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Künstlicher Qualitätsprüfer „Anowatch“ misst Autoteile am Schönheits-Ideal

Dr. Thomas Wiener. Foto: Stephanie Göbel für "IQ Innovationspreis Mitteldeutschland"

Dr. Thomas Wiener ist der Anowatch-Entwickler und Gründer. Foto: Stephanie Göbel für „IQ Innovationspreis Mitteldeutschland“

Sensor-System von Fraunhofer Chemnitz soll dadurch auch unbekannte Fehler erkennen

Chemnitz, 2. Oktober 2024. Damit sie auch neue, bis dahin noch nie gesehene Fehler an Karosserie-Blechen sofort entdecken, sollen Qualitätsprüfer in den Presswerken großer Autofabriken künftig künstliche Helfer aus Sachsen bekommen: Die „Anowatch“-Systeme sind mobile Sensor-Phalangen, die sich binnen Minuten wie eine Brücke über wechselnde Fließbänder legen lassen und selbstlernend arbeiten: Trainiert mit Bildern vom „idealen Bauteil“ erkennen sie jede Abweichung von diesem „Schönheitsideal“ und zeigen sie dem Menschen an ihrer Seite zur weiteren Kontrolle an.

Die meisten KI-gestützten Qualitätssicherer brauchen erst Unmengen von Fehlerbildern

Von daher unterscheidet sich „Anowatch“ deutlich von anderen automatischen Qualitätsprüfern, deren „Künstliche Intelligenz“ vor dem ersten praktischen Fließband-Einsatz zunächst mit Bildern fehlerhafter Bauteile gefüttert werden müssen. Diese Methode hat gewisse Nachteile: Einerseits muss der Betrieb erst mal genug Ausschussbilder besorgen, um die KI zu trainieren, oder gar absichtlich Ausschuss produzieren, nur um solches Lernmaterial zu erzeugen. Anderseits sind solche Systeme meist überfordert, wenn ein ganz neues Fehlerbild auftaucht, erklärt „Anowatch“-Entwickler Dr. Thomas Wiener vom „Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik“ (IWU) in Chemnitz. „Bisher unbekannte Fehler müssen also erst in der laufenden Produktion auftreten, als solche erkannt und für die Software als weitere mögliche Abweichungen markiert werden“, heißt es aus dem IWU. „Deren Zahl ist jedoch nicht begrenzt – abhängig von Presse und Werkzeugen, Produktionsprozess sowie Platine gibt es mehrere Fehlerquellen.“

AnoWatch scannt mit Kameras zuerst fehlerfreie Bauteile. Anhand dieses Solls überprüft die Software die Teile während der Produktion, erkennt Abweichungen und lenkt den Blick der Mitarbeitenden auf die entsprechende Stelle. Visualisierung: Fraunhofer-IWU

AnoWatch scannt mit Kameras zuerst fehlerfreie Bauteile. Anhand dieses Solls überprüft die Software die Teile während der Produktion, erkennt Abweichungen und lenkt den Blick der Mitarbeitenden auf die entsprechende Stelle. Visualisierung: Fraunhofer-IWU

Mobile Brücke lässt sich von Fließband zu Fließband verschieben

Daher trainiert Wiener seinen künstlichen Qualitätssicherer mit den besagten Ideal-Bildern: Weil sich dieses System in der laufenden Produktion anhand fehlerfreier Bauteilen selbst anlernt, kann es auch neue Abweichungen sofort erkennen – „auch und gerade solche, die erstmals auftreten“, betont Fraunhofer. Dabei setzt das Anowatch-Team auf eine Kombination aus hochauflösenden Kameras, Leuchten und Rechentechnik, die sie in eine mobile Fließband-Brücke integrieren. Ursprünglich entwickelt hatte Wiener dieses Konzept einer „Optischen Inline-Überwachung umgeformter Blechteile mittels robuster Anomaliedetektion“ im Zuge seiner Doktorarbeit an der TU Chemnitz.

Serienreife für Frühjahr 2026 avisiert

Mittlerweile ist das System so weit, dass sich Wiener zusammen mit vier Kollegen als Firma aus dem Fraunhofer-IWU ausgründet. Zudem hat er Anowatch inzwischen einem breiteren Fachpublikum auf dem Kongress des „Automobilclusters Ostdeutschland“ (ACOD) im Herbst 2024 in Dresden vorgestellt hat. Im dritten Quartal 2026 werde das System serienreif sein, kündigte er den Branchenvertretern in der gläsernen VW-Manufaktur in Dresden an.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Fraunhofer-IWU, Anowatch-Präsentation auf dem 17. ACOD-Kongress 2024, TU Chemnitz

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt