Geschichte
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Nach den russischen Vergewaltigern kamen die deutschen Plünderer

Die Aufnahme aus dem Jahr 1945 zeigt den Blick vom rathausturm auf das zerstörte Dresden. Foto: Beyer, ADN, Bundesarchiv, Wikipedia, CC-Lizenz

Auch im zerstörten Dresden verkehrte teils noch bis Kriegsende der Buslinienverkehr . Foto: Beyer, ADN, Bundesarchiv, Wikipedia, CC-Lizenz

Was gegen Kriegsende in Reichenberg bei Dresden Nachbarn Nachbarn antaten

Der 7. Mai 1945 war ein lauer Frühsommer-Tag. Das Reich fiel in Scherben, der Führer hatte sich eine Kugel durch den Kopf gejagt, die letzten SS-Panzer flüchteten aus dem Raum Dresden gen Erzgebirge und blieben im Müglitztal stecken – und Heinz Stapen* ging zur Arbeit. Wie es sich für einen pflichtbewussten deutschen Kraftfahrzeugführer gehört, steuerte er seinen Linienbus pünktlich wie jeden Tag von Meißen nach Dresden, damit die Leute in die wenigen unzerstörten Fabriken und Büros in der zertrümmerten Gauhauptstadt kamen, während gleich hinter ihm auf der Straße die Rote Armee einmarschierte.

Nach Schichtende parkte Stapel seinen Bus ordnungsgemäß an der Endstation auf dem Wiener Platz und lief die drei Stunden zu Fuß nach Hause gen Reichenberg. Schon als er sich seinem etwas abseits an einem Feldweg gelegenen Haus näherte, muss er gemerkt haben, das etwas nicht stimmte. Als er die Tür öffnete, fand er seine Frau vergewaltigt, den Haushalt verwüstet und geplündert.

Leute aus dem Dorf stürmten Haus der misshandelten Frau

An und in der Reichenberger Kirche wurde 1945 ein Teil des Wettiner-Schatzes versteckt. Abb.: pw

An und in der Reichenberger Kirche wurde 1945 ein Teil des Wettiner-Schatzes versteckt. Abb.: pw

Das besondere und bisher wenig diskutierte „Detail“ an dieser Geschichte, die eben kein Einzelfall war: Zwar waren es tatsächlich sowjetische Soldaten, die sich an Eva Stapen* vergingen, doch nach den russischen Vergewaltigern kamen die deutschen Plünderer – Nachbarn der Stolpens, die das Haus stürmten, sobald die fremden Soldaten weg waren, die die Notlage der physisch wie psychisch zusammengebrochenen Frau ausnutzten, um den Hausrat der Stapens zusammenrafften und damit verschwanden.

Erzählt hat mir diese Geschichte jetzt mein heute 75-jähriger Vater, der damals noch ein Kind war, in Reichenberg bei Dresden wohnte, und sie unmittelbar nach den Ereignissen von den Stapens berichtet bekam. Und habe keinen Zweifel daran, dass er sich korrekt erinnert. Insofern ist dies „nur“ ein Zeitzeugen-Bericht und keine wissenschatfliche Recherche – aber doch meines Erachtens wert, in Erinnerung zu bleiben, da wichtige Details der damaligen Geschehnisse in Vergessenheit zu geraten drohen.

Eigene Rolle bei Gräueln gegen Kriegsende wenig thematisiert

Zu bedenken dabei ist, dass in der DDR nur hinter vorgehaltener Hand und im Privaten über die russischen Massenvergewaltigungen zum Kriegsende gesprochen werden konnte, da dies aus Sicht der kommunistischen Herrscherelite so schlecht ins Geschichtsbild von den sowjetischen Befreiern passte. Erst nach der Wende wurde in Ostdeutschland wieder offen über diese sowjetischen Kriegsverbrechen diskutiert. Aber diese Nachwende-„Aufarbeitung“ hat eben auch den anderen Teil der Geschichte, der selbst zu DDR-Zeiten kaum thematisiert wurde, verdeckt: In welchen Maße eben auch Deutsche – Nachbarn, Bekannte, Leute, mit denen man vielleicht früher ein Bier getrunken hat – die Notlage ihrer Mitmenschen erbarmungslos ausgenutzt und in den Wirren des Kriegsendes geplündert haben.

Schloss-Putzfrau in Moritzburg „Die schlimmsten Plünderer waren Deutsche“

Und die Geschichte der Familie Stapen war da eben kein Einzelfall: „Bei uns in Reichenberg wohnte Hilde Parn*, die war Putzfrau auf Schloss Moritzburg“, hat mir mein Vater auch noch erzählt. „Die hat nach dem Einmarsch der Russen gesagt: Die am schlimmsten im Schloss geplündert haben, das waren nicht die Russen – das waren Deutsche.“ Autor: Heiko Weckbrodt

* Name geändert

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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