Die Zittau-Oybin-Jonsdorfer Bimmelbahn zuckelt noch immer durch die ausgesprochen schöne Gegend im südöstlichsten Zipfel Sachsens.
Oybin. Wehret den Anfängen sagte sich im April 1890 ein wackerer Gendarm namens Haubold, als er sah, was Vandalen in Oybin angerichtet hatten. Im Dorf wie auch auf den Wegen am entstehenden Bahnhof waren Steine abgelagert und Barrieren beschädigt worden. Haubold erstattete Anzeige, der Übeltäter war rasch ausgemacht. Es war ein Bauunternehmer namens Bomborn, der unter Androhung von 30 Mark Geldstrafe von Amts wegen die Anweisung erhielt, gefälligst die Ordnung binnen 24 Stunden wiederherzustellen, wie auf einer Tafel zu lesen ist, die am Bahnhof in Oybin steht. Sie ist Teil eines Lehrpfads über die Geschichte einer Schmalspurbahn, die bis heute immer noch zwischen Zittau und Oybin beziehungsweise Jonsdorf verkehrt.
5 von einst 30 Bimmelbahnen noch im Betrieb
Nachdem Zittau 1848 mit der Bahnstrecke Zittau–Löbau einen Eisenbahnanschluss erhalten hatte, setzte man in den Jahrzehnten danach alles daran, auch das Umland mit weiteren Bahnstrecken zu erschließen. Einst gab es in Sachsen rund 30 Schmalspur-Bahnen. Fünf von ihnen sind noch heute regulär mit festem Fahrplan in Betrieb. Vier dampfen sporadisch zuckelnd als Museumsbahn umher. 1859 wurde jedenfalls die Bahnstrecke Reichenberg–Zittau und 1875 die Bahnstrecke Zittau–Hagenwerder (mit Verlängerung nach Görlitz) eröffnet. Am Bau einer Strecke in Zittauer Gebirge hatte der sächsische Staat allerdings zunächst kein Interesse. Er war auch skeptisch, was Privatinitiativen und -gesellschaften anging. Denn in den 1870er Jahren hatte er zahlreiche insolvente und unrentable private Bahngesellschaften aufkaufen müssen. Erst als eine Kaution gestellt wurde, durften überhaupt Vorarbeiten zum Bahnbau einer Strecke nach Zittau beginnen.
Geld war rasch aufgebraucht
Letztlich reichten die von Gastwirten und lokalen Fabrikanten aufgebrachten Geldmittel gerade mal eben für Projektierungsarbeiten aus. An eine Finanzierung des eigentlichen Bahnbaus war nicht zu denken. Da auch die Oberlausitzer Bank nicht in das Projekt einsteigen wollte, gründete sich am 28. August 1888 die Zittau-Oybin-Jonsdorfer Eisenbahn-Gesellschaft (ZOJE), deren Kapital in Höhe von 1,5 Millionen Mark von der Bank Sörgel, Parrisius & Co. stammte. Die Konzession für den Bahnbau erhielt die Gesellschaft am 28. März 1889.
Stellwerk steuerte 16 Weichen
1890 wurde die Bahn eröffnet, am Bahnhof Bertsdorf verzweigten sich die beiden Streckenäste der von Zittau kommenden Schmalspurbahn zu den Endbahnhöfen Oybin und Jonsdorf. Das „in seiner historischen Gesamtheit erhaltene Bahnhofensemble“ weist als Abzweigbahnbahnhof „einige Besonderheiten auf“. So wurden das Empfangsgebäude, der Lokomotivschuppen und die Ladestraße des Bahnhofs in Insellage errichtet. Das 1938 errichtete gebaute Stellwerk ist eines der wenigen Hochstellwerke einer sächsischen Schmalspurbahn. Der Fahrdienstleiter bediente vom Bertsdorfer Stellwerk aus insgesamt 16 Weichen, vier Gleissperren und drei Einfahrtssignale mit Hilfe von Drahtzugleitungen. Zum Spannen der Drähte befindet sich im Erdgeschoss ein Spannwerksaum.
In Bertsdorf wurden von der ZOJE alle notwendigen Anlagen für den Einsatz der Lokomotiven errichtet. Dazu gehörten neben dem Empfangsgebäude ein Güterschuppen, ein Heizhaus mit vier Ständen und Wasserversorgungsanlage für die Lokomotiven der Gattung I K sowie ein Kohleschuppen für die Loks. Das Wirtschaftsgebäude wie das Heizhaus wurden in den Jahren 1911 und 1938 erweitert. Bis 1954 diente Bertsdorf als Lokomotiveinsatzstelle, danach viele Jahrzehnte lediglich noch zum Abstellen von verschiedenen Fahrzeugen.
Gründerzeit-Hotel gleich neben dem Bahnhof
An das Bahnhofsensemble schließt sich das im Stil der Gründerzeit anno 1907 errichtete Hotel Bahnhof Bertsdorf. Das Gebäude war am Ende der DDR so heruntergekommen, dass der neue Besitzer es aus Kostengründen 1994 abreißen und in den beiden darauffolgenden Jahren als mehr oder minder exakte historische Kopie wiederaufbauen ließ – es ist ein Schmuckstück.
Empfangsgebäude im Schweizerhaus-Stil
Was das Empfangsgebäude im Kurort Oybin angeht, so wird auf einer weiteren Texttafel versichert, dass es „zweifelsfrei das eindrucksvollste Bauwerk der ganzen Schmalspurbahn“ sei. Dem damaligen Zeitgeschmack entsprechend, wurde es als repräsentatives Stationsgebäude im Schweizerhaus-Stil erbaut. Diese Bauform mit entsprechenden Verzierungen besaßen in Oybin bereits mehrere ab dem Jahr 1850 als Berggaststätten und Logierhäuser für reiche Zittauer Kaufleute oder Fabrikbesitzer gebaute Häuser wie etwa der Berggasthof auf dem Oybin.
Natursehnsucht inmitten der Industrialisierung
Der Schweizerhaus-Stil war im 19. Jahrhundert bis in die Belle Epoque zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland, Österreich-Ungarn und Skandinavien unglaublich beliebt. Geschuldet war dies der Schweizbegeisterung, die im späten 18. Jahrhundert mit dem romantischen Ideal der Naturverbundenheit halb Europa erfasste. Das einfache Leben des Bergbauern wurde – unter anderem durch Jean-Jacques Rousseau – mythologisiert, Natur mit Wahrheit gleichgesetzt. Der Schweizerstil sollte ein Gegenbild zur Industrialisierung darstellen, die ja insbesondere Sachsen in weiten Teilen voll erfasst hatte.
Verhängnisvoller Unfall
Nicht nur das Empfangsgebäude Oybins, sondern auch das Wasserhaus und ein Abortgebäude waren am 1. Oktober 1890 fertiggestellt. An der Wartehalle hing rechts neben der Eingangstür neben der großen Bahnhofsuhr eine Orientierungstafel des Oybiner Gebirgsvereins, die Ausflüglern Angaben über Wanderwege und Entfernungen zu den Ausflugspunkten vermittelte. Zunächst beschied man sich am Bahnhof von Oybin mit drei Gleisen. Erst im Jahr 1907 erfolgte der Bau eines zusätzlichen Ladegleises – damals Gleis 4 – an der ehemaligen Ladestraße hinter dem Empfangsgebäude, so dass zu entladende Güterwagen nicht mehr den Betriebsablauf beeinträchtigen. An sich liefen die Dinge allenfalls halbwegs gut, aber dann kam es am 7. August 1904 auch noch zu einem Unfall, bei dem neun Personen schwer verletzt wurden, als zwischen Bertsdorf und Oybin zwei Züge zusammenstießen. Der Unfall belastete die ZOJE-Gesellschaft stark, da nach der Reparatur der zwei stark beschädigten Lokomotiven „Lausche“ und „Töpfer“ der ohnehin schon geringe Überschuss fast völlig aufgebraucht war.
Im vierten Anlauf ging die Schmalspurbahn an den Staat
Bereits 1898 hatte die ZOJE wegen des schlechten Betriebsergebnisses einen ersten Versuch unternommen, die Schmalspurbahn für 1,6 Millionen Mark an den sächsischen Staat zu „verticken“, denn die Bahn erwirtschaftete nicht genug Gewinn, um eine Dividende auszuzahlen und notwendige Erweiterungen zu finanzieren. Dem Staat war die Bahn allerdings zu teuer. Auch ein zweiter Verkaufsversuch 1901 scheiterte. 1903 unternahm die Gesellschaft einen dritten Versuch, diesmal für 850 000 Mark. Am 1. Juli 1906 wurde die Schmalspurbahn schließlich und endlich für 770 000 Mark an den Staat verkauft, nun war die Königlich Sächsische Staatseisenbahn für den Betrieb zuständig. Die Generaldirektion ließ dann 1913 in Jonsdorf die hölzerne Wartehalle abreißen und ein stattliches Empfangsgebäude errichten. Den Namen Kurort Jonsdorf trägt der Bahnhof von Jonsdorf erst seit 1935.
Bahn kurbelte Kurtourismus an
Durch die Bahn blühte der Kurtourismus in Oybin wie Jonsdorf nachhaltig auf. Die Passagierzahlen verdoppelten sich innerhalb weniger Jahre (1891: 246 777, 1909: 523 000). Dabei wurden die größten Beförderungsleistungen im Ausflugsverkehr an Sonn- und Feiertagen sowie während der Sommerferien erbracht. Am Spitzentag, dem Pfingstmontag 1909, wurden 12 337 Personen befördert. Noch besser wurden die Zahlen in der Weimarer Republik, jedenfalls während der kurzen Blütezeit in den „Goldenen Zwanzigern“. So konnte am 23. Mai 1923 die Zittauer Morgenzeitung ihrer geneigten Leserschaft vermelden: „An den beiden Pfingstfeiertagen wurden 21.000 bzw. 24.000 Fahrkarten der Schmalspurbahn verkauft.“ Aber es gab auch Rückschläge. Am 5. Januar 1926 stürzte an der Viebigbrücke in Olbersdorf eine Dampflok in einen Garten neben der Eisenbahnstrecke.
Mit Tempo 30 unterwegs
Trotzdem ist die Schmalspurbahn im Großen und Ganzen ein ausgesprochen sicheres Verkehrsmittel – und sie fährt noch immer. Nicht nur Nostalgiker geraten ins Schwärmen, wenn so eine Lok samt Waggons gemächlich angezuckelt kommt. 30 Kilometer pro Stunde beträgt die Höchstgeschwindigkeit, mehr ist nicht drin. Klar, Lamborghini- und Porsche-Fahrer werden den „Stillstand“ beklagen, alle anderen werden die Entschleunigung zu schätzen wissen. Und es war klar, dass es nicht um diesen Zug ging, als in der DDR folgender Witz aufkam: „Ein Kanadier erzählt einem DDR-Bürger ,Bei uns kann man 24 Stunden mit einem Schnellzug fahren und ist immer noch im selben Land’ – ,Ja, solche Schnellzüge haben wir auch.’“ Mächtige Dampf- und vor allem Rauchwolken werden von den Loks ausgestoßen, der Geruch ist im olfaktorischen Gedächtnis älterer Menschen noch gespeichert und erinnert sie an Zeiten, als Dampfloks (im Reichsbahnbetrieb) mit Bimmel und Pfiff noch allgegenwärtig waren. Aber auch Jüngere sind – bis auf die üblichen Spaßbremsen – fasziniert von den nostalgischen Überbleibseln aus alten Zeiten, Feinstaub hin oder her.
Mehr Infos
Die Ticketpreise und Fahrpläne sind hier zu finden. Die Fahrpreise beginnen ab vier Euro für zwei Stationen für Erwachsene
Autor: Christian Ruf
Quelle: Vor-Ort-Besuch, Texttafeln
Zum Weiterlesen:
Bahnfans bauen kompletten Zug für die I K
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