Geschichte
Schreibe einen Kommentar

Auch in Reichenberg Schätze der Wettiner versteckt

Die Wettiner - hier auf dem Dresdner Fürstenzug - sammelten in Jahrhunderten unermessliche Schätze an. Repro: Kolossos, Wikipedia

Die Wettiner – hier auf dem Dresdner Fürstenzug – sammelten in Jahrhunderten unermessliche Schätze an. Repro: Kolossos, Wikipedia

Spricht man vom „Schatz der Wettiner“, denkt man zuerst an das einst im Moritzburger Forst vergrabene Königssilber. Doch vom Winter 1945 bis 1949 bargen auch die Kirche und der Friedhof der 3000-Seelengemeinde Reichenberg, ganze drei Kilometer vom Jagdschloss Moritzburg entfernt, ein kostbares und gut gehütetes Geheimnis.

Gemälde von Anton Graff, Louis de Silvestre sowie Correggio, grünes Watteau-Tafelporzellan, Porzellane aus der Marcolini-Zeit der Meißner Manufaktur, eine Marmor – Dantebüste, Bibeln, Gold- und Silbergegenstände, darunter zahlreiche Leuchter, aber auch Tafelwäsche aus Damast sowie Teppiche hatten in Reichenberg zunächst ein sicheres Versteck vor den nach Beutekunst suchenden Russen gefunden.

Der Reichenberger Pfarrer Heinrich Herrmann. Abb.: pw

Der Reichenberger Pfarrer Heinrich Herrmann. Abb.: pw

Prinz Ernst Heinrich von Sachsen, seit seiner Jugend mit dem Pfarrer Heinrich Herrmann befreundet, hatte ihn im Winter 1944/45, vor seiner Abreise ins süddeutsche Sigmaringen, um diesen Freundschaftsdienst gebeten. Herrmann beauftragte den für ihn unbedingt vertrauenswürdigen Reichenberger Bauunternehmer S.* mit der heiklen, nach dem Einmarsch der Russen sogar lebensgefährlich gewordenen Aktion.

Friedrich August III., der letzte Sachsen-König, starb 1932 in Sibyllenort. Abb.: Wikipedia

Friedrich August III. Abb.: Wikipedia

„Es begann im Herbst 1944 mit dem Einmauern einer goldenen Kutsche August des Starken unter der Freifläche vor dem Moritzburger Schloss. Ich ging als damals 16-jähriger junger Maurer meinem Vater zur Hand“, berichtet der heute als Architekt in Rheinland-Pfalz lebende C. S.. „Die Schätze stammten aus den Beständen des Moritzburger und des Dresdner Schlosses, kamen aber auch aus dem in Schlesien liegenden Schloss Sybillenort, dem Exil des abgedankten letzten Königs.“

Fackelträger sollten vor Russen warnen

Ein reichliches Jahr später, der Krieg war schon zu Ende, begannen die nächtlichen Transporte der in Kisten verpackten Schätze auf Schleichwegen nach Reichenberg. Da die Wälder um das Moritzburger Schloss jetzt jedermann frei zugänglich waren, konnte nichts mehr unbemerkt eingegraben werden. Die Anweisungen gab Mathilde Rudert, bis 1945 Sekretärin des Prinzen und danach Schlossverwalterin.
„Den Pferdefuhrwerken voran gingen stets zwei Männer mit Fackeln, die sollten uns warnen, wenn Russen auftauchen“, erinnert sich C. S.. „Ebenso verfuhren wir mit der Nachhut.“ Beim Verladen ins Boot stürzte eine Kiste in den Schlossteich, beim Entschlammen wurden Jahre später Splitter vom Tafelglas im Schlamm gefunden.

Schweigegelübde auf die Bibel

In jener Nacht zogen die Helfer eine Zwischendecke unter etwa einem Drittel des Kirchendaches ein, hier deponierten sie den Großteil der Schätze. Weitere Verstecke legten sie in einer Gruft unter dem Fußboden am Altar sowie in der Orgel an. Auch im Geräte- und Toilettenraum des Friedhofs, im Pfarrhaus und bei den mitwirkenden Reichenberger Bauern kam einiges unter. „Meinem Vater musste ich damals auf die Hand und auf die Bibel schwören, niemals und zu keinem Menschen davon zu erzählen. Daran habe mich bis heute gehalten“, erklärt C. S. sein langes Schweigen über die damaligen Ereignisse.

Um das Jahr 1947 bekamen sowohl die Russen als auch die Dresdner Kripo Wind von den Reichenberger Geheimnissen. Eines der Verstecke – im Dachboden – wurde entdeckt. Damals sollen sich sowohl Berliner als auch sächsische Kripo-Angestellte sowie Angehörige des sowjetischen Geheimdienstes NKWD an den Schätzen bedient haben. Aber auch Rudert erschien wiederholt beim Pfarrer und ließ sich jeweils Einzelteile aushändigen. Herrmann erkannte die unlauteren Motive und warf Rudert schließlich hinaus.

Deutsche Behörden wollten wohl russischen Zugriff aushebeln

An und in der Reichenberger Kirche wurde 1945 ein Teil des Wettiner-Schatzes versteckt. Abb.: pw

An und in der Reichenberger Kirche wurde 1945 ein Teil des Wettiner-Schatzes versteckt. Abb.: pw

Der Pfarrer sah sich bald drängenden Fragen ausgesetzt. Im Sommer 1947 fertigte er deshalb aus dem Gedächtnis eine Liste der auf dem Dachboden eingelagerten, bereits entdeckten und in einem Lastzug nach Dresden abtransportierten Gegenstände an. Das Bemühen der auf deutscher Seite Beteiligten, die Russen leer ausgehen zu lassen, war unverkennbar.

Die Kripo spürte vom Sommer 1947 bis zum Februar 1951 weitere Kunst- und Wertgegenstände auf und transportierte sie ab. Dies nahm beachtliche Dimensionen an: Allein am 19. Februar 1951 führen ein Laster und zwei Autos voll beladen nach Dresden. Bemerkenswert ist, dass nach den Angaben von Chr. S. die nächtlichen Transporte vom Moritzburger Schloss nach Reichenberg eine ganze Weile parallel weiter gingen.

DDR-Justiz machte Pfarrer den Prozess

Nachdem Anfang 1951 weitere Verstecke entdeckt worden waren, kamen Herrmann und weitere Beteiligte in Untersuchungshaft. In einem zweitägigen öffentlich geführten Prozess wurden Pfarrer Hermann, Chr. S. und dessen Bruder K. am 24. November 1951 wegen „Verbrechen nach Befehl 160 der SMAD“ – also wegen der Unterschlagung von Volkseigentum – zu Zuchthausstrafen in unterschiedlicher Höhe verurteilt. Hermann als Hauptangeklagter erhielt vier Jahre. Wegen einer nach dem Volksaufstand am 17. Juni 1953 ergangenen Amnestie wurde er vorzeitig entlassen. Er kehrte in sein Reichenberger Pfarramt zurück.

Wurden wirklich alle Verstecke enttarnt?

Ob seinerzeit alle Reichenberger Verstecke entdeckt wurden sind, ist nicht so sicher: In der Verhandlung 1951 hatten die Angeklagten stets nur das von ihrem Wissen preis gegeben, was ohnehin schon offen lag. Auch kann kritisch hinterfragt werden, ob die von Hermann und von der Moritzburger Schlossverwalterin Rudert unabhängig voneinander angefertigten Aufstellungen komplett und vollständig waren.

Chr. S. bestätigte auf Anfrage, dass er mit dem Haus Wettin in Kontakt steht. „Ich habe da noch Etwas vor!“, fügt er geheimnisvoll hinzu. Gerhard Brand, der juristische Vertreter der Moritzburger Erbengemeinschaft des Hauses Wettin, erklärte in einer ersten Reaktion, über aktuelle Kontakte des Hauses mit S. sei ihm nichts bekannt. Allerdings kennt auch er keine komplette Aufstellung der nach Reichenberg verbrachten Schätze. Anders ausgedrückt: eine Saldierung zwischen in Reichenberg versteckten und später entdeckten Schätzen hat es nie gegeben. Das aber lässt alles offen. Peter Weckbrodt

* Namen der Redaktion bekannt

Zum Weiterlesen: Rezension „Das Silber der Wettiner“

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

Schreibe einen Kommentar