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Mit „Roger’s Code“ in 14 Stunden 140 Millionen Jahre zurück

Der Dresdner Professor Roger Grundmann hat nach der Emeritierung neue Forschungspfade eingeschlagen. Foto:  TUD/UJ/Eckold

Der Dresdner Professor Roger Grundmann hat nach der Emeritierung neue Forschungspfade eingeschlagen. Foto: TUD/UJ/Eckold

Dresdner Luftfahrt-Prof sattelt im Ruhestand auf Urzeit um – und gilt nun in Australien als Simulations-Star

Dresden/Bannewitz/Sydney, 6. August 2014: Was macht ein Professor, wenn er „emeritiert“ wird (auf professorisch soviel wie: In Rente gehen, seine Verdienste genießen)? Rasenmähen? Bunte Falter für eine private Schmetterlingssammlung erlegen? Täglich übers Fernsehprogramm nörgeln? Nicht Roger Grundmann: Ein Arbeitsleben lang berechnet der Luftingenieur Flugzeuge, Instrumente und Turbomaschinen, baut an der TU Dresden das Institut für Luft- und Raumfahrttechnik mit auf, wird mit 65 mit wohlklingenden Worten verabschiedet. Doch statt sich am wohlverdienten Ruhestand zu laben, setzt er sich 2008 an sein Notebook daheim in Bannewitz. Und fängt noch mal ganz von vorne an. Er schreibt und recherchiert, programmiert und liest sich in immer neue Fachgebiete ein – und am Ende steht ein Computerprogramm, das das Rad der Zeit um 140 Millionen Jahre zurückdreht, ihm im Ausland einen phänomenalen Ruf einbringt. „In Australien nennt man mein Programm nur noch ,Roger’s Code’“ berichtet der heute 71-Jährige. „Die Australier hoffen wohl, damit Erdöl und andere Bodenschätze zu finden.“

„Ich wollte in etwas Neues springen“

Stolz schwingt in seiner Stimme mit, als er das erzählt. Und dazu hat er wohl allen Grund. Denn was als Ruhestands-Hobby begann, ist regelrecht „explodiert“, wie Grundmann selbst sagt, und hat Forschungsgebiete international befruchtet, mit denen der Ingenieur früher so gut wie gar nichts zu tun hatte. „Ich wollte nach meiner Zeit als Institutsleiter in etwas Neues springen“, erzählt er. Gedacht hatte er an einen kleinen Ausflug in die Paläontologie, in die Lehre der ausgestorbenen Lebewesen. Doch bald stieß er auf allzu viele offenen Fragen. Etwa, warum Knochen von Urzeitwalen immer wieder an bestimmten Stellen rund um den Globus gefunden werden, an anderen gar nicht. Daher las er sich als Nächstes in die Geologie hinein, in die Tektonik, die Bathymetrie, die sich mit Unterwasservulkanen und Meeresgründen beschäftigt, die „C++“-Programmierung… Und schließlich dämmerte ihm, dass er ein noch ungeschriebenes Simulationsprogramm brauchte, um die Zusammenhänge zwischen all diesen Disziplinen tiefer zu ergründen.

Programme rechnen Meeres- und Luftströmungen in der Urzeit

Heraus kam „Roger’s Code“ mit über 8000 Quellzeilen, der nun für Furore in der Fachwelt sorgt. Grundmann kombinierte darin seine früheren Arbeiten mit Zuse-Computern und Strömungsberechnungen in Kugeln mit seinen neuen Recherche-Ergebnissen aus vielen Fächern zu zwei Programmen: Eines, das Luftströmungen und Klimaeffekte bis tief in die erdgeschichtliche Vergangenheit hinein „zurücksimuliert“, das andere erledigt das Gleiche für Ozeanströmungen – jeweils in Schritten von zehn Millionen Jahren.

Die Wirbellinien auf der per Computer ausgerollten Erde sind errechnete urzeitliche Strömungen. Visualisierung: Roger Grundmann

Die Wirbellinien auf der per Computer ausgerollten Erde sind errechnete urzeitliche Strömungen. Visualisierung: Roger Grundmann

Heiße, schwüle, stürmische Erde vor 90 Millionen Jahren

Als er so 90 Millionen Jahre in die Vergangenheit zurückgereist war, fand Grundmann eine Erde vor, die viel wärmer als unser Planet heute war, schwül, oft durchpeitscht von Stürmen, Gewittern und wolkenbruchartigem Regen – ideal, um eine üppige Vegetation wachsen zu lassen. Und immer weiter ging es in der Zeit vor und zurück, zu gewaltigen Windwirbeln, die wie gigantische Rührstäbe bis tief in die prähistorischen Ozeane hinein das Wasser umwälzten, Tiefseeberge aus dem Meeresboden zogen und wieder verschwinden ließen, zu gewaltigen Strömungen, die erdumspannende „Transportbänder“ in Gang setzten, Tiefseeflüsse, die gegen die noch jungen Kontinente prallten…

Notebook statt Supercomputer

Was der emeritierte Professor aus Sachsen da eigentlich nur zur Befriedigung persönlicher wissenschaftlicher Neugier geschrieben hatte, weckte bald das Interesse von Kollegen aus der Physik, den Geowissenschaften – und von Bodenschatz-Fahndern. Denn mit seinem eleganten mathematischen Modell konnte man plötzlich ohne den Einsatz von Supercomputern, sondern nur mit einem Notebook aus dem Elektronikmarkt-Regal, die wahrscheinliche Ablagerung von Kohlenstoff-Verbindungen in prähistorischen Zeiten abschätzen, was zum Beispiel auch heißt: vielleicht noch unentdeckte Erdöl- und Gas-Felder erahnen. Um 140 Millionen Jahre zurückzugehen, braucht man mit Grundmanns Programmen gerade mal 14 Stunden – statt Wochen oder Monate, wie sie manche „Profi“-Programme verzehren.

Video "Strömungssinfonie" über Grundmanns Instrumenten-Forschung (TUD):

Reise nach Sidney

Auf Einladung der Uni Sydney war Grundmann deshalb jetzt für vier Wochen auf dem fünften Kontinent, um dort zwei Doktoranten in seine Programme einzuweisen. „Die Australier waren sehr freundlich, das akademische Miteinander sehr kooperativ“, erzählt der Professor, eben wieder nach Sachsen zurückgekehrt.

Professor: In USA ist Humboldtsche Idee kaputt

Das sei leider mit den Amerikanern ganz anders gewesen: Denn auch in den USA hatte er nachgefragt, als er für seine Simulationsprogramme topologisches Kartenmaterial und Messdaten von der heutigen Erde brauchte, um von dort aus „zurückrechnen“ zu können. „Die Leute in den USA wollten aber ihre Daten nicht herausrücken beziehungsweise viel Geld dafür haben“, ärgert sich Grundmann. „Ich denke, dort ist die Humboldtsche Idee des akademischen Austauschs schon völlig kaputt gegangen.“ Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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