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Uneinheitliche Bevölkerung wird schneller immun gegen Seuchen

Forscher am US-Seuchenkontrollzentrum CDC haben dieses 3D-Modell des neuen Corona-Virus (2019nCoV) entworfen, das eine schwere Lungenkrankheit auslösen kann. Die Angst vor dem Krankheitserreger lähmt mittlerweile weltweit das öffentliche Leben, die Wirtschaft, den Tourismus, selbst die Forschung in vielen Ländern. Illustration: CDC/ Alissa Eckert, MS; Dan Higgins, MAMS, Lizenz: Public Domain, https://phil.cdc.gov/Details.aspx?pid=23312 / Wikipedia https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2019-nCoV-CDC-23312.png

Corona-Virus. Illustration: CDC/ Alissa Eckert, MS; Dan Higgins, MAMS, Lizenz: Public Domain, https://phil.cdc.gov/Details.aspx?pid=23312 / Wikipedia https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2019-nCoV-CDC-23312.png

Planck-Forscher aus Dresden haben Verlauf von Pandemien à la Corona neu berechnet

Dresden, 2. November 2020. Wenn die Menschen in einem Land unterschiedlich empfindlich für Krankheitserreger sind, entwickelt solch eine „heterogene“ Bevölkerung schneller eine Herdenimmunität gegen neue Seuchen wie Covid-19 als in „homogenen“ Ländern. Zu diesem Schluss ist ein Team Prof. Frank Jülicher vom Max-Planck-Institut für die Physik komplexer Systeme (MPI-PKS) in Dresden gekommen.

Frank Jülicher. Foto: Katrin Boes

Frank Jülicher. Foto: Katrin Boes

Herdenimmunität schon erreichbar, wenn Minderheit infiziert war

Die Forscher und Forscherinnen haben demnach durch neue Rechenmodelle ermittelt, dass „Herdenimmunität schon viel früher erreicht werden kann, wenn manche Individuen sich erheblich leichter anstecken als andere“, teilte das Institut mit und skizzierte auch den Ausgangspunkt des Forschungsprojektes: „Bei sich schnell ausbreitenden Epidemien wie der aktuellen Corona-Pandemie wird üblicherweise erwartet, dass ein Großteil der Bevölkerung infiziert wird, bevor Herdenimmunität erreicht ist und die Krankheitswelle abebbt.“ In der Praxis sei dies aber oft ganz anders: „Die meisten Epidemien ebben ab, ohne dass sich ein Großteil der Bevölkerung infiziert hat.“ Wie das kommt, war durch bisherige Rechenmodelle nur unzureichend erklärbar.

Manche stecken sich einfacher an

Daher haben Prof. Jülicher und sein Team eine alte Annahme solcher Modelle über Bord geworfen: dass sich nämlich alle Menschen ähnlich leicht infizieren. Denn die Praxis ist – gerade im Falle des Corona-Virus – offensichtlich ganz anders: Manche Menschen stecken sich wegen eines effektiveren Immunsystems, einer vererbten starken Abwehr, einer sorgfältigeren Hygiene oder anderer Faktoren weniger leicht an als andere.

Einfluss der Heterogenität einer Bevölkerung auf die Herdenimmunität: Die Kurven geben jeweils den Verlauf der Infektionszahlen bei einer Epidemie ohne Maßnahmen zur Eindämmung wieder. Grafik: Neipel et al., 2020, MPI-PKS

Einfluss der Heterogenität einer Bevölkerung auf die Herdenimmunität: Die Kurven geben jeweils den Verlauf der Infektionszahlen bei einer
Epidemie ohne Maßnahmen zur Eindämmung wieder. Grafik: Neipel et al., 2020, MPI-PKS

Homogene Bevölkerung ist erst immun, wenn Mehrheit infiziert war

Die Dresdner Planck-Forscher erarbeiteten daher ein neues Modell, das den Verlauf mancher Seuchen wie eben der Corona-Krankheit womöglich besser erklären kann: Demnach steckt sich zunächst die anfälligste Bevölkerungsgruppe an und wird wieder gesund und immun – oder stirbt. „Im verbliebenen Teil der Bevölkerung wächst somit im Mittel die Resistenz oder Widerstandskraft gegenüber dem Virus“, erklären die Wissenschaftler. „Dadurch verlangsamt sich das Infektionsgeschehen und Herdenimmunität kann früher erreicht werden als bislang meist angenommen. So kann eine sehr heterogene Bevölkerung bereits Herdenimmunität erreichen, wenn nur eine Minderheit der Menschen immun ist. In einer homogenen Bevölkerung wird dies dagegen erst erreicht wenn eine Mehrheit immun ist.“

Wenn in einem Land Corona schnell verschwindet, muss dies demnach nicht zwingend nur durch Ausgangssperren, Quarantäne und Ausnahmezustand erklärbar sein. Vielmehr könne dies auch an einer besonders heterogenen Bevölkerung liegen, die eben schneller eine Herdenimmunität erreicht.

Oiger-Kommentar:

Die Befunde sind allerdings nicht unbedingt durch den bisherigen Covid19-Verlauf im internationalen Vergleich gedeckt: Länder wie die USA mit einer heterogenen Bevölkerung, die ihre ursprünglichen Wurzeln in ganz unterschiedlichen Ländern hat und bei der man auch sehr unterschiedliche Resistenzen erwarten könnte, haben besonders hohe Corona-Infizierten-Zahlen und auch eine starke zweite Welle. Länder wie Vietnam mit einer vergleichsweise homogenen Bevölkerung und quantitativ geringem Anteil anderer Ethnien hingegen haben bisher die Pandemie extrem gut im Griff – was dort aber womöglich andere Gründe hat.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quelle: MPI-PKS

Wissenschaftliche Publikation:

Jonas Neipel, Jonathan Bauermann, Stefano Bo, Tyler Harmon, Frank Jülicher: „Power-law population heterogeneity governs epidemic waves“, PLOS One; October 14, 2020

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