Leibniz-Ausgründung „Qpoint“ macht Leichtbau in Autoindustrie und Raumfahrt schneller und billiger
Dresden, 18. September 2024. Leichtbau gilt als wichtiger Schlüssel zu Flugzeugen, Elektroautos und Schiffen, die weniger Kraftstoff verbrauchen, mit elektrischen Antrieben besser klar kommen und die Umwelt weniger belasten als ihre Vorgänger. Ein besonders beliebtes Material der Ingenieure ist dabei Carbon. Denn kohlenstofffaser-verstärkter Kunststoff (CFK) ist fünfmal leichter als Stahl – allerdings eben auch, pro Kilogramm gerechnet, fünfmal so teuer. Gründe dafür sind der aufwendige Kohlefaser-Auslegeprozess, die langwierige Aushärtung und andere Fertigungsschritte, die immer noch viel Handarbeit erfordern.
Dass sich dies nun nach und nach ändert, ist unter anderem das Verdienst sächsischer Unternehmen und Institute. Den Boden dafür bereitet haben vor allem das Leibniz-Institut für Polymerforschung (IPF) und die TU Dresden mit der neuartigen „Tailored Fiber Placement“-Technologie (TFP). Dahinter steckt eine Art Hightech-Nähautomat, der Kohlenstofffasern computergesteuert so hinlegt und verknüpft, dass sie später an besonders belasteten Stellen extrem haltbar sind, wobei nur wenig Abfall entsteht. Auf dieser Basis entstanden Ausgründungen wie die IPF-Töchter „Hightex Verstärkungsstrukturen“ aus Klipphausen und die „Qpoint Composite“ aus Dresden, die sich auf TFP-gefertige Bauteile und maßgeschneiderte Heizformen für Carbon-Bauteile spezialisiert haben. Sie alle sind technologisch eng miteinander verbandelt und knüpfen an den kohlenstoffbasierten Leichtbau-Wertschöpfungsnetzen von morgen.
Ofen fehlte: Neue Heizform-Technologie aus einem Mangel geboren
Gerade die „Qpoint Composite“ ist ein Paradebeispiel dafür, welch unerwartete Folge-Innovationen eine in Dresden entwickelte neuartige Basistechnologie nach sich ziehen kann. „Im IPF haben wir in der Abteilung für Verbundwerkstoffe immer wieder auch CFK-Bauteile für Airbus und andere Luftfahrt-Unternehmen entwickelt. Uns fehlte aber lange Zeit ein Ofen, der für den Prozess notwendig ist“, erzählt Qpoint-Mitgründer Holger Orawetz, der vor der Wende an der TU Dresden Verfahrenstechnik-Ingenieurwesen studierte, dann in der Kraftwerksplanung und später als Forscher im Dresdner Polymerinstitut tätig war. „Da kam mir die Idee, mit der TFP-Technologie selbst Heizungen zu bauen.“ Denn die Dresdner Forscher hatten das maßgeschneiderte Faser-Auslegeverfahren zwar eigentlich entwickelt, um Carbon-Bauteile effizienter, genauer, belastbarer und schneller zu formen. Doch TFP-Automaten können prinzipiell weit mehr Aufgaben bewältigen.
Daher ließ Orawetz die Maschinen leitfähige Kohlenstofffasern zu Spiralen formen und dann mit glasfaserverstärktem Kunststoff verkapseln. Danach legte er Strom an, die Fasern erwärmten sich – et voila: Fertig war die Heizplatte. Der eigentliche Clou war und ist, dass sich diese Heizungen durch das TFP-Verfahren in nahezu jede beliebige Form bringen lassen. Dadurch fällt ein ganzer Prozessschritt weg: Statt die geformten Rohlinge manuell zur Vorhärtung in einen Ofen zu stecken und lange zu warten, heizen nun die Umformwerkzeuge selbst den Rohling binnen Sekunden punktgenau zurecht. „Das spart Zeit, Energie und Kosten in der Produktion“, erklärt der Erfinder. „Außerdem können die Kunden genau die gewünschten Temperaturverläufe am Bauteil einstellen.“
Prozesstempo schon beim 1. Auftrag glatt verzehnfacht
Das wirtschaftliche Potenzial dieser neuen Technologie, die weit über einen Ofen-Ersatz für Forschungs-Kleinserien hinaus ging, wurde Holger Orawetz rasch klar. Gemeinsam mit seinem Kollegen Matti Reppe gründete er 2009 die „Qpoint Composite“ aus dem Mutterinstitut aus. Beide führten das Verfahren dann zur Industriereife. „Unser erster Auftrag kam vom Luftfahrtzulieferer FACC“, erinnert sich Orawetz. „Wir haben den Österreichern 30 beheizbare Werkzeuge für Flügelstrukturen geliefert. Dadurch hat sich dort das Prozesstempo glatt verzehnfacht.“
Dieser Erfolg der Dresdner Technologie sprach sich in den Zulieferbrachen für Autobauer, Luft- und Raumfahrt rasch herum: Die Aufträge häuften sich, das Gründerdomizil im Polymerinstitut wurde den Qpointern rasch zu klein. Daher zogen sie 2010 um, in einen Industrie-Altbau der Dresdner Gardinen- und Spitzenmanufaktur an der Breitscheidstraße. Gleich nebenan forscht übrigens die TU Dresden in ihrem „Research Center Carbon Fibers Saxony“ an den Kohlefasern von morgen.
Sächsische Technologie steckt im Sportwagen ebenso wie in der Ariane-Rakete
Seither ist das Team auf 16 Ingenieure und andere Experten gewachsen, die die Technologie stetig verfeinern. In zahlreichen Kundenprojekten hat sich gezeigt, dass die heizbaren Carbon-Werkzeuge aus Dresden im Vergleich zum klassischen Ofen-Verfahren nur ein Drittel der früher eingesetzten Energie verbrauchen, ein fünf bis zehn Mal höheres Produktionstempo zulassen und für erhebliche Kosteneinsparungen in der Industrie sorgen. Zu den – zumeist internationalen – Kunden der Dresdner gehören Zulieferbetriebe für Porsche, Audi, Aston Martin, Lamborghini, Airbus, Boeing oder „Beyond Gravity“, aber auch regionale Technologiebetriebe wie Hightex.
Auch in den Weltraum hat es die Hightech-Werkzeugschmiede schon geschafft: Als jüngst die neue europäische „Ariane 6“-Rakete in den Orbit startete, war dort Dresdner Technologie gewissermaßen mit an Bord: Qpoint lieferte sensorgespickte Heiz- und Aushärtematten für die Fugenpflaster, mit denen sich die einzelnen Raketensegmente besonders genau verbinden und versiegeln lassen.
Ein weiteres Geschäftsfeld erschließen sich die Sachsen gerade: Sie liefern beheizbare 3D-Pressschalen, mit denen Fahrzeug-Zulieferer beispielsweise die Kunststoff-Sitze und andere Innenteile von Autos so veredeln, dass sie schick nach Leder & Co. aussehen, statt in Billig-Plasteoptik daher zu kommen. Zu den finalen Abnehmern der so verschönerten Interieur-Bauteile gehören Porsche und Mercedes, insbesondere Fabriken für Panzerlimousinen. „In diesen Kaschier- und Belederungs-Technologien steckt noch viel Potential“, ist Orawetz überzeugt. „Wir hoffen auf viele neue Aufträge.“
Kurzüberblick
-
Unternehmen: Qpoint Composite GmbH
-
Geschäftsfelder: beheizbare Formwerkzeuge für den Karbon-Leichtbau, Auto-, Flugzeug- und Raumfahrtindustrie
-
Gründung: 2009 in Dresden
-
Belegschaft: 16
-
Umsatz: drei Millionen Euro
-
Mehr Infos im Netz: qpoint-composite.de
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: Vor-Ort-Besuch, Qpoint, Oiger-Archiv, Wikipedia, Statista
Hinweis: Dieser Beitrag ist ursprünglich für die Dresdner Neuesten Nachrichten (Bezahlschranke!) entstanden
Ihre Unterstützung für Oiger.de!
Ohne hinreichende Finanzierung ist unabhängiger Journalismus nach professionellen Maßstäben nicht dauerhaft möglich. Bitte unterstützen Sie daher unsere Arbeit! Wenn Sie helfen wollen, Oiger.de aufrecht zu erhalten, senden Sie Ihren Beitrag mit dem Betreff „freiwilliges Honorar“ via Paypal an:
Vielen Dank!
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.