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Studie: Deutsche Wirtschaft mobilisiert besonders gegen Rechtspopulismus

Daniel Kinderman ist Professor für Politologie an der University of Delaware in den USA. Foto: Heiko Weckbrodt

Daniel Kinderman ist Professor für Politologie an der University of Delaware in den USA. Foto: Heiko Weckbrodt

US-Politologe Kinderman sieht Mittelstand in Sachsen als Vorreiter

Smith Hall Newark/Dresden, 28. September 2020. In keinem anderen Land haben sich Unternehmer, Manager und Wirtschaftsverbände so deutlich gegen Rechtspopulismus positioniert und ausgesprochen wie in Deutschland. Und besonders früh geschah dies in Sachsen. Zu dieser Einschätzung ist der US-amerikanische Politologe Prof. Daniel Kinderman von der University of Delaware nach Studien in Europa gekommen und hat sie nun im Aufsatz „German Business Mobilization against Right-Wing Populism“. Ähnliche Zwischenergebnisse hatte er zuvor schon bei einem Vortrag in Dresden verfochten.

„Mischung aus Werten und materiellen Interessen“ in der Exportwirtschaft

Die Motive dafür sieht er unter anderem in einer „Mischung aus Werten und materiellen Interessen“ bei den deutschen Unternehmern. So sei die deutsche Wirtschaft sehr exportorientiert und habe viel zu verlieren, wenn sich rechtspopulistische Forderungen nach Abschottung und nationaler Fokussierung durchsetzen. Das gelte ganz besonders für kleine und mittlere Unternehmen: „Multinationale Unternehmen mit globalen Lieferketten sind sicherlich anfällig für Protektionismus und Deglobalisierung, aber sie sind in der Lage, die Produktion auf andere Gerichtsbarkeiten zu verlagern“, erklärt Kinderman. „Ein Unternehmen, das nur in Deutschland produziert, verfügt nicht über diese Fähigkeit.“ Zudem unterstütze gerade der exportorientierte Mittelstand in Deutschland in hohem Maße die EU und die liberale Demokratie, betont Kinderman. Erklärbar sei das starke Engagement auch aus der deutschen Vergangenheit heraus.

VDMA-Kampagnen und Vereinsgründung

Der US-Politologe nennt in diesem Zusammenhang besonders den „Wirtschaftsverband Industrieller Unternehmen Baden“, den „Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau“ (VDMA) und den Verein „Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen“. Gerade im Freistaat, der durch Pegida und die AfD besonders im Fokus der deutschen Rechtspopulismus-Debatte steht, hätten sich Unternehmer besonders rasch und vehement für ein „liberales, offenes und kosmopolitisches Sachsen“ positioniert, betont Kinderman.

„Größere Bedrohung für Sachsen als für Westdeutschland“

Entstanden war der Verein 2015/16 als Antwort vor allem auf die fremdenfeindlichen Pegida-Kundgebungen in Dresden. In Interviews mit dem US-Forscher verwiesen Unternehmer, die sich für „Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen“ engagierten, zum Beispiel auf ihre DDR-Sozialisierung auf Triebfeder oder äußerten die Befürchtung, dass solche Phänomene wie „Pegida“ die deutsche Demokratie ähnlich erodieren könnten wie seinerzeit die Straßenkämpfe der Weimarer Republik. Und anders als im Westen und Süden der Republik beschränkte sich dieses gemeinsame Engagement von Unternehmern gegen Rechtspopulismus auch nicht auf einzelne Kampagnen, sondern verstetigte sich. „Rechtspopulismus – nicht nur durch die AfD-Wahlergebnisse, sondern auch durch die Pegida-Märsche und die Angriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte – sind eine größere Bedrohung für Sachsen als für Westdeutschland“, interpretiert dies Kinderman.

Englische Wirtschaft war uneins über den Brexit

Im Vergleich dazu seien in anderen Industrieländern die Unternehmer und Wirtschaftsverbände eher selten gemeinsam gegen rechtspopulistische Forderungen aufgetreten. Ein Beispiel dafür sei die Uneinigkeit der britischen Unternehmerschaft mit Blick auf den Brexit. Zusammenhängen dürfte dies auch mit kulturell unterschiedlichen Traditionen sowie mit einer generellen Abneigung vieler Unternehmer, über ihre unmittelbare Lobby-Arbeit hinaus politische Positionen in der Öffentlichkeit zu verfechten.

Anlagenbauer starteten Kampagne #europeworks

Anders in der Bundesrepublik in jüngerer Vergangenheit: Vor allem in Reaktion auf eine EU-müde bis -feindliche Grundstimmung, die sich in Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden und teilweise eben auch in Deutschland breit machte, startete beispielsweise der VDMA ab 2017 eine Kampagne #europeworks, in dem sich der Maschinenbau-Verband für offene Grenzen aussprach und auf gemeinsame ethische Werte der Europäer verwies.

Internationaler Vergleich wäre wünschenswert

Die Untersuchung fußt unter anderem auf reichlich 40 Interviews, die Kinderman während einer Europa-Studienreise mit europäischen Wirtschaftsvertretern geführt hatte, sowie Publikationen von Wirtschaftsverbänden. Interessant wäre allerdings auch der systematische Vergleich mit den Wirtschafts-Eliten in anderen Ländern und Regionen in Europa und Amerika, in denen rechtskonservative und rechtspopulistische Bewegungen in jüngerer Vergangenheit erstarkt sind: etwa in Frankreich, Norditalien, in den Niederlanden, in Ungarn oder Brasilien. Dann wären vergleichende Aussagen, wie sie Kinderman bereits hier im Aufsatz getroffen hat, valider untermauert. „Ich arbeite daran“, informierte der Forscher inzwischen.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Daniel Kinderman (E-Mail an den Autor, Aufsatz), Oiger-Archiv

Wissenschaftliche Publikation:

Daniel Kinderman: „German Business Mobilization against Right-Wing Populism“, in: Politics & Society 2020, DOI: 10.1177/0032329220957153

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Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt