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Europa startet neue Halbleiter-Initiative

Das IMEC im belgischen Löwen ist Europas größtes Mikroelektronik-Forschungsinstitut. Foto: IMEC

Das IMEC im belgischen Löwen ist Europas größtes Mikroelektronik-Forschungsinstitut. Foto: IMEC

19 Staaten wollen 145 Milliarden Euro aus Corona-Konjunkturprogrammen nutzen, um Mikroelektronik-Ketten im EU-Raum zu stärken

Brüssel/Dresden/Frankfurt am Main, 26. Januar 2021. Europa unternimmt einen neuen Anlauf, seinen Rückstand in der Halbleiter-Wirtschaft aufzuholen: 19 EU-Staaten haben in einer gemeinsamen Erklärung vereinbart, dafür bis 2023 rund 145 Milliarden Euro zu mobilisieren. Ein Großteil des Geldes soll aus den Corona-Konjunkturprogrammen der EU und der Mitgliedsstaaten, aber auch aus privaten Geldern speisen. Damit wollen die Unterzeichner die europäische Mikroelektronik entlang der gesamten Wertschöpfungskette vom Chipdesign bis hin zu den digitalen Endprodukten ausbauen. Auch ein weiteres Flaggschiffprojekt von „gemeinsamem europäischen Interesse“ (IPCEI), ähnlich der Bosch-Fabrik in Dresden, wollen die Partner damit möglich machen. Im Zentrum könnte dabei der Versuch stehen, eigene Produktionskapazitäten für Prozessoren der Strukturgeneration „2 Nanometer“ aufzubauen.

Europäische Wirtschaft zunehmend abhängig von Import-Chips

„Europa ist zunehmend abhängig von Chips, die in anderen Regionen der Welt hergestellt werden“, warnen die Wirtschafts- und Forschungspolitiker der 19 beteiligten Staaten in ihrer „Joint declaration on processors and semiconductor technologies“. Europas Anteil am rund 440 Milliarden Euro umfassenden Halbleiter-Weltmarkt betrage nur zehn Prozent – und liege damit „weit unter seiner wirtschaftlichen Stellung“. Andere Quellen wie „IC Insights“ gehen sogar von einem nur sechs Prozent Marktanteil für die Europäer aus.

Der ID3 ist das erste aus einer ganzen Reihe geplanter reiner Elektroautos von VW. Der ID3 wird bereits in Zwickau produziert, ab Herbst 2020 steigt auch die VW-Manaufaktur Dresden in die Montage ein. Foto: Volkswagen AG

Elektroautos wie der ID3 sind nich stärker als die meisten Verbrenner von Halbleitern und speziall auch Leistungselektronik abhängig. Foto: Volkswagen AG

Wettbewerbsfähigkeit ganzer Industriezweige hängt von eingebetteten Systemen ab

Andererseits aber stecke in nahezu jedem fortschrittlichen Technologieprodukt Halbleitertechnik, die zumeist importiert werden müsse. Ganze Industriezweige, die Europas Wohlstand wesentlich mitbestimmen, wären ohne eingebettete Sensoren, Computerchips und andere elektronische Bauelemente nicht wettbewerbsfähig, seien es nun Auto-, Medizintechnik- oder Maschinenbau.

Bundes-Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Foto: Heiko Weckbrodt

Bundes-Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Foto: Heiko Weckbrodt

Autoindustrie muss wegen Chipmangel Produktion drosseln, Minister schreibt Bittbrief nach Taiwan

Gerade während der Corona-Krise ist die hohe Abhängigkeit der deutschen und europäischen Wirtschaft von Halbleiter-Importen sehr deutlich geworden: Weil die großen Mikroelektronik-Foundries wie TSMC durch Aufträge aus dem Konsumgütersektor stark ausgelastet sind, andererseits aber auch Lieferbeziehungen pandemiebedingt gestört waren und China viele Ressourcen auf dem Markt aufsaugt, mussten inzwischen sogar deutsche Automobilfabriken ihre Produktion drosseln. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat deshalb kürzlich einen Bittbrief nach Taiwan geschickt, damit die deutschen Autofabriken stärker beliefert werden.

Früheres Aufholprogramm hat Marktanteil nicht verbessert

Dabei sind Europas die niedrigen Marktanteile und Abhängigkeiten in der Schlüsseltechnologie „Mikroelektronik“ altbekannt: Schon 2013 hatte die damalige EU-Kommissarin Neelie Kroes eine Aufholjagd angekündigt, um Europas Halbleiter- Weltmarktanteil auf 20 Prozent zu verdoppeln, wie es damals hieß. Davon ist Europa aber weiterhin weit entfernt.

In modernen Autos verbauen die Hersteller immer mehr Elektronik - und davon profitieren auch wichtige Chipproduzenten wie die Infineon-Fabriken in Dresden. Foto: Infineon

In modernen Autos verbauen die Hersteller immer mehr Elektronik – und davon profitieren auch wichtige Chipproduzenten wie die Infineon-Fabriken in Dresden. Foto: Infineon

VDE: Förderung war richtig, aber viel zu saghaft

„In einer nüchternen Bestandsaufnahme müssen wir uns leider eingestehen: Die in Europa beschrittenen Maßnahmen zur Förderung der Mikroelektronik waren richtig und notwendig, aber – gemessen an der Entwicklung in USA und Asien – leider viel zu zaghaft“, schätzte der „Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik“ (VDE) im Dezember 2020 in einem „Positionspapier zur Einschätzung der Zukunft der Halbleitertechnologie in Deutschland“ ein. Zwar habe Deutschland mit der Gründung der „Forschungsfabrik Mikroelektronik Deutschland“ (FMD), IPCEI-Projekten wie der Boschfabrik in Dresden und weiteren Förderinstrumenten die einheimische Halbleiterentwicklung gestärkt. Auch konnten Unternehmen in Sachsen, Schwaben und Bayern wie etwa Infineon, Globalfoundries, Bosch, Zeiss und Trumpf in einigen Halbleiter-Bereichen wie Autoelektronik, Leistungshalbleitern, Stromspar-Elektronik, eingebetteten Systemen und Nanolithografie-Komponenten technologisch führende Positionen auf- und ausbauen.

Die in Shanghai beheimatete SMIC gehört inzwischen zu den größten Chip-Foundries weltweit und ist auch technologisch nicht mehr weit vom Weltstand entfernt. Abb.: SMIC

Die in Shanghai beheimatete SMIC gehört inzwischen zu den größten Chip-Foundries weltweit und ist auch technologisch nicht mehr weit vom Weltstand entfernt. Abb.: SMIC

China ist derweil vom Nachzügler zum Taktgeber aufgestiegen

Doch „der Rest der Welt hat nicht einfach nur zugesehen, wie Deutschland und Europa ihre Technologien fördern, sondern hat großangelegte Masterpläne umgesetzt – und zwar oftmals mit vielfach höheren Mitteln als hierzulande“, schätzten die VDE-Autoren ein. „Es mag uns vielleicht nicht gefallen, aber China ist im Bereich der Netzwerkinfrastruktur längst kein Follower mehr, sondern Leader.“ Und: „Es kann uns auch nicht gefallen, dass in den letzten Jahren Europa in der Halbleiterfertigung im weltweiten Vergleich erneut um ein paar Prozentpunkte abgerutscht ist.“

Zitat aus dem VDE-Papier „Hidden Electronics II“:

„Der Grund für die Verlagerungen nach Asien sind heute weniger die Lohnkosten, als viel-mehr die dort vorhandenen Rahmenbedingungen mit einer großen Anzahl von sehr gut ausgebildeten Ingenieuren und sehr günstigen finanziellen Voraussetzungen bezüglich Operations- und Investitionskosten, dank einer in diesen Ländern langfristig angelegten industriepolitischen Förderung.“

Trump und Corona haben Vertrauen in sichere globale Arbeitsteilung erschüttert

Zudem hätten Corona wie auch die protektionistische Embargo-Politik von US-Präsident Donald Trump (Republikaner) gezeigt, wie fragil die Vernetzung der Weltwirtschaft eben doch sei: „Vor ein paar Jahren hätten wir noch steif und fest behauptet, dass Mikroelektronik von Herstellern auf der ganzen Welt bezogen werden kann, die jüngste Geschichte belehrt uns eines Besseren“, heißt es in dem Positionspapier. „Die USA sperren das Betriebssystem Android für Huawei, China verwendet die seltenen Erden, um wirtschaftspolitische Vorteile aufzubauen, um nur zwei Beispiele zu nennen.“

Trump als Blaupause

Daher fordern die VDE-Analysten unter anderem, große Elektronik-Staatsaufträge mit der Forderung zu verbinden, einen Teil dieser Chips auch in Deutschland zu produzieren – ähnlich wie Trump das auch von Apple, TSMC und anderen Hightech-Unternehmen gefordert hatte. Auch solle das Bundesforschungsministerium nicht mehr nur evolutionäre Drei-Jahres-Projekte fördern, sondern auch langfristige Entwicklungsvorhaben, die zu „disruptiven Innovationen“ führen können. Und: „Europa ist gut beraten, den Aufbau eigener moderner Mikroelektronikfertigungen viel stärker zu forcieren.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: EU-Kommission, VDE, Oiger-Archiv

Zum Weiterlesen:

Nur 6 % Marktanteil für Europas Mikroelektronik

Bosch baut IPCEI-Chipfabrik in Dresden

Junghans Kommentar: Europa lässt die Zügel schleifen

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt