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DDR hoffte auf Ionen-Abkürzung in die Nano-Chipwelt

Der Dresdner Physiker Andreas Steinbrecher war ab 1978/79 an dem Projekt Ionenprojektor im Institut für Mikroelektronik Dresden (IMD) beteiligt. Hier im Foto aus dem Jahr 2023 zeigt er in den Technischen Sammlungen eine der damals verwendeten Masken. Foto: Heiko Weckbrodt

Der Dresdner Physiker Andreas Steinbrecher war ab 1978/79 an dem Projekt Ionenprojektor im Institut für Mikroelektronik Dresden (IMD) beteiligt. Hier im Foto aus dem Jahr 2023 zeigt er in den Technischen Sammlungen eine der damals verwendeten Masken. Foto: Heiko Weckbrodt

Physiker in Dresden und Wien wollten Ende der 1970er mit der Ionen-Lithografie einen großen Coup in der Mikroelektronik landen

Inhalt

Dresden, 4. April 2023. Den ostdeutschen Mikroelektronikern vor der Wende wird oft nachgesagt, sie hätten West-Chips nur nachgebaut, allenfalls etwas verbessert. Tatsächlich aber betrieb die DDR auch eine eigene Grundlagenforschung für die Halbleiter-Produktion. Ein Beispiel dafür war die Ionen-Lithografie, an der ab 1979 Physiker in Dresden und Ingenieure aus Österreich insgeheim zusammenarbeiteten. „Die DDR ist da ganz eigene Wege in der Lithografie-Forschung gegangen“, meint Elektronik-Kustos Dr. Ralf Pulla von den Technischen Sammlungen Dresden, der die Aufarbeitung dieses Kapitels der ostdeutschen Mikroelektronik fachlich mitbetreut. Denn das Konzept war visionär. Allerdings erwies es sich letztlich technologisch und wirtschaftlich als Sackgasse. „Doch so ist das nun einmal mit der Vorlaufforschung“, betont Pulla. „Ob etwas funktioniert, kann man vorher nicht wissen.“

Kurator Dr. Ralf Pulla von den Technischen Sammlungen Dresden, in der von ihm kuratierten Ausstellung "Welt im Kasten: Foto – Kino – Video“. Hier steht er hinter einer frühen Fotokamera, deren Belichtungszeit so lange war, dass der Kopf der zu fotografierenden Menschen mit Stangen abgestützt wurde, um ein Verwackeln zu verhindern. Foto: Heiko Weckbrodt

Kurator Dr. Ralf Pulla von den Technischen Sammlungen Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Idee war, teure Ionen-Implanter breiter zu nutzen

Ausgangspunkt war seinerzeit ein technologischer Schritt, der sich ohnehin in der Chipproduktion eingebürgert hatte: Normalerweise entwerfen die Ingenieure erst Schaltpläne, die sie dann auf Belichtungsmasken übertragen. Mit diesen Masken belichten dann Lithografie-Anlagen die mit Photolack beschichteten Siliziumscheiben (Wafer). An den belichteten Stellen härtet der Lack aus, den Rest waschen Spezialchemikalien weg. Durch mehrere Prozessschritte entstehen anhand dieses Schablonenmusters nach und nach die elektronischen Strukturen des Chips. Und einer dieser Schritte ist eben die „Dotierung“. Dabei beschießen sogenannten Ionenimplanter die Wafer mit bestimmten Rumpfatomen, also Ionen, um dem Silizium die gewünschten Funktionen und Eigenschaften „beizubringen“.

Ingenieure wollten zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Ionen sollten auch Strukturen erzeugen

„Da lag der Gedanke nahe, mit den teuren Ionenanlagen auch direkt die Strukturen selbst zu erzeugen“, erklärt Andreas Steinbrecher, der seinerzeit als junger Physiker an dem Geheimprojekt mitwirkte. Heute arbeitet er mit anderen ehemaligen DDR-Halbleiterexperten in einem Dresdner Alumni-Arbeitskreis daran, diese und weitere Episoden der ostdeutschen Mikroelektronik-Geschichte für die Nachwelt aufzuschreiben.

Konzept sollte Zeit und Kosten sparen – und hauchfeine Strukturen ermöglichen

Damals jedenfalls wirkte die Idee sehr vielversprechend: Durch eine funktionierende Ionenlithografie würden die teuren Masken und viele Prozessschritte wegfallen, die die Chipproduktion so langwierig und kostenintensiv machen. Beispielsweise könnte dann die aufwändige Lacktechnologie wegfallen, „weil mit Ionen bestrahltes Silizium selektiv zum unbestrahlten Material geätzt, also strukturiert werden kann“, wie Mikroelektronik-Alumni Andreas Kalz erklärt.

Vor allem aber – und dieser Gedanke war der ursprüngliche Ausgangspunkt für alle weiteren Projekte – waren die meisten Fachleute seinerzeit überzeugt, dass die damals übliche Lithografie mit Licht schon bald an seine physikalischen Grenzen stoßen würde. Und dann würden die Chipfabriken viel präzisere photonische „Skalpelle“ brauchen, um immer feinere und leistungsfähigere Schaltkreis-Strukturen mit hinunter zu wenigen Nanometern (Millionstel Millimeter) zu erzeugen. Dabei untersuchten die DDR-Mikroelektroniker neben der Ionen-Technik zwei weitere mögliche Pfade: die Strukturerzeugung mit Röntgenlicht (die sich heutzutage tatsächlich für Highend-Schaltkreise durchgesetzt hat) oder mit Elektronen.

Die Nickelmaske für die Ionen-Litho-Anlage im Jahr 1980 blieb bis zum Schluss ein Sorgenkid für die Entwickler. Quelle: Steinbrecher, Repro: Heiko Weckbrodt

Die Nickelmaske für die Ionen-Litho-Anlage im Jahr 1980 blieb bis zum Schluss ein Sorgenkid für die Entwickler. Quelle: Steinbrecher, Repro: Heiko Weckbrodt

Rossendorfer Experte leitete kleines Spezialteam in der Mikroelektronik-„Prognosegruppe“

Und so taten sich Spezialisten der sogenannten „Prognosegruppe“ im Institut für Mikroelektronik Dresden (IMD) – dem späteren „ZFTM“ beziehungsweise „ZMD“ – unter der Leitung von Dr. Horst Tyrroff vom Zentralinstitut für Kernforschung Rossendorf (ZfK) zusammen, um solche Ionenlithografie-Anlagen für die DDR zu entwickeln und zum Laufen zu bringen. Jedoch war recht rasch klar, dass das Zusammenspiel von geeigneten Ionen-Quellen und elektrostatischen Linsen, die die Ionenstrahlen fokussieren sollten, mit Magneten, Nickelmasken und weiteren Komponenten alles andere als ein einfach zu lösen war: Vorerst konnten weder die DDR-Betriebe noch die sowjetischen „Brüder“ derartiges liefern.

Wiener Tüftlerfirma von Rudolf Sacher baute die ersten Ionenprojektoren

Und so knüpfte der ostdeutsche Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski für die Dresdner Mikroelektroniker Kontakte in den Westen, konkret nach Österreich: Die noch junge Firma „Sachertechnik-Wien (STW) sollte hier als Zulieferer für den sogenannten „Ionenprojektor“ einspringen. Gedacht war das angesichts des Devisenaufwandes als Übergangslösung – solange, bis die DDR-Technologiebetriebe zur eigenen Produktion solcher Anlagen imstande wäre. Rechtlich war bereits vieles abgesichert: Schon ab 1976 hatten der Physiker Dr. Rudolf Sacher aus Wien sowie Wolfgang Zenker vom VEB Kombinat Funkwerk Erfurt ein DDR-Patent auf ein „Verfahren und Vorrichtung zur Herstellung von Halbleiterstrukturen durch Beschuß mit Ionen“ eingeholt.

Erste Testanlage Ende 1979 geliefert

Tatsächlich bauten Rudolf Sacher, G. Stengl, R. Kaitna und weitere Ingenieure in Wien mit dem „Ionenprojektionssystem 100“ (IPS 100) solch einen Projektor im DDR-Auftrag zusammen und brachten ihn am 1. Dezember 1979 nach Sachsen. Zwar stand das Gerät nicht auf der westlichen Embargo-Liste für Lieferverbote in den Ostblock – einfach deshalb, weil es solche Maschinen bis dahin gar nicht gab. Dennoch lieferten Sachertechnik die sechs Meter lange Anlage mit Ionenlinse, -quelle und -maske vorsichtshalber „unter strikter Geheimhaltung“ in einen früheren Flugzeughangar in Dresden, erinnert sich Steinbrecher. Um die Quelle weiter zu verschleiern, benannten die Ostdeutschen das System zudem in „Projektor 80“ um. Später habe der zuständige VEB Elektromat in Klotzsche mit dem „Gebäude 211“ sogar eigens für solche und andere Geheimlieferungen einen speziellen Anbau reserviert, berichtet Steinbrecher.

Der Ionenprojektor, die Feldlinse und Rechentechnik im Jahr 1983 in Dresden. Quelle: Steinbrecher, Repro: Heiko Weckbrodt

Der Ionenprojektor, die Feldlinse und Rechentechnik im Jahr 1983 in Dresden. Quelle: Steinbrecher, Repro: Heiko Weckbrodt

Ende der praktischen Probleme war kaum abzusehen

Allerdings zeigte sich bald, dass die IPS 100 von einem zuverlässigen Praxiseinsatz noch weit entfernt war und die Wiener nicht so lieferpotent waren, wie sie anfangs in großen Tönen versprochen hatten. Ganze Ketten von noch zu lösenden Problemen taten sich auf. So schossen die Projektoren beispielsweise die Ionen nur anfangs auf die richtigen Stellen auf den Test-Wafern. Mit jedem Durchlauf verformten sich die Masken jedoch mehr und mehr, dadurch schossen die Ionenkanonen immer weiter daneben. Auch erschütterten die eingebauten Vakuum-Pumpen die ganze Anlage viel zu stark. Zwar lieferte das Sacher-Team 1983 mit dem „IPS 200“ eine verbesserte Anlage. Doch reihte sich weiter eine Schwierigkeit an die andere. So hatten die Physiker beispielsweise noch immer nicht die Probleme mit Strahlenschäden und anderen unerwünschten Effekten im Silizium durch den Ionenbeschuss gelöst.

Wiener wollten Millionen-Devisen-Investition von der DDR

Zudem bekamen die Ostdeutschen bald das Gefühl, dass die Wiener zwar scharf auf die Devisen-Zuflüsse aus der DDR war, aber gar nicht im versprochenen Umfang liefern konnten. Noch 1984 drängte die STW die DDR-Partner in einem Brief, 42 Millionen Schilling in den Aufbau einer neuen Sacher-Fabrik zu investieren, die angeblich profitabel die Ionenprojektoren in Serie herstellen und auch an andere Interessenten gewinnbringend würde verkaufen können. Zu dem Zeitpunkt waren aber weder mehrere Anlagen verkauft, wie im Brief behauptet, „noch deren Tauglichkeit nachgewiesen“, zitiert Steinbrecher aus einer Analyse der DDR-Seite. „Und die Herstellung solcher Anlagen in DDR war durch das Embargo auf viele der Komponenten auch zu dieser Zeit kaum denkbar.“

Projekt band immer mehr Ressourcen, während die USA die geheimen Lieferketten austrocknete

Zwar gelang es den Dresdner Experten, schrittweise viele Probleme zu lösen: Hochvakuum Dresden lieferte bessere Pumpen, die Prozesse liefen stabiler und dergleichen mehr. Und schließlich stellte das Projektteam auch tatsächlich Wafer „mit voll funktionierenden elektrischen Testfeldern her, die in Teilen mit der Ionenlithografie hergestellt wurden“, wie Andreas Kalz betont.

Doch von sicher reproduzierbaren Ergebnissen, die für einen Einsatz der Ionenprojektoren in der Chip-Massenproduktion nötig gewesen wären, waren die Anlagen auch Jahre nach dem Projektstart noch weit entfernt. Zudem band das Projekt – bei eher unsicheren Aussichten – immer mehr Devisen, Leute und andere Ressourcen. Das Projektteam auf DDR-Seite war von drei auf zeitweise bis zu 80 Spezialisten gewachsen, erinnert sich Steinbrecher. Zudem erweiterten die USA ihre Cocom-Liste um immer mehr Anlagen, die nicht in den Ostblock geliefert werden durften. Gleichzeitig kontrollierten CIA sowie andere Geheimdienste immer schärfer die Einhaltung des Hightech-Embargos und zerschlugen immer mehr geheime Lieferketten, die die Stasi und weitere staatliche Akteure aufgebaut hatten.

DDR beerdigte Projekt schrittweise Mitte der 1980er Jahre

Und so zogen Kombinationsleitung, SED-Wirtschaftslenker und das DDR-Elektronikministerium schließlich 1985 die Reißleine und beerdigten das Projekt „Ionenlithografie“. Der letzte Bericht zum Projekt stammt vom Mai 1986, danach verliert sich die Spur. „Ich glaube, die beiden an die DDR gelieferten Anlagen wurden letztlich verschrottet“, mutmaßt Steinbrecher.

Ohne Hauptauftraggeber DDR überlebte Sachertechnik nicht mehr lange

Die Sachertechnik Wien wiederum überlebte den Projektabbruch nicht: 1984 wurde das Unternehmen aufgelöst. Ein paar Mitarbeiter gründeten 1985 die Firma „Ionen Mikrofabrikations Systeme“ (IMS) und entwickelten die Ionen-Projektoren zunächst weiter. Nachdem sich aber ab der Jahrtausendwende immer mehr herauskristallisierte, dass die Chipfabriken weltweit für den nächsten Sprung hin in die Nanowelt nicht Ionenkanonen, sondern Belichter mit extremen Ultraviolett-Strahlen (EUV) einsetzen würden, schwenkte die IMS auf den Bau von Elektronenstrahl-Anlagen um und benannte sich 2001 in „IMS Nanofabrication GmbH“ um. Die gehört heute laut eigenen Angaben zu den führenden Anbietern von Elektronenschreibern für Chipmasken. Die Ionenlithografie allerdings hat sich bis zum heutigen Tage in den Chipfabriken weltweit nicht durchsetzen können.

Dresdner Chip-Alumni wollen halb vergessene Kapitel der DDR-Mikroelektronik aufschreiben

Aber ganz in Vergessenheit soll dieses ambitionierte, wenn auch gescheiterte gemeinsame Vorlauf-Projekt von DDR-Mikroelektronik und österreichischen Tüftlern eben nicht geraten. Diese und weitere Kapitel der ostdeutschen Chipindustrie und -entwicklung vor der Wende wollen daher die erwähnten Mikroelektronik-Alumni in Dresden nun für weitere Forschungen zusammentragen und schriftlich fixieren. Wer etwas beizutragen hat, kann über diese Netzseite beim sächsischen Hochtechnologie-Branchenverband „Silicon Saxony“ Kontakt zum Arbeitskreise der „Ehemaligen“ aufnehmen.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Interviews Steinbrecher, Literaturverzeichnis „Ionenoptik“ beim HZDR, IMS Nanofabrication“, Thomas Riegler: „Die ,Wiener Residentur’ der Stasi“, in: JIPSS, 2-2013, S. 89-113, Oiger-Archiv, Heiko Weckbrodt: „Die Innovationspolitik in der DDR 1971-1989“, Berlin 1997