland künftig mehr Befugnisse bekommen, fordert die IHK: Sie sollen beispielsweise in Abstimmung mit der jeweiligen deutschen Botschaft Visa-Anträge von Fachkräften vorprüfen dürfen und die Vorqualifikation der Kandidaten unterstützen. „Die Industrie- und Handelskammern haben bereits dem Auswärtigen Amt angeboten, dafür den Außenhandelskammern Ressourcen zur Verfügung zu stellen“, sagte Sperl. Wenn konkrete Vorschläge vorliegen, werde auch konkret die IHK Dresden erwägen, eigene Experten dafür ins Ausland zu delegieren.

Indien, Vietnam, Venezuela und weitere „Zielregionen“ im Fokus

Weil dies kaum für alle Länder der Welt zu packen sein dürfte, plädiert Sperl – ähnlich wie auch Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) – dafür, dass sich die sächsische Wirtschaft dabei auf eine Handvoll Zielregionen fokussiert. Zur Debatte stehen als Partner für den Freistaat unter anderem Indien, Vietnam, die Türkei, Ägypten, Venezuela und weitere mittel- und südamerikanische Länder. Die Wirtschaftsförderung Sachsen und das Wirtschaftsministerium in Dresden sehen ergänzend auch gute Chancen in Usbekistan, Kirgisien und Ecuador. Um Kolonialmanier-Debatten zu vermeiden, wollen sich die Sachsen jedenfalls auf Länder mit hoher Jugendarbeitslosigkeit konzentrieren. Das Prinzip dabei: Die Wirtschaft im jeweiligen Partnerland darf durch die sächsische Fachkräfte-Akquise nicht ausbluten. Vielmehr soll sie durch in Sachsen weiterqualifizierte Fachleute, die irgendwann vielleicht auch wieder nach Hause zurückkehren, langfristig eher profitieren. Auf welche Zielregionen genau sich der Freistaat demnächst fokussiert, wird demnächst geklärt – unter anderem bei einem sächsischen Fachkräftegipfel am 19. April.

Junge Venezolaner geben Fahrzeugelektrik Pirna neuen Schwung

In der Praxis funktioniere gezielte Fachkräfte-Akquise im Ausland punktuell schon ganz gut, berichtet Sperl: Für den Automobilzulieferer „Fahrzeugelektrik Pirna“ (FEP) beispielsweise habe bereits die Frage im Raum gestanden, ob sie den Standort Pirna auf lange Sicht würde behaupten können, da es immer schwieriger wird, in der Region genug Facharbeiter zu gewinnen. „Durch persönliche Kontakte hat FEP dann mehrere Venezolaner für die Idee begeistert, nach Pirna zu kommen“, erzählt der IHK-Präsident. Durch allerlei flanierende Maßnahmen sei es auch gelungen, die Sprachbarrieren für die jungen Zuwanderer zu senken. „Das Projekt war ein Volltreffer, hat Personalprobleme gelöst – und gleich noch etwas südamerikanischen Schwung in den Betrieb gebracht.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Auskünfte Sperl, Rohleder, Fieler von der IHK DD, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt