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Brandbrief aus Erzgebirge gegen Corona-Grenzschließung

Nicht nur in Autos, sondern auch in Landmaschinen - hier eine Aufnahme aus einer Agrarfahrzeug-Entwicklung der TU Dresden - enthalten neben Motoren viele bewegliche Teile, die einen Teil der eingesetzten Energie als unerwünschte Reibung und Abwärme vergeuden. Foto: Heiko Weckbrodt

Foto: Heiko Weckbrodt

Wirtschaftsförderer: Können nur noch Scherben zusammenkehren und von vorn anfangen

Annaberg-Buchholz, 18. Februar 2021. In einem „offenen Brief“ hat die „Wirtschaftsförderung Erzgebirge“ (WFE) aus Annaberg-Buchholz die sächsischen Corona-Grenzschließungen nach Tschechien scharf kritisiert. „Die Schäden werden erheblich sein und nicht reparabel“, warnten WFE-Chef Matthias Lißke und Wirtschaftsservice-Leiter Jan Kammerl in ihren Schreiben, das nicht adressiert ist, sich aber offensichtlich an die Politiker in Dresden und Berlin richtet. Sie fordern, die Grenze zu Tschechien schnellstmöglich weder zu öffnen, insbesondere für Industriebeschäftigte und -transporte.

Vorwurf: Regierungen in Dresden und Berlin scheren sich nicht im Grenzregion

„Die Tourismuswirtschaft als wichtiger Wirtschaftsfaktor ist schon total gelähmt, Handel und Dienstleistung werden bewusst auf Großkonzerne beschränkt“, heißt es in dem Brief mit Blick auf Geschäfts-, Restaurant- und Hotelschließungen im Corona-Ausnahmezustand. „Irgendwann können wir die Scherben zusammenkehren und von vorn anfangen.“ Durch die nun geschlossenen Grenzen werde nun die wertvollste Branche des Erzgebirges, die Zulieferindustrie, beschädigt. „Der Ausschluss von zirka 200 Berufspendlern im Erzgebirgskreis ist leider in Dresden oder Berlin kein Thema“, kritisieren die Wirtschaftsförderer. „Es betrifft ja nur die Grenzregion unmittelbar.“

Schichten fallen aus

Inzwischen würden in vielen grenznahen Betrieben ganze Schichten ausfallen, könnten Aufträge nicht mehr weiter bearbeitet werden, so dass Vertragsstrafen drohen. „Bei BMW und Mercedes gibt es kein Verständnis.“

Vertragsstrafen drohen

Die Wirtschaftsförderer, die laut eigenen Angaben im Namen vieler Unternehmer im Erzgebirge protestieren, führen mehrere Beispiele auf, wie schwer die Grenzschließungen die Betriebe schädigen. In der „Seiwo Technik“ in Drebach beispielsweise könne ein Fünftel der Produktionsbelegschaft nicht mehr arbeiten. „Uns drohen Vertragsstrafen und Schadensersatzforderungen“, erklärte Seiwo-Chef Jan Wabst.

„Massive Produktionsausfälle“

In der Mogatec Drebach wiederum sind laut Geschäftsführer Alexander Gränitz mit einem Schlag 80 von rund 300 Mitarbeiter durch die Grenzschließung weggefallen. Es sei zu massiven Produktionsausfällen gekommen, die Existenz des Unternehmens sei gefährdet.

„Für uns bedeutet die Grenzschließung eine absolute Katastrophe“, berichtete Prokuristin Kerstin Dittrich vom Metallbauer „A.i.m.“ aus Pockau-Lengefeld. 60 der 300 Mitarbeiter seien Pendler, die seien durch die Entscheidungen in Dresden übers Wochenende schlagartig weggefallen. „Das kann kein Unternehmen überleben.“

„Machen eine ganze Region kaputt“

„So machen wir eine ganze Region kaputt“, kritisierte Geschäftsführer Frank Gleißner von der „Schönheider Guss“. Statt Grenzen zu schließen, sollten die Teststrategien der Unternehmen genutzt werden, um Corona einzudämmen. „Auch tägliche Tests wären möglich.“

Zuvor hatten sich bereits die Industrie- und Handelskammer (IHK) Dresden sowie die Handwerkskammer (HWK) Dresden kritisch über den verlängerten Corona-Ausnahmezustandes und die Grenzschließungen geäußert. „Was weiterhin fehlt, ist eine längerfristiges Konzept, wie das Leben und Wirtschaften mit Corona sinnvoll ermöglicht und geregelt werden kann“, forderte beispielsweise HWK-Präsident Jörg Dittrich.

Wirtschaftsministerium: Konsequenzen wären noch schlimmer, wenn ganze Belegschaft wegen Corona ausfällt

„Das Kabinett hatte eine schwierige Abwägung zu treffen zwischen wirtschaftlichen Interessen und Gesundheitsschutz“, kommentierte das sächsische Wirtschaftsministerium auf Oiger-Anfrage die harsche Kritik aus dem Erzgebirge. „Oberste Priorität hat der Schutz von Leib und Leben. Die Kontrollen und Restriktionen an den Grenzen gibt es, weil insbesondere die an Sachsen und Bayern grenzenden Gebiete Tschechiens Brennpunkte der hochansteckenden Variante des Coronavirus sind.“ Und weiter: „Wenn in einem Unternehmen Beschäftigte fehlen, ist das problematisch. Gerade wer die Interessen von Unternehmen und Arbeitnehmern im Blick hat, sollte allerdings bedenken, dass die wirtschaftlichen Konsequenzen noch viel weitreichender sind, wenn die ganze Belegschaft ausfällt, weil sie an Corona erkrankt oder in Quarantäne ist.“ Zudem verwies Ministeriums-Sprecher Jens Jungmann auf den Unterbringungszuschuss für tschechische Grenzpendler, den die sächsische Staatsregierung gewähre.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: WFE, IHK DD, HWK DD

 

 

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt