Ein Gastbeitrag von Dr. Manfred Lisec
Die DDR hat in der Mikroelektronik nicht nur vom Westen und von Japan abgekupfert, wie oft gesagt und veröffentlicht wird, sondern neben der eigenständigen und unabhängigen Nachentwicklung von Standardtechnologien der Mikroelektronik – unter anderem durch Prof. Dr. Werner Hartmann – auch an eigenen prinzipiell neuen Fertigungsverfahren gearbeitet. Dazu gehörte die Ionenlithografie, damals „Ionenprojektionsverfahren“ (IPV) genannt. Gerade dieses Verfahren hatte das Potential, womöglich bahnbrechend für die Halbleiterindustrie zu werden. Ein Erfolg war diesem ambitionierten Entwicklungsprojekt allerdings nicht beschieden.
Nachdem der erste Teil des Spezials zur DDR-Ionenlithografie „Die DDR hoffte auf Ionen-Abkürzung in die Nano-Chipwelt“ [1] bereits einige technische Aspekte des Projektes beleuchtet hat, gibt unser Gastautor Dr. Manfred Lisec im folgenden Beitrag eine kurze Übersicht über die Geschichte der Ionenstrahllithografie beziehungsweise des Ionenprojektionsverfahren in der DDR. Er stützt sich dabei auf Dokumente im Hauptstaatsarchiv Sachsen [2], persönliche Erinnerungen und weitere Quellen. Er war 1979 bis 1985 Projektverantwortlicher für das Ionenprojektionsverfahren im Institut für Mikroelektronik Dresden“ (IMD), dem späteren „VEB Zentrum für Forschung und Technologie Mikroelektronik“ (ZFTM).
Zur Geschichte der Ionenstrahllithografie in der DDR
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die DDR eines der ersten Länder war, das eine reale Möglichkeit sah, das Ionenprojektionsverfahren in der Mikroelektronik zur Verringerung der Strukturabmessungen anzuwenden – insbesondere mit dem Ziel der Unabhängigkeit von westlichen Industrieländern. Alle Arbeiten zur IPV wurden vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) koordiniert in Zusammenarbeit und im Auftrag des Ministeriums für Elektrotechnik und Elektronik (MEE).
Mit am Anfang stand ein Patent des VEB Kombinat Funkwerk Erfurt (FWE) vom 2. April 1976,. Das Patent unter der Bezeichnung: „Verfahren und Vorrichtung zur Herstellung von Halbleiterstrukturen“ mit der Nummer 136 670 listet als Erfinder Wolfgang Zenker aus Erfurt und Rudolf Sacher aus Wien auf. Dr. Rudolf Sacher war Geschäftsführer der Firma „Sacher Technik Wien“ (STW) und stand in „gutem Kontakt“ zum MfS. Er war seit Anfang der 1970er Jahre auf dem Gebiet der „Ionenprojektion“ tätig.
Laut dem Historiker Thomas Riegler [6] ist anzunehmen, dass die „Sacher Technik Wien“, gegründet 1969, eine „Residentur“ des MfS war. Sie führte – abgesehen von der IPV – auch auf anderen Gebieten der Mikroelektronik Aufträge für das MfS der DDR aus. Kontaktpartner des MfS zur STW war Prof. Dr. Rolf Jähn. Er war disziplinarisch dem MfS unterstellt, aber fachlich dem MEE. Er leitete den Bereich Wissenschaftsstrategie des MfS [7] und betreute viele Projekte der DDR auf dem Gebiet der Mikroelektronik, darunter die Projekte für DRAM-Chips mit 64 sowie 256 Kilobyte Speichervermögen [8].
Es kann davon ausgegangen werden, dass die STW im Auftrag von MEE beziehungsweise MfS mit der Entwicklung von IPV-Anlagen begann, da in der DDR dazu nicht die Voraussetzungen vorhanden waren, weil für entscheidende technische Komponenten ein Embargo galt. Die Entwicklungsarbeiten erfolgten wahrscheinlich in Zusammenarbeit mit dem VEB Funkwerk Erfurt (FWE) unter Betreuung von Prof. Rolf Jähn. Als Bearbeiter im FWE sind Dr. Helms und Dr. Wolfgang Zenker bekannt.
Der Generaldirektor des VEB Kombinat Mikroelektronik Erfurt (KME) entschied am 10. Juli 1979, die Verantwortung zur Vorbereitung und Durchführung des IPV – und damit alle bevorstehenden Forschungs- und Entwicklungs-Arbeiten und deren Überleitung – ab sofort dem Volkseigenen Institut für Mikroelektronik Dresden (IMD) zu übertragen [2]. Im IMD bekam das Direktorat Forschung (F), konkret der Bereichsleiter „Grundlagenforschung“ (FG), die Aufgabe, das Projekt Ionenstrahllithografie als Projektverantwortlicher vom FWE zu übernehmen [2]. Das Direktorat Forschung baute eine spezielle Abteilung dafür auf. Aufgabe des IMD war dabei nicht die Entwicklung einer Anlage, sondern die Entwicklung der Verfahrenstechnik zur Einbeziehung der IVP in den technologischen Prozess für die Fertigung höchstintegrierter Schaltkreise.
Alle kommerziellen Kontakte liefen über Prof. Jähn und den Außenhandelsbetrieb Industrieanlagen Import (AHB II). Die Mitarbeiter des IMD hatten zur Sacher-Technik in Wien nur Kontakt bei technischen Fragen in Zusammenhang mit der Montage, Inbetriebnahme und dem Betrieb der Anlage sowie zu notwendigen technischen Verbesserungen und Änderungen.
Aufgrund fehlender Räumlichkeiten im IMD wurde in der Halle 211 des VEB Elektromat Dresden (EMD) kurzfristig ein vorhandener Reinraum (Clean Room) entsprechend umgebaut mit zusätzlichen Räumlichkeiten für Personal und Wartung [2]. Alle „technologischen“ Teilschritte, außer der IPV selbst, realisierte das das IMD. In der Halle 211 waren keine entsprechenden Voraussetzungen dafür vorhanden oder kurzfristig realisierbar.
Die Anlage „IPS 100“ wurde am 26.November 1979 per Lkw auf der Grundlage des Einfuhrvertrages Nr. 14-500 /90160 von Anfang 1979 zwischen dem FWE und dem AHB II angeliefert [2]. Die Montage, Inbetriebnahme und Schulung der Mitarbeiter des IMD erfolgten von Ende November 1979 bis Anfang März 1980.
Mit der Bildung des Zentrums für Forschung und Technologie der Mikroelektronik Dresden (ZFTM) am 1. April 1980 änderte sich die strukturelle Einordnung der Abteilung. Sie wurde im Direktorat Entwicklung als Abteilung eingeordnet, wobei sich der Projektverantwortliche gegenüber den Partnern außerhalb des ZFTM bis etwa Mitte 1985 nicht änderte. Bei anlagentechnischen Problemen wurde der Bereich R (ehemaliger Betriebsteil Reick des EMD) des Direktorates Technologische Ausrüstungen des ZFTM einbezogen.
Am 28. März 1980 wurde der Vertrag zur Lieferung der Anlagen IPS 200 und IPS 300 unterschrieben. Der Vertrag selbst ist nicht überliefert, wird aber im Abnahmeprotokoll vom Dezember 1983 genannt [2]. Die Lieferung der Anlagen erfolgte im September und Oktober 1983 [2]. Die Monteure von STW stellten die angelieferten Anlagen in einem neu geschaffenen Laboreinbau mit Reinraum in der Halle 219 auf dem ehemaligen EMD-Gelände auf.
Eine Zusammenarbeit mit der UdSSR in der Ionenstrahllithografie kam nicht zustande. Eine Direktive vom 30. September 1985 verweist auf eine Spezialistenberatung im Rahmen des Mikroelektronik-Regierungsabkommens zwischen DDR und UdSSR. Während dieser Beratung war auch eine Besichtigung der Anlagen IPS 200/300 Anfang 1986 vorgesehen [2]. Ob es dazu tatsächlich gekommen ist, lässt sich den Akten nicht entnehmen.
Im Hauptstaatsarchiv ist der Entwurf für eine Vereinbarung zwischen der Firma „Sacher Technik Wien“, dem Außenhandelsbetrieb Industrieanlagen Import (AHB II) und dem Kombinat Mikroelektronik über die zukünftige Zusammenarbeit bei der Entwicklung, Fertigung und Verkauf von IPV-Anlagen vorhanden [2]. Ob diese unterschrieben wurde, ist nicht bekannt.
Das ZFTM erhöhte in den 1980er Jahren die personellen Kapazitäten für das IPV-Projekt. Anlässlich des Kontrollrapports zum F/E-Thema „Entwicklung der Ionenstrahlprojektionslithografie“ in der DDR am 10. Oktober 1984 im ZFTM unter der Leitung von Felix Meier, des Ministers für Elektrotechnik und Elektronik, wurden wichtige Festlegungen zur Weiterführung des Themas getroffen. Dazu gehörte die Sicherung der geplanten personellen Kapazitäten gemäß einem Beschluss des Politbüros der SED [2]. Trotz dieser Festlegungen im Rapportprotokoll versuchte das ZFTM aber weiterhin, die für das Thema IPV geplanten Kapazitäten für neuen Projekte wie den 256-Kilobit- und den 1-Megabit-Speicher (1-MB-DRAM) umzuplanen und zu nutzen.
Dies führte auch dazu, dass der bisherige Projektverantwortliche 1985 durch einen anderen Leiter ersetzt wurde, der die Reduzierung der für die IPV eingesetzten Arbeitskräfte begann, insbesondere zur Erhöhung der Kapazitäten für die Entwicklung der Technologie für den 1-MB-DRAM.
Die Übernahme des ZFTM durch das Kombinat Carl Zeiss Jena (KZJ) zum 1. Juni 1986 beschleunigte die „Abwicklung“ der Arbeiten an der IPV: Einerseits hatte das KZJ kein Interesse an der IPV als Konkurrenz zur Elektronenstrahl-Lithografie und zur optischen Lithografie. Andererseits zeichnete sich bereits die Ultraviolett-Strahlung als eine vielversprechende Alternative zur „klassischen“ optischen Lithografie im kurzwelligen Bereich des sichtbaren Lichts ab. Heute sind Spitzen-Halbleiterfabriken bereits in der Lage, mit Hilfe von EUV-Lithografieanlagen (EUV – extrem ultraviolette Strahlung mit 13,5 Nanometer Wellenlänge) Strukturen im Bereich einiger weniger Nanometer herzustellen. Außerdem benötigte Carl Zeiss dringend größere Kapazitäten für das Prestigeobjekt „1 MB-Speicher“ auf der Basis einer 1-Mikrometer-Technologie.
Wann genau die Arbeiten am Ionenprojektionsverfahren in der DDR endeten, ist den überlieferten Akten nicht zu entnehmen. Es gibt dazu auch keine verlässlichen Informationen ehemaliger Mitarbeiter. Wahrscheinlich geschah dies aber im Jahr 1986. Zum Verbleib der IPV-Anlagen ist ebenfalls nichts bekannt. Die Arbeiten zum IPV wurden einfach abgebrochen und die Leiter und Mitarbeiter auf die „neuen“ Projekte beziehungsweise damit verbundene Entwicklungsarbeiten verteilt.
Gastautor: Dr. Manfred Lisec, Projektverantwortlicher IPV 1979 – 1985
Die folgenden Bücher und Quellen beschäftigen sich auch mit den technischen Problemen und Ergebnissen der Entwicklungsarbeiten zur IPV in der DDR, auf die der Gastbeitrag nicht eingeht
Literatur- und Quellennachweise:
[1] Heiko Weckbrodt: „Die DDR hoffte auf Ionen-Abkürzung in die Nano-Chipwelt“, in: Oiger.de
[2] Hauptstaatsarchiv Dresden, Bestandssignatur – 11718, Bestandsname – Zentrum Mikroelektronik Dresden, Archivaliensignaturen 0995 Sacher-Technik-Wien und 1123 Avant-Projekt (System-A). Detaillierte Angaben bitte beim Autor erfragen – manlc@gmx.de bzw. Dr. Andreas Kalz – andi.kalz@gmx.de.
[3] R. Jähn, W. Berndt, M. Lisec, F. Schmidt, H. Tyrroff, Ionenprojektionsverfahren – Lithografische Werte und Anwendung, Nachrichtentechn. Elektron., Berlin 34 (1984) 9, S. 353
[4] Gerhard Barkleit, Überholen ohne einzuholen, in „Physik im Kalten Krieg“, Christian Forstner/Dieter Hoffman, Springer Verlag, 2013
[5] Andreas Steinbrecher, Ionen-Lithografie, nicht veröffentlicht – private Information
[6] Thomas Riegler, Die „Wiener Residentur“ Der Stasi – Mythos Und Wirklichkeit, JIPSS VOL.7, NR.2/2013, S.89-113
[7] Reinhard Buthmann: Hochtechnologien und Staatssicherheit. Die strukturelle Verankerung des MfS in Wissenschaft und Forschung der DDR (Reihe B: Analysen und Berichte Nr 1/2000). BStU. Berlin 2000
[8] Gerhardt Barkleit, Mikroelektronik in der DDR, Berichte und Studien Nr. 19, Hannah-Ahrendt-Institut, 2000
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