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„Der Mann aus dem Schatten“: Neuer Krimi vom „Millennium“-Vollender

Umschlag von "Der Mann im Schatten". Abb.: Heyne-Verlag

Umschlag von „Der Mann im Schatten“. Abb.: Heyne-Verlag

David Lagercrantz setzt ein ungleiches Paar auf einen Schiedsrichtermord an

Die Krimigemeinde hat ein neues, natürlich ungleiches Ermittler-Paar bekommen: Nachdem der Schwede David Lagercrantz die Millennium-Serie seines verstorbenen Landsmannes Stieg Larsson vollendet hat, startet er mit „Der Mann aus dem Schatten“ nun eine eigene Detektivromanreihe. Darin klären die junge, ehrgeizige Streifenpolizistin Micela Vargas aus dem chilenischen Einwanderermilieu und der exzentrische Oberschichtschwede Hans Rekke einen kniffligen Fall auf, an dem sich zuvor Vargas’ Kollegen von der Mordkommission die Zähne ausgebissen haben.

Die Story: Spuren führen dem Exzentriker und die Streifenpolizistin bis ins Afghanistan der Taliban

Nach einem Jugendfußballspiel tickt der Vater eines jungen Spielers auf dem Rasen völlig aus, beschimpft er den Schiedsrichter Jamal Kabir aufs Übelste. Der wird kurz darauf tot im benachbarten Wald gefunden – erschlagen, gesteinigt. Doch der scheinbar offensichtliche Täter will einfach nicht gestehen. Deshalb bezieht der Polizeichef den legendären Verhörexperten Rekke in die Ermittlungen ein und auch die Streifenpolizistin Vargas, weil die sich im Viertel, in dem der Mord geschah, gut auskennt. Doch dann zieht irgendjemand im Hintergrund seine Strippen und die Ermittlungen verlaufen im Sande. Vor allem der hartnäckigen Vargas lässt der Mord aber keine Ruhe. Sie beginnt gemeinsam mit Rekke, ihre eigenen Spuren zu verfolgen. Und die verzweigen sich bald über den halben Globus und führen nach Afghanistan, Pakistan, Deutschland, Russland und in die USA. Bald stellt sich heraus, dass der Schiedsrichter in seinem vorherigen Leben in Afghanistan vielleicht doch kein Widerstandskämpfer gegen die Taliban war, wie zunächst angenommen, und sein sehr ambivalentes Verhältnis zu klassischer Musik eine besondere Rolle in diesem Fall spielen könnte. Und je tiefer sie graben, umso mehr geraten die beiden Detektive ins Visier der CIA und der schwedischen Politikerkaste…

BBC-Sherlock lässt grüßen

Das erzählt Lagercrantz spannend und mit einer steten politischen und sozial kritischen Note, wie es viele schwedische Autoren gerne tun. Das spiegelt sich auch in seinem ungleichen Ermittler-Duo: Hier die junge Vargas aus einer chilenischen Familie, die ständig gegen Vorbehalte gegen Einwanderer, Ghettobewohner und Frauen anrennt, da der Dozent und Pianist Rekke aus reicher Familie, der im Überfluss zu ertrinken droht, aber eben auch ein sehr scharfsinniger deduktiver Beobachter ist. Sie steht für hartnäckige Polizeiarbeit, er für die brillanten Schlussfolgerungen – wenn er nicht gerade wieder einen Zusammenbruch hat oder sich mit Drogen vollgepumpt hat. Wer sich da an das Konzept der „Sherlock“-Serie der BBC erinnert fühlt, liegt nicht ganz daneben. Dazu bekennt sich Lagercrantz auch: Ganz zweifelsohne schulde ich Conan Doyle und seinem Sherlock großen Dank“, schreibt er in seinem Nachwort. „Sooft ich konnte, habe ich zu ihnen rübergelinst.“

David Lagercrantz, Foto: Magnus Liam Karlsson

David Lagercrantz, Foto: Magnus Liam Karlsson

Feines Gespür für alltägliche Absurditäten

Was etwas irritiert und den Leserfluss zu unterbrechen vermag, sind die übergangslosen Perspektivwechsel im Buch: Oft springt der Text ohne erkennbare Pause von einem Absatz zum nächsten zu anderen Akteuren. Leicht gewöhnungsbedürftig ist auch die anfängliche Rückwärtserzählung, die stilistisch eher an cineastische Konventionen erinnert – aber vielleicht der Autor ja gerade auch auf eine Verfilmung ähnlich der Millennium-Reihe. Auf jeden Fall zeigt er ein feines Gespür für das alltäglich Absurde und unterschwellige Komik.

Fazit: Bitte mehr!

Wenn Vargas und Rekke am Ende die meisten losen Fäden zusammengeknüpft haben, dann wünscht man sich als Leser gleich noch mehr Futter von der Polizisten und dem Exzentriker: Das liegt einerseits am besonderen Erzähl-Charme, den Lagercrantz nun, da er nicht mehr im Millennium-Stil schreiben muss, viel deutlicher zur Geltung bringt. Zweitens hat er hier zwei ganz eigene Ermittlerpersönlichkeiten entworfen mit vielen schrägen Schrullen und Eigenheiten, die sich in ganz unterschiedlichen sozialen Fahrwassern zu behaupten versuchen. Und nicht zuletzt haben Vargas und Rekke zwar den Mord am Schiedsrichter aufgeklärt. Und doch bleiben genug lose Enden für eins nächstes Buch.

Kurzüberblick:

  • Autor: David Lagercrantz
  • Deutscher Titel: „Der Mann aus dem Schatten“
  • Originaltitel in Schweden: „Obscuritas“
  • Genre: Krimi
  • Original: Norstedts-Verlag, Schweden, 2021
  • Deutsche Veröffentlichung: Heyne-Verlag 2022
  • Deutsche Übersetzung: Susanne Dahmann
  • Umfang: 480 Seiten
  • Preis (E-Buch): 19 Euro
  • ISBN: 978-3-641-26906-7
  • Eine Leseprobe gibt es hier

Autor der Rezension: Heiko Weckbrodt

Zum Weiterlesen:

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Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt