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Ein Tumor-Tsunami droht

Prof. Stefanie Speidel vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) demonstriert mit einer Datenbrille, wie Chirurgen komplizierte Krebs-OPs vorab in einer "Virtuellen Realität" (VR) üben können. Foto: Heiko Weckbrodt

Prof. Stefanie Speidel vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) demonstriert mit einer Datenbrille, wie Chirurgen komplizierte Krebs-OPs vorab in einer „Virtuellen Realität“ (VR) üben können. Foto: Heiko Weckbrodt

Experten rechnen mit einem Fünftel mehr Neuerkrankungen. Das Deutsches Krebszentrum forscht künftig in Dresden an digitalen Waffen gegen Karzinome.

Dresden, 29. Juli 2019. Mediziner, Ingenieure und Programmierer wollen künftig in Dresden neue digitale Instrumente für den Kampf gegen Krebs entwickeln: Virtuelle OP-Säle zum Beispiel, in denen Chirurgen mit Datenbrillen komplizierte Tumor-Schnitte vorab trainieren können. Künstliche Intelligenzen (KI), die den Operateuren Navigations-Anweisungen während eines unübersichtlichen Eingriffs geben. Oder auch Nachsorge-Apps für Patienten-Smartphones und andere mobile Helfer.

Dafür richtet das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) aus Heidelberg nun eine 20 Millionen Euro teure Forschungs-Außenstelle mit integriertem Präventionszentrum in Dresden ein, zunächst finanziert durch den Freistaat Sachsen. Rund 100 Spezialisten wollen dort auch neue Wege in der Krebs-Vorsorge gehen, kündigte DKFZ-Chef Prof. Michael Baumann am Montag in Dresden an.

Sachsen schießt vor, damit es endlich losgeht

„Diese Außenstelle wird unseren Wissenschaftstandort stärken und kann die medizinische Versorgung der Menschen in Sachsen deutlich verbessern“, begrüßte der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) die Entscheidung der Heidelberger, die erste DKFZ-Außenstelle überhaupt in Dresden einzurichten.

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (Mitte) unterzeichnet gemeinsam mit DKFZ-Wissenschaftsvorstand Prof. Michael Baumann (rechts) und Prof. Josef Puchta, dem kaufmännischen Vorstand des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), am 29. Juli 2019 die Gründungsvereinbarung für eine KKFZ-Außenstelle in Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (Mitte) unterzeichnet gemeinsam mit DKFZ-Wissenschaftsvorstand Prof. Michael Baumann (rechts) und Prof. Josef Puchta, dem kaufmännischen Vorstand des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), am 29. Juli 2019 die Gründungsvereinbarung für eine KKFZ-Außenstelle in Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Damit das jetzt gelinge und nicht erst in ferner Zukunft, gehe der Freistaat in Vorkasse. So werde Sachsen die 20 Millionen Euro für das neue Gebäude auf dem Uniklinik-Campus übernehmen, gleich neben dem „Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Dresden“ (NCT/UCC). Außerdem will der Ministerpräsident bis zum Jahr 2023 insgesamt 4,5 Millionen Euro Anschubfinanzierung für Personal und Betriebskosten aus sächsischen Kassen vorschießen.

Danach, so hofft Kretschmer, könnte die Bundesregierung einstiegen und 90 Prozent der laufenden Kosten übernehmen. Die sollen sich laut Baumann dann bei etwa fünf Millionen Euro pro Jahr einpegeln.

Ab 2030 etwa 600.000 neue Patienten pro Jahr zu erwarten – allein in Deutschland

Und Eile ist auch geboten, wenn man den Medizinern glauben mag: „Auf uns kommt ein Tsunami der Krebserkrankungen zu“, warnte Professor Baumann. 2030 werde es allein in Deutschland ein Fünftel mehr Krebs-Neuerkrankungen pro Jahr geben als heute: etwa 600.000 statt 500.000 Neuerkrankungen pro Jahr.

Mit rund 240.000 Krebstoten pro Jahr ist Krebs die zweithäufigste Todesart in der Bundesrepublik – nach Herz-Kreislauf-Krankheiten.

Viel mehr Krebskranke in Entwicklungsländer zu erwarten

„Noch dramatischer dürfte sich die Lage in den Entwicklungsländern darstellen“, betonte der Onkologe. Dort baue sich eine Bugwelle aus Faktoren auf, die als krebsbegünstigend gelten und in den Industrieländern schon länger wirken: In einer Gesellschaft mit wachsender Lebenserwartung, steigendem Seniorenanteil, in der zudem immer mehr Menschen Übergewicht haben oder rauchen, steigen automatisch auch die Krebsraten.

Großteil der Krebstode vermeidbar

„Dabei könnten wir 40 Prozent der Krebs-Erkrankungen vermeiden, wenn wir nur alles umsetzen würden, was wir bereits über Krebs wissen“, betonte der Professor. Die Präventions-Devise Nummer 1: weniger rauchen, weniger völlen.

Zudem könnten die Ärzte rund 70 Prozent aller Krebs-Todesfälle verhindern, wenn jedes Karzinom noch im Frühstadium erkannt werde. Und drittens bedürfe es noch viel mehr Forschung, um bessere und personalisierte Therapien zu entwickeln.

Prof. Michael Baumann ist der wissenschaftliche Vorstand des Deutschen Krebsforschungszentrums. Foto: Heiko Weckbrodt

Prof. Michael Baumann ist der wissenschaftliche Vorstand des Deutschen Krebsforschungszentrums. Foto: Heiko Weckbrodt

Heidelberger hoffen auf digitale Durchbrüche aus Dresden

Dabei setzen die Krebsforscher auch auf digitale Innovationen, wie man sie sonst eher aus dem kalifornischen „Silicon Valley“ kennt: Wie können KIs in riesigen Mengen medizinischer Daten neue Therapieansätze entdecken? Lassen sich Smartphones mit neuentwickelter Zusatz-Hardware zu Anti-Krebs-Assistenten aufrüsten? Welche Apps könnten Millionen Menschen helfen, erste Krebs-Symptome schnellstens zu erkennen und dagegen vorzugehen?

Kaum ein anderer Standort in Europa sei besser geeignet als Dresden, diese Fragen zu beantworten, meint DKFZ-Vorstand Baumann, der früher jahrelang als Onkologe in der sächsischen Landeshauptstadt gearbeitet hatte: „In Dresden gibt es bereits viel Krebsforschung“, betonte er. Zu denken ist da zum Beispiel an Einrichtungen wie Oncoray, das NCT, den Krebsinformationsdienst, den Protonenbeschleuniger am Uniklinikum und die Superlaser-Entwicklungen im Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR).

„Die Stadt hat vor allem aber auch eine exzellente Uni, eine hervorragende außeruniversitäre Forschung und nirgendwo anders in Europa finden Sie solch eine Konzentration an Mikroelektronik und anderen wichtigen Industrien“, unterstrich der Professor. „Dresden ist genau der richtige Standort. Und was hier entsteht, wird um die Welt gehen.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Vor-Ort-Recherchen, Uniklinik Dresden, DKFZ, Ärztezeitung, SSK, Statista

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt