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IAB-Ökonom: Ampelpläne für Fachkräfte-Zuwanderung reichen nicht aus

Grenze, Zuwanderung, Grafik: Dall-E / hw

Grafik: Dall-E / hw02

Bisher kommen durch gesteuerte Einwanderung nur etwa 60.000 Qualifizierte pro Jahr nach Deutschland

Nürnberg/Dresden, 2. März 2023. Die bisherigen Ampelpläne für die Einwanderung von Arbeitssuchenden und Qualifizierten reichen nicht aus, um den deutschen Fachkräftemangel deutlich zu mindern. Das hat Direktor Bernd Fitzenberger vom „Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung“ (IAB) Nürnberg eingeschätzt. Die Reformpläne der Ampelkoalition zur Erweiterung des Zuzugs von Fachkräften aus Drittstaaten seien sinnvoll, sie gehen aber nicht weit genug, hieß es von dem Forschungsinstitut der Arbeitsagentur.

„Zuwanderungsregelungen zu restriktiv“

Jenseits der Flüchtlingsbewegungen kommen jährlich nur höchstens 60.000 Menschen im Zuge der gesteuerten Zuwanderung nach Deutschland, um hier zu arbeiten. „Ein Grund dafür ist, dass die derzeitigen Zuwanderungsregelungen zu restriktiv sind,“ schätzt der Ökonom Fitzenberger ein. Sinnvoll sei es beispielsweise, im geplanten Punktesystem für die qualifizierte Zuwanderung nicht nur Deutsch-, sondern auch Englischkenntnisse zu berücksichtigen. Denn in vielen Unternehmen ist Englisch mittlerweile die Betriebssprache. Außerdem plädiert der Ökonom dafür zu prüfen, ob im Medizin- und Pflegesektor, in dem der Personalmangel besonders eklatant ist, ausländische Abschlüsse einfacher anzuerkennen. Auch sollte dabei einschlägige Berufserfahrung berücksichtigt werden. Eine Erwerbstätigkeit auf Probe könnte bei einschlägiger Berufserfahrung im Ausland das Nachholen eines anerkannten Berufsabschlusses ermöglichen.

Punktesystem geplant

Die Bundesampel plant derzeit, das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz zu novellieren und die Einreise für ausländische Fachleute weiter zu vereinfachen. So sollen die Qualifikationsauflagen für Einwanderer gelockert werden, wenn sie eine Arbeitsplatzzusage für Deutschland haben und diese Tätigkeit ausüben können. Außerdem will die Koalition die Gehaltsschwellen für die „Blaue Karte Europa“ reduzieren. „Für Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger soll – ebenso wie derzeit für Fachkräfte in Engpassberufen – im Rahmen der Blauen Karte EU die abgesenkte Gehaltsschwelle gelten“, heißt es in einem Eckpunktepapier des Kabinetts in Berlin. „Wir werden die Vorteile, die mit einer Blauen Karte EU verbunden sind grundsätzlich auf Fachkräfte mit einer qualifizierten Berufsausbildung übertragen.“

Punktesystem à la Kanada und Australien

Entstehen soll auch ein Punktesystem für den Zuzug eines gewissen Kontingents an ausländische Arbeitskräften, die sich in Deutschland eine Arbeit suchen dürfen, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen. „Zu den Auswahlkriterien können Qualifikation, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug und Alter gehören“, heißt es dazu in einer Zusammenfassung des Bundesforschungsministeriums. Ähnliche Punktesysteme für eine selektive Fachkräfte-Zuwanderung gibt es beispielsweise schon seit Jahren in Kanada, Australien und Großbritannien.

Einwanderungsgesetz zieht bisher nur wenig

Hintergrund der Debatte: Zwar ist für Deutschland bereits im März 2020 ein „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ in Kraft getreten. Durch Corona, bürokratische Hürden und Personalengpässe in den deutschen Botschaften und Generalkonsulaten weltweit hat dieses Gesetz bisher nur wenig Wirkung gehabt.

Zu wenige Pfleger, Elektroniker und Solateure

Die Fachkräftelücke in Deutschland wird 400.000 bis 560.000 qualifizierte Arbeitskräfte geschätzt. Die genaue Zahl ist aber umstritten, da hier zum Beispiel nur gemeldete unbesetzte Stellen einfließen. Unstrittig ist aber, dass es – regional in unterschiedlichem Maße – beispielsweise zu wenig Pfleger, Bauelektriker, Erzieher, Mechatroniker, Solateure und Mediziner gibt. Aufgrund des demografischen Wandels wird sich dieses Problem auch nicht im Selbstlauf erledigen. Experten schlagen daher unter anderem vor, die Erwerbstätigkeit von Frauen stärker zu fördern – und eben mehr ausländische Fachkräfte nach Deutschland zu holen.

IAB: Fachkräfteproblem lässt sich nicht dauerhaft durch Geflüchtete lösen

Zwar sind durch die jüngsten Fluchtbewegungen aus Nahost, Nordafrika und zuletzt aus der Ukraine auch Fachkräfte in die Bundesrepublik gelangt. Aber viele Flüchtlinge haben keinen in Deutschland anerkannten Berufsabschluss. Auch in der IAB sind die Analysten überzeugt, „dass das Erwerbspersonenpotenzial durch die große Zahl an Geflüchteten aus der Ukraine zwar gestiegen sei, aber dass der steigende Fach- und Arbeitskräftebedarf nicht systematisch und dauerhaft durch die Zuwanderung von Geflüchteten gesichert werden könne“.

Sachsen setzt auf gezielte Akquise im Ausland

Gerade in den ostdeutschen Bundesländern ist der demografische Wandel und damit die Überalterung der Gesellschaft bereits weiter fortgeschritten als in den alten Bundesländern. Von daher setzt beispielsweise auch Sachsen verstärkt auf qualifizierte Zuwanderung aus dem Ausland. Der Freistaat sowie viele sächsische Unternehmen und Forschungseinrichtungen versucht sich mittlerweile auch verstärkt um eine gezielte Fachkräfte-Akquise in ausgewählten Ländern, zum Beispiel in Indien und Vietnam, aber auch in Usbekistan, Kirgisien und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: IAB, Oiger-Archiv, BMBF, Fachkräfteengpassanalyse 2021 der Arbeitsagentur, Wikipedia, IW Köln

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt