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Der mit dem Bleistift dachte: Schanz in Seiffen

Max Schanz bei der Arbeit. Repro (hw) aus: Sabine Rommel / Mathias Zahn (Hrsg.): Max Schanz. Spielzeug Gestalten im Erzgebirge. Arnoldsche Art Publishers

Max Schanz bei der Arbeit. Repro (hw) aus: Sabine Rommel / Mathias Zahn (Hrsg.): Max Schanz. Spielzeug Gestalten im Erzgebirge. Arnoldsche Art Publishers

Buch über Max Schanz, der sich in Seiffen um Stil und Qualität der erzgebirgischen Holz- und Spielwarenproduktion verdient machte.

Seiffen. Mit seiner Formsprache hat der Gestalter Max Schanz ganze Generationen von erzgebirgischen Holzspielzeugen mitgeprägt. Seine Enkel würdigen nun im Sammelband „Max Schanz. Spielzeug Gestalten im Erzgebirge“ das Werk ihres Großvaters – und gehen darin bis in die Zeit kurz nach dem ersten großen Maschinenkrieg zurück.

Schwibbogen-Entwurf von Max Schwanz. Repro (hw) aus: Sabine Rommel / Mathias Zahn (Hrsg.): Max Schanz. Spielzeug Gestalten im Erzgebirge. Arnoldsche Art Publishers

Schwibbogen-Entwurf von Max Schanz. Repro (hw) aus: Sabine Rommel / Mathias Zahn (Hrsg.): Max Schanz. Spielzeug Gestalten im Erzgebirge. Arnoldsche Art Publishers

Als Gewerbelehrer nach Seiffen gekommen

Die Kriegs- und Revolutionswirren waren vorbei, die Zeiten aber nach wie vor schwierig, als der 1895 in Dresden geborene Max Schanz am 1. August 1920 auf Empfehlung des renommierten Dresdner Volkskundlers und Volkskunstmuseumsgründers Oskar Seyffert nach Seiffen ging, um hier an der Staatlichen Spielwarenschule als Gewerbelehrer tätig zu werden. Obgleich die Leitung noch bis 1933 in den Händen von Alwin Seifert lag, wirkte Schanz, der im Ersten Weltkrieg als Meldegänger gedient und 1917 den rechten Unterschenkel verloren hatte, in Seiffen in wachsendem Maße eigenständig. Bald organisierte er den Schulbetrieb in eigener Regie. Zusammen mit seinem Kollegen Professor Alwin Seifert prägte er über Jahrzehnte maßgeblich den Stil und die Qualität der erzgebirgischen Holz- und Spielwarenproduktion. Er beeinflusste diverse Schüler. Einer von ihnen prägte den Satz: „Max Schanz konnte mit dem Bleistift denken.“

Von der kleinen Weihnachtsfigur bis zur 5-Meter-Pyramide

Seine Entwürfe wurden durch Arbeitsteilung in familienorientierten Heimindustrien umgesetzt und erfüllten die vom Werkbund festgelegten Standards für eine attraktive ästhetische und professionelle Produktion: von kleinen Weihnachtsfiguren bis zu sechs Meter hohen Weihnachtspyramiden, die samt und sonders eine typische Designsprache sprechen.

Ursula Schanz und eine Mitschülerin bemalen Weihnachtsfiguren. Repro (hw) aus: Sabine Rommel / Mathias Zahn (Hrsg.): Max Schanz. Spielzeug Gestalten im Erzgebirge. Arnoldsche Art Publishers

Ursula Schanz und eine Mitschülerin bemalen Weihnachtsfiguren. Repro (hw) aus: Sabine Rommel / Mathias Zahn (Hrsg.): Max Schanz. Spielzeug Gestalten im Erzgebirge. Arnoldsche Art Publishers

Reich illustriertes Werk erschienen

Daran erinnert ein Buch, das im Herbst 2020 anlässlich des 125. Geburtstages von Max Schanz erschien, aber ein bisschen unterging, weil anderes, vor allem ein „gewisses Virus“, die Schlagzeilen bestimmte. Verfasst haben das reich illustrierte und auch schriftfarbentechnisch optisch ungemein ansprechend gestaltete Werk Sabine Rommel und Mathias Zahn. Sie sind Geschwister – und Max Schanz ihr Großvater. Gekannt haben sie ihren 1953 in Seiffen verstorbenen Opa nicht, eine wichtige Quelle waren Erlebnisse und Schilderungen, die ihren ihre Mutter beziehungsweise Schanz’ Tochter Ursula erzählte. Eine weitere Quelle waren Schriften, die Max Schanz und andere verfassten, so etwa die Jubiläumsausgabe des Erzgebirgischen Generalanzeigers, in der Schanz 1926 durch die Figur des Nussknackers die Geschichte der Spielwarenindustrie seiner „erzgebirgischen Heimat“ erzählt.

Räuchermänner-Gruppe. Repro (hw) aus: Sabine Rommel / Mathias Zahn (Hrsg.): Max Schanz. Spielzeug Gestalten im Erzgebirge. Arnoldsche Art Publishers

Räuchermänner-Gruppe. Repro (hw) aus: Sabine Rommel / Mathias Zahn (Hrsg.): Max Schanz. Spielzeug Gestalten im Erzgebirge. Arnoldsche Art Publishers

Volkskunst-Stil zum Industriedesign der Moderne überführt

Aber auch andere kompetente Autoren wirkten mit, wobei „die Individualität der Beiträge gewahrt wurde“, wie im Anhang versichert wird. Konrad Auerbach, der Leiter der Seiffener Museen, erinnert sachkundig an Leben und Wirken von Max Schanz. Und der wissenschaftliche Mitarbeiter Urs Latus vom Spielzeugmuseum Nürnberg bescheinigt Schanz, das durch Oskar Seyffert in Dresden kunstpädagogisch vermittelte Stilkonzept einer Volkskunst „auf seine Weise konsequent in Richtung Industriedesign der Moderne“ überführt zu haben. Schanz sei ein „Vertreter des gewerblich Machbaren unter besonderer Berücksichtigung der sich wandelnden Erfordernisse des Marktes“ gewesen, betont Urs Latus.

„Soziale Stabilität ist wichtiger als alle Nostalgie“

Mehrfach bekommt der Leser des Buches ein wichtiges Schanz-Zitat zu lesen, das da lautet: „Die Volkskunst ist die Basis aller Weiterentwicklung. Aber es ist unzumutbar und würde heißen, in Armut zu verharren, wollte man in gleicher Weise wie früher weiterarbeiten. Soziale Stabilität ist wichtiger als alle Nostalgie, es gibt die Möglichkeit, mit modernen Herstellungsmethoden auch gut zu sein…“ Das führte – neben der allgemeinen Malaise der Kriegs- und Wiederaufbaujahre – dann dazu, dass viele Tiere, die in den späten 1940ern und Anfang der 1950er-Jahre entstanden, zunehmend nicht bemalt, sondern im Tauchbadverfahren lackiert wurden.

Von Ludwig Richters Holzschnitt über Schanz-Entwürfe hin zu den „Striezelkindern“

Latus ist es auch, der einen Artikel zu den „Striezelkindern“ beisteuert. Sie gehen auf einen Entwurf von Schanz zurück, ob womöglich Ludwig Richters berühmter Holzschnitt „Ausverkauf wegen Geschäftsaufgabe“ von 1853 geistig Pate stand, kann erörtert, aber nicht bewiesen werden. Von 1936 bis 1966 wurden die Striezelkinder von Max Auerbach gefertigt, später dann auch in der Seiffener Produktionsgenossenschaft und dann der Seiffener Volkskunst eG. Die Herstellung endete mit dem Ruhestand der letzten Malerin dieser Figurengruppe.

Auch Frauen mischten mit

Ohne Frauen geht die Chose mitunter nicht. Das bezeugt einmal mehr auch der kleine Exkurs über die 1907 in Dresden geborene Kalligraphin Elfriede Jahreiß, die bis 1945 an einer Oberschule für Mädchen als Handarbeiterin arbeitete, dann aber in Seiffen nach erfolgreich abgelegter Meisterprüfung als Spielzeugmacherin als erste Frau in Seiffen einen kunsthandwerklichen Betrieb gründete. Aus dem Besitz der Schanz-Schülerin Jahreiß stammt eine Stabpyramide, die von ihr zusammen mit Schanz entwickelt wurde und heute zum Bestand des Museums für Sächsische Volkskunst gehört. In anderen Exkursen geht es um Schwibbögen, Tischpyramiden, Gabenengel, Leuchterspinnen, Laternen….

Verstrickung ins NS-Regime

Michael Harzer, der Pfarrer an der Bergkirche Seiffen, erinnert dann daran, dass Schanz zwar von der NS-Bürokratie genötigt wurde, aus der offiziellen Mitarbeit in der Kirchgemeinde auszusteigen, aber zeitlebens seinen christlichen Überzeugungen treu blieb. Sein Glauben gab Schanz Halt, als er auch in der SBZ und dann in der DDR Schwierigkeiten bekam. Denn Max Schanz, war – wie so viele – im Dritten Reich in die NSDAP eingetreten, das erforderte schon die Funktion als Direktor der Seiffener Spielwaren- und Gewerbeschule, zu dem Schanz 1935 erhoben worden. Es ist der Schweizer Christoph Grauwiller, der auf diesen dunklen Punkt in der Biografie von Schanz eingeht, der reflektiert, wie Menschen in einer Diktatur zwischen Widerstand und Anpassung lavieren. Grauwiller stellt Schanz keinen Persilschein aus, verweigert sich aber auch der selbstgerechten Mahnerrolle, wie sie derzeit en vogue ist.

Spielzeughersteller wurde zum Lehrberuf

Wie auch immer: Es war maßgeblich Schanz zu verdanken, dass 1936 der Spielzeughersteller zum Handwerks- und Lehrberuf erhoben wurde. Außerdem gelang es ihm, ab Ostern 1941 eine eigenständige Ausbildungsklasse für Spielzeughandwerker genehmigt zu bekommen, deren Ausbildung als staatliche Lehrwerkstatt eingestuft und anerkannt wurde. Konrad Auerbach hält in seiner Würdigung von Schanz als Lehrer, Gestalter und Initiator fest: „Das von Max Schanz forcierte Projekt der Berufsanerkennung und -ausbildung war ein entscheidender Schritt hin zu jenen Meisterwerkstätten im Spielzeugmacherhandwerk, die nach dem 2. Weltkrieg im Raum Seiffen individuelle Handschriften ausprägen konnten.“

Neue Wege in der Werbung

Schanz beschritt auch neue Wege in der Werbung. Jahrelang galt dessen Kraft dem Aufbau einer großen selbstständigen Werbeschau, die schließlich am 23. Mai 1936 in Seiffen eröffnet wurde. Er entwarf das Plakat dazu – mit seinen typisierten Motiven „Eisenbahn“, „Engel“ und „Bergmann“ habe es „werbeträchtig Vielfalt und Einprägsamkeit traditioneller erzgebirgischer Formen im Spielzeug- und Weihnachtsbereich“ summiert. Der springende Hirsch vor der Tanne, der zuverlässig Kinder- und Sammleraugen zum Leuchten bringt, wurde gar das Seiffener Symbol bis in die heutige Zeit. Zudem gab es kleine Wanderschauen im Erzgebirge zur Weihnachtszeit, große Ausstellungen am Funkturm in Berlin, in Königsberg, in München…

Werbeplakat für die Spielzeug-Werbe-Schau Seiffen. Repro (hw) aus: Sabine Rommel / Mathias Zahn (Hrsg.): Max Schanz. Spielzeug Gestalten im Erzgebirge. Arnoldsche Art Publishers

Werbeplakat für die Spielzeug-Werbe-Schau Seiffen. Repro (hw) aus: Sabine Rommel / Mathias Zahn (Hrsg.): Max Schanz. Spielzeug Gestalten im Erzgebirge. Arnoldsche Art Publishers

Schanz war auch involviert, als es galt, auf der Jahresschau „Sport und Spiel“ 1923 in Dresden Präsenz zu zeigen. 720 Aussteller waren in der Messe vertreten. Im Rahmen der Spielwarenschau waren eine Modelleisenbahnanlage, eine Ausstellungen von Käthe-Kruse-Puppen und Puppen mit „richtigen“ Augenwimpern zu sehen. In der „Halle der Weihnacht“ stellten mehrere Firmen aus dem Erzgebirge ihre Produkte aus, unter anderem einen elf Meter langen Weihnachtsberg aus Lößnitz mit 39 teilweise beweglichen Figurengruppen.

Schanz’ malerisches Werk blieb wenig bekannt

Während des Krieges gingen diverse Spielzeugpyramiden und Lichttransparente als „Liebesgaben der Heimat“ an die Front. Zudem wurden in Seiffen all die Abzeichen des Winterhilfswerks gefertigt, die reißenden Absatz fanden, weil sie als Christbaumschmuck heiß begehrt waren. Trotz aller Verstrickung ins NS-Regime wurde Schanz im Mai 1946 durch einen staatlichen Sonderausschuss, der ihm „antifaschistische Betätigung“ bescheinigte, entlastet. Letztlich zerschlugen sich aber alle Hoffnungen nach der Entlassung als Lehrer, irgendwie in den sozialistischen Kulturbetrieb integriert zu werden. Schanz musste sich hinfort als freischaffender Künstler und Berater der Seiffener Handwerker durchs kärglich gewordene Leben schlagen. Sehr enge Beziehungen unterhielt er zum 1950 wieder neu gegründeten Kunstdienst der Ev.–Luth. Landeskirche Sachsens. Über Jahreiß hatte er die Möglichkeit, bei der Neugestaltung des Seiffener Spielzeug-Museums mitzuwirken, das ihm sehr am Herzen lag. Um über die Runden zu kommen, malte er verstärkt Bilder, wobei die Kunst nun keine Freizeitbeschäftigung mehr war, sondern schlicht dem Broterwerb diente. Auch Teile des malerischen Werks von Schanz, das trotz einer kleinen Ausstellung 2015 in der Kirche von Deutscheinsiedel der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt ist, führt das aparte Buch vor Augen.

Kurt Arnold Findeisen:
„Dass Männer innen hohl sind,
das kommt zuweilen vor.“

Ein weiterer Reiz des Buches sind diverse Verse rund ums Thema Weihnachten, etwa des 1945 in Dresden ausgebombten Lyrikers wie Romanciers Kurt Arnold Findeisen. Im „Goldenen Weihnachtsbuch“ von 1940 und auch in dem Buch der Schanz-Enkel sind die Zeilen zu lesen: „Du denkst, er schmauche Tabak / auf seinem Pfeifenrohr, / doch steigt ein Weihrauchwölklein / aus seinem Bauch empor. / Dass Männer innen hohl sind, / das kommt zuweilen vor. / Es gaukeln süße Düfte / in Schwaden um ihn her. / Verzückt geblähte Nasen, / bei Gott, die liebt er sehr. / Und die am meisten hohl sind, / die qualmen um so mehr!“

Am 14. September 1953 starb Max Schanz in Seiffen, unter einem Findling wurde er auf dem Friedhof seiner geliebten Kirche beigesetzt.

Umschlag von Sabine Rommel / Mathias Zahn (Hrsg.): Max Schanz. Spielzeug Gestalten im Erzgebirge. Abb.: Arnoldsche Art Publishers

Umschlag von Sabine Rommel / Mathias Zahn (Hrsg.): Max Schanz. Spielzeug Gestalten im Erzgebirge. Abb.: Arnoldsche Art Publishers

Kurzüberblick:

  • Sabine Rommel / Mathias Zahn (Hrsg.): Max Schanz. Spielzeug Gestalten im Erzgebirge. Arnoldsche Art Publishers, 208 Seiten, 324 Abb., 48 Euro, erhältlich bei „Tradition & Form“, Landhausstraße 9, Dresden
  • Eine Leseprobe gibt es hier

Werbung: Das Buch können Sie zum Beispiel hier erwerben

Autor der Rezension: Christian Ruf

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt
Kategorie: Geschichte, zAufi

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[caption id="attachment_175986" align="aligncenter" width="499"]Christian Ruf. Foto: hw Christian Ruf. Foto: hw[/caption]

Über Christian Ruf:

Christian Ruf wurde 1963 in München geboren und hat Geschichte sowie Politologie in München und Bonn studiert. Bereits vor dem Mauerfall reiste er mehrmals in die DDR, nach Polen und in die Sowjetunion. Nach der Wende zog er nach Sachsen um. Heute ist er als freier Journalist mit den Schwerpunkten Kultur und Geschichte in Dresden tätig, wenn er nicht gerade in anderen Ecken der Welt unterwegs ist.