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5G-Campusnetze weisen Weg zu neuen Geschäftsmodellen und Hyperautomatisierung

Die Visualisierung zeigt, wie sich Siemens ein 5G-Campusnetz in der Industrie vorstellt. Grafik: Siemens

Die Visualisierung zeigt, wie sich Siemens ein 5G-Campusnetz in der Industrie vorstellt. Grafik: Siemens

Marktforscher prognostizieren Milliarden-Umsätze im industriellen Internet der Dinge

Dresden, 3. März 2022. Als Antwort auf Corona-Krise, gestörte Lieferketten und De-Globalisierungstendenzen rechnen viele Marktanalysten in nächster Zeit mit einem starken Automatisierungsschub in den klassischen Industrieländern. Das Marktforschungsunternehmen „Gartner“ aus den USA spricht gar von „Hyperautomatisierung“ als einem Top-Trend für das Jahr 2022. Da in vielen Branchen aber die Automatisierungspotenziale mit klassischer Robotik ausgereizt sind, rücken nun andere Schlüssel zu mehr Produktivität in den Fokus – darunter die 5G-Campusnetze.

Siemens hält eine Million vernetzte Geräte je Quadratkilometer für möglich

Denn diese Werks-Mobilfunknetzwerke der 5. Generation (5G) heben die intelligente Vernetzung von Fabriken, Lagerhallen oder Handwerksbetrieben auf eine neue Stufe: Sie sind zur Außenwelt abgeschottet und besonders ausfallsicher. Im Vergleich zu früheren WLAN-oder LTE-Werknetzen erreichen sie kürzere Reaktionszeiten und höhere Datenraten. Damit lassen sich nun Hunderte oder gar Tausende Roboter, Maschinen, Transporter und andere „Dinge“ zu einem betriebseigenen „Industriellen Internet der Dinge“ (englisch: Industrial Internet of Things, kurz: IIoT) intelligent vernetzen. Siemens-Experten schätzen sogar, dass sich in 5G-Campusnetzen über eine Million Geräte je Quadratkilometer verbinden lassen.

Schneller Wechsel des Fertigungsprofils

Ein weiterer Punkt: Die Kommunikation über ein 5G-Netzwerk ermöglicht anders als kabelgebundene Lösungen „eine größere Flexibilität innerhalb des Fabrikgeländes“ und eine rasche „Rekonfigurationen einzelner Maschinen“, heißt es in einer Technologieanalyse des Fraunhofer-Instituts für Offene Kommunikationssysteme in Berlin. In der Praxis bedeutet das: In drahtlosen Campusnetzwerken lassen sich Fertigungslinien schnell auf wechselnde Auftragslagen und neue Produkte umstellen. Auch Fernwartungen sind damit einfacher als bisher möglich.

Als frühe Hauptanwender haben sich bereits der Automobilbau, die Elektronikindustrie, die Logistikbranche, Chemiebetriebe und die Landwirtschaft herauskristallisiert. Weitere Branchen, die unter starken internationalen Wettbewerbsdruck stehen, dürften rasch folgen.

Maschinen leihen statt kaufen: „Asset as a Service“ als Industrietrend

5G-Industrienetze und darauf aufbauende IIoT-Lösungen erschließen aber nicht nur Produktivitätsreserven für Unternehmen in Hochlohnländern, sondern eröffnen Anwendern wie Ausrüstern auch die Chance, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Ein Beispiel: Im Maschinenbau, in der Landwirtschaft und in vielen anderen Branchen spielt künftig „Asset as a Service“ (AaaS) als datengetriebenes Finanzierungs- und Nutzungskonzept für den eigenen Anlagenpark eine wachsende Rolle, prognostiziert Projektmanager Andreas Buennig vom Softwareunternehmen „SAP“: Statt Maschinen einmalig zu kaufen, werden viele Unternehmen demnach ihre Ausrüstungen dann nur noch leihen und nutzungsabhängige Gebühren bezahlen. Die Erfassung und Abrechnung dieser Nutzungen erfolgt über die intelligenten Netze. Und wenn die Maschinen still stehen, weil wie während der Corona-Krise Lieferketten gestört sind, dann fallen für den Betrieb dann eben auch keine Kosten an. Angesichts dieser Vorteile bahne sich da ein „riesiger Markt“ an.

Deutsche Bank: neue Finanzierungsformen und riesige Nachfrage

Auch die Deutsche Bank verknüpft große Erwartungen mit derartigen Modellen: „Daraus ergeben sich neue Finanzierungsformen – und durch Krisen wie Corona eine riesige Nachfrage“, heißt es in einer AaaS-Marktanalyse des Geldinstituts. „Das ist allerdings nur möglich, weil die Maschinen uns diese Daten mittlerweile selbstständig über das Internet der Dinge zur Verfügung stellen können.“ Aus den dabei gewonnenen Daten lasse sich womöglich auch ein tieferes Verständnis für die Geschäftsprozesse und Bedarfe im Zielunternehmen gewinnen. „Ich kann mir vorstellen, dass die Hersteller durch ,Asset as a Service‘ irgendwann sogar besser wissen, was ein Kunde braucht, als er selbst“, schätzt Deutsche-Bank-Experte Álvaro Noreña in seiner Analyse ein. „Konkret könne das so aussehen, dass ein Kranhersteller einer Baugesellschaft mitteilt, dass sie für das kommende Bauvorhaben nur zwei statt der angefragten drei Kräne brauche, dafür aber noch drei andere Maschinen.

Akteure aus Europa besetzen Marktsegmente im IIoT

Gerade für europäische Unternehmen ergeben sich in solchen neuen Marktsegmenten beachtliche Potenziale: Viele konsumentenorientierte Plattformen der Digitalwirtschaft mögen zwar bereits weitgehend unter nordamerikanischen und fernöstlichen Konzernen aufgeteilt sein. Doch derweil akkumulieren Akteure aus Europa und speziell auch aus Deutschland eine erhebliche Expertise in Technologiefeldern wie Industrial 5G, Campus-Netze, Hyperautomatisierung und Industrie 4.0 beziehungsweise Industrial Internet of Things.

Die Visualisierung zeigt, wie sich die Deutsche Telekom ein 5G-Campusnetz für eine Raffinerie vorstellt. Grafik: Dt. Telekom

Die Visualisierung zeigt, wie sich die Deutsche Telekom ein 5G-Campusnetz für eine Raffinerie vorstellt. Grafik: Dt. Telekom

Die Deutsche Telekom beispielsweise spannt als Referenzbeispiel derzeit auf dem 13 Quadratkilometer großen Areal der PCK-Raffinerie in Schwedt das größte 5G-Campusnetz in der Bundesrepublik auf. Im Fokus steht dabei eine hochzuverlässige Steuerung der Raffinerieprozesse.

Auch bei Siemens erhofft man sich viele neue Ausrüstungsaufträge fürs „Industrial 5G“, wie das Konzept der 5G-Campusnetze dort genannt wird: „Die Erwartungen an das Potenzial der drahtlosen Kommunikation mit 5G für den industriellen Einsatz sind hoch“, heißt es vom Unternehmen. Der neue Mobilfunkstandard sei G „geradezu prädestiniert für den Einsatz in industriellen Anwendungen“. Der Elektrokonzern entwickelt dafür unter anderem spezielle Industrie-5G-Router für eine ultra-zuverlässige Kommunikation mit niedriger Latenz (URLLC).

5G-Campusnetz-Container vom Ceti Dresden. Solche Container, aber auch nur koffergroße Ausführungen mobiler Funkstationen will "Campus Genius" der freien Wirtschaft anbieten. Foto: Heiko Weckbrodt

5G-Campusnetz-Container vom Ceti Dresden. Solche Container, aber auch nur koffergroße Ausführungen mobiler Funkstationen will „Campusgenius“ der freien Wirtschaft anbieten. Foto: Heiko Weckbrodt

Chancen bietet diese neue technologische „Spielwiese“ aber nicht nur den Großen, sondern auch innovativen Start-ups: Die Dresdner TU-Ausgründung „Campusgenius“ zum Beispiel hat sich auf 5G-Campusnetze „aus dem Container“ spezialisiert, die sich rasch transportierten und aufspannen lassen. Interessant ist dies für kleine Handwerksbetriebe wie etwa Bäckereien ebenso wie für Industrieunternehmen, die Erfahrungen mit der Losgröße 1 und einer effizienten Unikatproduktion sammeln wollen. Mittlerweise haben sich die Dresdner mittlerweile mit dem Netzausrüster „albis-elcon“ aus dem sächsischen Hartmannsdorf zusammengetan. Dadurch können sie ihren Kunden nun einfach nutzbare 5G-Komplettlösungen anbieten. Das ist besonders wichtig, da es vielem potenziellen Nutzern noch an Erfahrungen mit dem Zusammenspiel der neuen Vernetzungstechnologien fehlt. „Das Thema 5G-Campus ist im Markt sehr präsent“, berichtet Tanja Kleinert von albis-elcon. „Doch wenn es konkret wird, sehen die Kunden dann doch noch viele Hürden.“

Der Kobot im IoT-Labor lässt sich per Tablet anlernen und steuern. Foto: Smart Systems Hub

Der Kobot im IoT-Labor lässt sich per Tablet anlernen und steuern. Foto: Smart Systems Hub

Starthilfe im IoT-Lab: ein Experimentierfeld für Innovatoren

„Viele Unternehmen rechnen mit hohen Einstiegsinvestitionen“, weiß auch Geschäftsführer Michael Kaiser vom „Smart Systems Hub“ in Dresden. Auch deshalb hat er im Herbst 2021 in der Dresdner Neustadt ein IoT-Lab mitsamt 5G-Campusnetz, Roboter, modularen Sensoren und Gateways eingerichtet. Die Nutzer können auf diesem Experimentierfeld erproben, ob ihre IIoT-Lösungen im Zusammenspiel funktionieren, ob sich der Einsatz eines Campusnetzes für sie überhaupt lohnt. Oder ob es vielleicht sinnvoller ist, auf den Mobilfunk der 6. Generation (6G) zu warten. Denn 6G könnte womöglich endlich die ursprünglich schon für 5G versprochenen ultrakurzen Latenzzeiten unter eine Millisekunde bringen, die für viele Echtzeit-Anwendungen und Mensch-Maschine-Schnittstellen gebraucht werden. Auch das können die Nutzer im IoT-Lab praktisch austesten. „Unser Ziel ist, mit diesem Angebot die Schwellen für den Einsatz dieser Technologien in den Unternehmen zu senken“, sagt Michael Kaiser. Letztlich könne der Hub damit der Wirtschaft helfen, neue Geschäftsmodelle und Märkte zu erschließen.

Wie stark die Marktvolumina und Produktivitätspotenziale speziell für Ausrüster und Anwender von IIoT-5G-Campusnetzen in den nächsten Jahren wachsen, ist zwar noch schwer zu quantifizieren. Auch für den Gesamtmarkt rund um 5G und das Internet der Dinge gehen die Prognosen teils spürbar auseinander. Die meisten Marktforscher gehen allerdings davon aus, dass die Umsätze in diesen Bereichen nach der Corona-Krise wieder stark anziehen. So rechnet das englische Marktforschungsunternehmen „IDTechEx“ aus Cambridge damit, dass der 5G-Gesamtmarkt bis zum Jahr 2032 auf rund 800 Milliarden US-Dollar (606 Milliarden Euro) wachsen wird. „MarketsandMarkets“ prophezeit durchschnittliche Zuwachsraten um die 29 Prozent pro Jahr.

Die Umsätze mit IoT-Hardware, -Diensten und -Komplettlösungen wiederum könnten laut „Fortune Business Insights“ bis 2025 auf über 1,8 Billionen Dollar (1,6 Milliarden Euro) zulegen. Innerhalb dieses Marktsegments könnten die speziell die Umsätze mit industriellen IoT-Lösungen bis 2027 auf 263 Milliarden Dollar (232 Milliarden) steigen, meinen die Analysten von „Meticulous Market Research“.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen:

FHG: „Mit 5G-Campusnetzen auf dem Weg zum kabellosen Werksgelände“

Deutsche Bank: „Maschinen nur noch bezahlen, wenn sie genutzt werden“

Dt. Telekom: „5G-Campus-Netz für PCK Raffinerie“

Gartner: „Die wichtigsten strategischen Technologie-Trends für 2022 von Gartner“

Dt. Telekom: 5G Technologie in industriellen Campus-Netzen, 

Siemens: „Industrial 5G“, 

Markets and Markets: 5G Services Market by End User, 

Statista: Forecast end-user spending on IoT solutions worldwide from 2017 to 2025, 

Fortune Business Insights: “Internet of Things (IoT) market size”, 

Meticulous Market Research: Industrial IoT (IIoT) Market, 

Smart Systems Hub – IoT-Lab

IDTechEx: 5G Technology, Market and Forecasts 2022-2032,

 

 

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt