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US-Politologe: Unternehmer engagieren sich stärker gegen Populismus und für Freihandel

Daniel Kinderman ist Professor für Politologie an der University of Delaware in den USA. Foto: Heiko Weckbrodt

Daniel Kinderman ist Professor für Politologie an der University of Delaware in den USA. Foto: Heiko Weckbrodt

Kinderman: Vor allem kleine Exportfirmen engagieren sich zunehmend gegen Zerfall von EU, Trump, AfD & Co.

Dresden, 14. August 2019. Der Wahlsieg von Donald Trump in den USA, das Erstarken der AfD in Deutschland und von Pegida in Dresden, der Brexit und andere EU- und globalisierungsfeindliche Trends haben mehr und mehr deutsche Unternehmen dazu gebracht, sich politisch für offene Grenzen und gegen Populismus öffentlich einzusetzen. Das meint der US-Politologe Prof. Daniel Kinderman von der „University of Delaware“ nach Unternehmer-Befragungen und Untersuchungen von Wirtschaftsorganisationen in Deutschland.

„Es sind vor allem die kleinen exportorientierten Unternehmen, die sich seit etwa 2016 sehr stark engagieren, gerade auch hier in Sachsen.“ Das schätzte Kinderman am Dienstagabend bei einem Besuch in Dresden ein, wo er zum Auftakt der neuen Veranstaltungsreihe „Grüner Salon“ am Neumarkt erste Zwischenergebnisse seiner Studie über „Die Mobilisierung der Wirtschaft gegen den neuen Rechtspopulismus“ vorstellte.

„Unternehmer sind zur Überzeugung gekommen, dass sie sich nicht mehr auf Politiker verlassen können“

Normalerweise äußere sich der Mittelstand allenfalls zu wirtschaftspolitischen Fragen, vermeide aber sonst zu deutliche politische Positionierungen – auch, um keine Kunden zu verprellen. Doch dies habe sich geändert. „Die Unternehmer sind zu der Überzeugung gekommen, dass die Populisten die liberaldemokratische Grundordnung in der Welt bedrohen und dass sie sich in dieser Sache nicht mehr auf Politiker verlassen können.“

Konzerne haben ihre Lobbyisten als Sprachrohr

Zwar hätten große Konzerne schon immer Lobbyisten in Berlin, Brüssel und Washington als eigene politische Sprachrohre gehabt. Aber diese Möglichkeit haben kleinere Unternehmen nicht. Insofern habe deren politisches Engagement über Vereine und Verbände eine neue Qualität gewonnen.

Exportunternehmen haben am meisten zu verlieren

Ein Grund, aus der sonst im Mittelstand üblichen strikten politischen Neutralität herauszutreten, liege auf der Hand: Eine liberaldemokratische Grundordnung mit Freihandel und offenen Grenzen sei für die ausfuhrorientierte deutsche Wirtschaft vorteilhaft. Insofern hätten „gerade die kleinen Exportunternehmen am meisten zu verlieren“, wenn die EU auseinanderbreche, Handelskriege die Weltwirtschaft aus dem Gleichgewicht bringen oder Grenzen geschlossen werden, sagte der Professor.

In Sachsen formierten sich Teile der Wirtschaft beizeiten gegen Angriffe wider den Freihandel und die liberaldemokratische Grundordnung

Früher noch als im Süden und Westen des Landes formierte sich in Sachsen ein Wirtschaftsbündnis gegen Abschottung – womöglich auch, weil in Dresden mit Pegida beizeiten ein Reibungspunkt entstanden war und manche gesamtdeutsche Entwicklung vorweggenommen wurde: 2016 gründeten Unternehmer den Verein „Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen“, der sich recht deutlich für den Erhalt einer liberal-demokratischen Grundordnung einsetzt. Mittlerweile hat das Bündnis rund 70 Mitglieder, darunter übrigens Gewerkschaftler und – als jüngster Beitritt – auch Volkswagen. „Ich war überrascht, wie früh und wie nachdrücklich Unternehmer hier in Sachsen mitgemacht haben“, sagte der US-Politologe, der zuvor die gesellschaftlichen Aktivitäten amerikanischer Wirtschaftsverbände erforscht hatte.

Patriarchen gegen Populisten

Die Mitglieder in Sachsen seien unterschiedlich deutlich, berichtet Vereins-Sprecherin Sylvia Pfefferkorn: Manche agieren zurückhaltend gegenüber Belegschaft und Öffentlichkeit, andere schreiben ihr Bekenntnis „ganz groß an die Wand, wie moderne Patriarchen“.

Kommentar: Diese Vorgehensweise kann allerdings auch auf Kritik stoßen. Denn Arbeitnehmer befinden sich in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Unternehmer. Je deutlicher der seine politischen Positionen im Betrieb – soweit es sich nicht um ein Tendenzunternehmen handelt – vertritt, umso mehr ist die Gewissensfreiheit des Arbeitnehmers infrage gestellt.

Mitteldeutsche Industriebetriebe beschäftigen 1 Million Menschen im ländlichen Raum. Doch die Infrastruktur dort ist immer noch unterentwickelt, kritisiert der VDMA Ost. Foto: VDMA Ost

Foto: VDMA Ost

„Der VDMA fürchtete einen Zusammenbruch Europas“

Auch der „Verband des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus“ (VDMA), der mit rund 3000 Mitgliedsunternehmen einer der größten Industrieverbände weltweit ist, positionierte sich ab Ende 2016 gegen Populisten. „Der VDMA fürchtete einen Zusammenbruch Europas und hat für eine stärkere und für eine demokratischere EU geworben“, schätzt Kinderman ein. „Das ging bis hin zu der – für einen Wirtschaftsverband eher seltenen – Forderung, auch die Gewerkschaften in den Mitgliedsstaaten zu stärken.“ Ähnlich positionierte sich der 1000 Mitglieder zählende „Wirtschaftsverband Industrieller Unternehmen Baden“, der Ende 2016 Trump, die AfD und den Front National scharf kritisierte und in Anzeigenkampagnen für die europäische Idee und Freihandel warb. „Das war das erste Mal, dass sich dieser Verband derart politisch positioniert hat.“

In der nächste Rezession werden Karten neu gemischt

Lange hätten die deutschen Unternehmer die zentrifugalen Kräfte in Europa und weltweit als nebensächlich abgetan, weil die lange Konjunktur alle Probleme übertünchte. „Aber wenn in Deutschland die nächste Rezession kommt, werden auch hier die politischen Karten neu gemischt“, prophezeite Kinderman.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Prof. Daniel Kinderman, Welcomesaxony

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt