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Ein Fünftel mehr Arbeiter und Akademiker nach Deutschland gekommen

Seit etwa 2010 steigt die Zahl der Akademiker, Fachkräfte und Hilfsarbeiter, die befristet in Deutschland arbeiten, an. Nachdem Corona abgeebbt ist, sind die Nachhole-Effekte besonders sichtbar. Grafik: Destatis

Seit etwa 2010 steigt die Zahl der Akademiker, Fachkräfte und Hilfsarbeiter, die befristet in Deutschland arbeiten, an. Nachdem Corona abgeebbt ist, sind die Nachhole-Effekte besonders sichtbar. Grafik: Destatis

Nachhole-Effekte nach Corona: 351.000 Nicht-EU-Ausländer sind fürs Arbeiten auf Zeit in der BRD

Wiesbaden, 1. Mai 2023. Die „Blaue Karte“, das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz und andere Maßnahmen gegen den Arbeitskräftemangel in Deutschland beginnen mit einer gewissen Zeitverzögerung durch Corona nun doch zu wirken. Außerdem zieht auch die „Westbalkan“-Reglung wieder viele Arbeiter in die Bundesrepublik. Das geht aus Erhebungen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) in Wiesbaden hervor.

Plötzlich steiler Zuwachs

Demnach hat der Zuzug von – insbesondere qualifizierten – Arbeitern und Akademikern nach Deutschland im vergangenen Jahr einen kräftigen Schub erhalten: Laut Destatis hielten sich Ende 2022 rund 351.000 Nicht-EU-Ausländer „mit einem befristeten Aufenthaltstitel zum Zweck der Erwerbstätigkeit“ in der Bundesrepublik auf. Nach vergleichsweise schwachen Zuwächsen in den Vorjahren entsprach dies einem deutlichen Wachstum um 19 Prozent. „Einer der Gründe für den starken Anstieg dürften Nachholeffekte durch den Wegfall vieler coronabedingter Einschränkungen im Jahr 2022 gewesen sein“, mutmaßen die Bundesstatistiker.

Zuerst kamen die „Computer-Inder“

Angesichts der Überalterung der deutschen Gesellschaft und des wachsenden Fachkräftemangels in immer mehr Branchen hatte der Bund in der vergangen Dekade mehrere Gesetze verabschiedet, um vor allem qualifizierte Facharbeiter und Akademiker jenseits der EU-Grenzen dazu zu bewegen, Jobs in Deutschland anzutreten. So gibt es seit 2012 die Blaue Karte, mit der Akademiker aus Nicht-EU-Ländern in die Bundesrepublik kommen können, wenn sie ein konkretes Job-Angebot mit einem bestimmten Mindesteinkommen haben. Diese „Blue Card, die damals oft auch umgangssprachlich „Computer-Inder“-Karte genannt wurde, haben inzwischen 89.000 Menschen in Deutschland und damit etwa jeder vierte Arbeits-Einwanderer. Die meisten Inhaber kommen tatsächlich aus Indien, gefolgt von den Türken und Russen.

Später kamen noch ähnliche Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse für Nicht-EU-Akademiker hinzu. Die waren dann aber nicht mehr an Mindesteinkommen und eine Arbeitsstelle gekoppelt, die genau ihrem Hochschulstudium entsprach.

Etwa ein Viertel der Nicht-EU-Ausländer, die nach Deutschland zum Arbeiten gekommen sind, haben die "Blaue Karte" der Akademiker. Aber auch "Westbalkan-Reglung" und "Fachkräfte-Einwanderungsgesetz" haben hohe Anteile an der Arbeitsmigration in die BRD. Grafik: Destatis

Etwa ein Viertel der Nicht-EU-Ausländer, die nach Deutschland zum Arbeiten gekommen sind, haben die „Blaue Karte“ der Akademiker. Aber auch „Westbalkan-Reglung“ und „Fachkräfte-Einwanderungsgesetz“ haben hohe Anteile an der Arbeitsmigration in die BRD. Grafik: Destatis

Fachkräfte-Gesetz überkreuzte sich mit Corona

Da Fachkräftelücken aber längst nicht mehr Akademiker-Berufe betreffen, lockerte der Bund ab dem 1. März 2020 mit dem „Fachkräfte-Einwanderungsgesetz“ auch den Zuzug qualifizierter Facharbeiter von außerhalb der EU. Das neue Gesetz versandete aber zunächst: Einerseits an vielen praktischen Hürden, überlasteten deutschen Auslandsvertretungen, anderseits aber vor allem daran, dass sich das neue Gesetz mit Corona überkreuzte: Als Grenzen dicht waren, Ausgangssperren galten und Fluggesellschaften ihren Betrieb einstellten, war an eine qualifizierte Zuwanderung kaum zu denken. Das hat sich aber nun ein Stück weit geändert: Ende 2022 hatten zumindest schon 41.000 Nicht-EU-Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis für Fachkräfte mit Berufsausbildung. „Im Vergleich zum Vorjahr war das ein deutliches Plus von 13 000 Personen oder 44 %“, berichtet Destatis.

Sonderregel für Westbalkan

Eine große Gruppe innerhalb der Arbeits-Zuwanderer nach Deutschland machen schließlich noch Menschen aus Albanien, Bosnien, Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien aus: Die „Westbalkanregelung“ umfasst derzeit 62 000 Nicht-EU-Staatsangehörige und erlaubt es ihnen seit 2016 bei einem konkreten Arbeitsangebot, nach Deutschland zu kommen. Sie gilt auch für Hilfskräfte, zum Beispiel Erntehelfer.

Ukrainer dürfen jenseits von Blauer Karte & Co. arbeiten

Ukrainer machen hier übrigens einen vergleichsweise kleinen Anteil aus: Ende 2022 kamen nur zwei Prozent der Arbeiter und Akademiker mit befristeter Aufenthaltserlaubnis „zum Zweck der Erwerbstätigkeit“ aus der Ukraine. Das liegt aber vor allem an einem statistischem Effekt: Die meisten geflüchteten Ukrainer haben einen sogenannten „humanitären Aufenthaltstitel“ bekommen – sie können und dürfen in aller Regel jenseits von Blauer Karte und anderen Regeln in Deutschland vorerst arbeiten und leben. Wieviel das tatsächlich tun, ist im „Ausländerzentralregister“ (AZR) nicht erfasst. Bei anderen Erhebungen hatte sich aber ergeben, dass das Qualifikationsniveau und die Arbeitsbereitschaft der Ukrainer im Vergleich zu anderen Flüchtlingsgruppen besonders hoch ist. Es ist davon auszugehen, das sie derzeit eher Arbeitskräftelücken in Deutschland schließen.

Rund 103.000 „Unbefristete“

Übrigens: Zusätzlich zu den erwähnten Arbeitern und Akademikern mit befristeten Aufenthalts- und Arbeitserlaubnissen leben in Deutschland noch 103.000 Erwerbstätige – inklusive Selbstständige – aus Nicht-EU-Staaten mit einer unbefristeten Niederlassungserlaubnis.

Viele Wirtschaftspolitiker und -kammern sind allerdings überzeugt, dass trotz der jüngsten Erfolge bei der qualifizierten Zuwanderung noch mehr getan werden muss, um ungenutzte Fachkräfte-Potenziale im In- wie Ausland zu haben: In Deutschland gilt es vor allem, Frauen und Senioren die Teilnahme am Arbeitsleben zu erleichtern. Und andererseits planen Akteure wie etwa der Freistaat Sachsen die gezielte Fachkräfte-Akquise in ausgewählten Ländern jenseits der EU, beispielsweise mit Vietnam, statt nur darauf zu warten, dass die Akademiker und Facharbeiter nach Deutschland kommen.

Autor: hw

Quellen: Destatis, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt