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Verdrängte Erinnerungen verblassen schneller

Ein Schuh, ein Teddy, ein Rosenkranz - manchmal lösen Gegenstände vergessen geglaubte Erinnerungen aus. Wer sie aktiv verdrängt, beschleunigt die Löschprozesse im Gehirn. Foto (bearbeitet): Heiko Weckbrodt

Ein Schuh, ein Teddy, ein Rosenkranz – manchmal lösen Gegenstände vergessen geglaubte Erinnerungen aus. Wer sie aktiv verdrängt, beschleunigt die Löschprozesse im Gehirn. Foto (bearbeitet): Heiko Weckbrodt

Leipziger Planck-Forscher messen Gedächtnisspuren nach gewollter Unterdrückung

Leipzig, 13. Mai 2022. Wenn jemand ungeliebte Erinnerungen verdrängt, gilt das gemeinhin als schlecht. Tatsächlich aber ist dieses aktive Verdrängen ein recht effektiver Schutzmechanismus des Gehirns, damit schmerzhafte Momente im Leben schneller verblassen. Wer später doch daran zurückdenkt – angeregt zum Beispiel durch einen damit verbunden Gegenstand – der erinnert sich weniger lebhaft an das Erlebte. Das haben Ann-Kristin Meyer und Roland G. Benoit vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI-CBS) in Leipzig in Experimenten ermittelt.

„Aktives Vergessen kann ein hilfreicher Mechanismus sein“

„Vergessen hat eigentlich einen schlechten Ruf“, weiß Roland Benoit, der am MPI-CBS die Forschungsgruppe „Adaptives Gedächtnis“ leitet. „Aktives Vergessen kann aber ein hilfreicher Mechanismus sein, um Erinnerungen an schlimme Erlebnisse nicht immer wieder ungewollt aufkommen zu lassen.“ Durch die Kontrolle der eigenen Gedanken sei es offenbar tatsächlich möglich, die Erinnerungen zu schwächen und die neuronalen Spuren im Gehirn potentiell zu löschen.

Oft werden solche ungewollten Erinnerungen durch eigentlich ganz harmlose Gegenstände ausgelöst, die auch bei der ursprünglichen Erfahrung zugegen waren, erklären die Forscher: Ein Gummistiefel könne ein Auslöser sein, um wieder an eine Flut zurückzudenken, für andere sei ein Turnschuh eine Assoziation an einen Autounfall, ein Teddy könne an ein verletztes Kind erinnern. Verdrängt ein Mensch aber absichtlich diese Erinnerungen, dann bleiben sie nicht etwa nur hinter einer Barriere verborgen, sondern verblassen tatsächlich in den neuronalen Netzwerken des Gehirns.

Gegenstände mit negativen Erlebnissen verknüpft

Die Forschungsgruppe hatte diesen Mechanismus in einem dreistufigen Experiment untersucht: Zunächst verknüpften die Teilnehmer die Bilder negativer Erlebnisse mit einem eigentlich neutralen Gegenstand, etwa Flutkatastrophe und Gummistiefel, Autounfall und Turnschuh, verletzte Person und Teddybär. Dazu sahen sie mehrfach die Szenen mit den jeweiligen Gegenständen. Stiefel, Teddy und Bär riefen dadurch schließlich automatisch die schlimmen Bilder hervor. Anschließend wurde mithilfe der Magnetresonanztomografie (MRT) die Hirnaktivität gemessen, während die Teilnehmer sich mit Hilfe der Gegenstände an die Szenen erinnerten.

In einer zweiten Phase bekamen die Personen ebenfalls nur die Gegenstände zu sehen. In einigen Fällen sollten sie sich die dazugehörige Szene in Erinnerung rufen. In anderen Fällen sollten sie jeden Gedanken an die Szene unterdrücken. Im letzten Schritt zeigten die Wissenschaftler den Versuchspersonen wiederum nacheinander alle Gegenstände und baten sie erneut, sich an die jeweiligen Szenen zu erinnern. Hierdurch konnte das Forschungsteam prüfen, ob die vermiedenen Erinnerungen tatsächlich verblasst waren. Zudem konnten sie das Muster der Hirnaktivität vor und nach dem Unterdrücken miteinander vergleichen.

Depressiven fällt Verdrängung schwerer

Diese Abwehrmechanismen nach Traumata fallen im Übrigen nicht allen Menschen gleich schwer oder leicht. Besonders schwer falle es denen, die unter Depressionen oder posttraumatischen Belastungsstörungen leiden, hieß es von den Planck-Forschern.

Quelle: MPI-CBS

Wissenschaftliche Publikation:

Ann-Kristin Meyer and Roland G. Benoit: „Suppression weakens unwanted memories via a sustained reduction of neural reactivation“, eLife 11 (2022), e71309

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt