Exzellenz-Forscher vom „ct.qmat“ aus Dresden und Würzburg füllen als erste das neue „Schaufenster der Forschung“ in Striesen-
Dresden/Würzburg, 10. September 2020. Was haben ein verschollener italienischer Physiker, kuschelweiche Kringel und eiskalte Wismutnetze gemein? Sie haben alle etwas mit geheimnisumwobenen „topologischen“ Zuständen von Materie zu tun, von denen sich die Exzellenzforscher vom Forschungsverbund „ct.qmat – Komplexität und Topologie in Quantenmaterialien“ aus Dresden und Würzburg den Schlüssel zu superschnellen Rechnern, unschlagbaren Code-Knackern und supercoolen Schaltkreisen versprechen. Damit auch Normalsterbliche eine Ahnung davon bekommen, wie das funktioniert, aktivieren Professor Matthias Vojta von der TU Dresden und seine Mitstreiter am Freitag in den „Technischen Sammlungen Dresden“ ein experimentelles Portal.
Technische Sammlungen erweitern sich
Dabei handelt es sich um eine erste Auslage im neuen „Schaufenster der Forschung“ (Der Oiger berichtete), für das Museumsdirektor Roland Schwarz extra einen neuen Raum in den TSD hat herrichten lassen. Schwarz will damit den Dresdnern und den Besuchern der Stadt zeigen, an welchen herausragenden Forschungsprojekten die Uni und die außeruniversitären Forschungseinrichtungen arbeiten und wozu das alles gut ist.
Kringel wird zu Kaffeetasse – topologisch ändern sich dabei nichts
Das installierte Portal öffnet den Besuchern nun den Weg in eine Welt, in der höchst unnatürliche Teilchen einer versteckten Ordnung folgen und Licht wilde Haken schlägt . An sieben Mitmach-Exponaten können Neugierige an diesem Portal ausprobieren, was „Topologie“ eigentlich ist, wie dabei die atomare Welt und unsere Alltagswelt zusammenhängen: Die Besucher sollen beispielsweise ein flauschiges Kringel schön glatt und wirbelfrei kämmen – und dann das selbe mit einem Flauschball versuchen. Dies soll zeigen: Weil der Kringel sich durch ein Loch topologisch vom Ball unterscheidet, lassen sich seine Flauschhaare gleich ganz anderes ordnen.
An einem „topologischen Kaffeetisch“ gleich nebenan können die Hobby-Quantenmechaniker errätseln, in welche Geschirrstücke sich eine Brezel, ein Doppelkringel und ein Donut gedanklich transformieren lassen. Der Gedanke dabei: Die Form ändern sich, doch die topologische Struktur (ein Loch, zwei Löcher, drei Löcher und so weiter) nicht.
Video: Kleinsche Flasche (ct.qmat):
Ein besonders faszinierendes Exponat ist die „Kleinsche Flasche“: Ersonnen vom deutschen Mathematiker Felix Klein, veranschaulicht sie ein 3D-Objekt, das anders als eine Kugel kein „drinnen“ oder „draußen“ kennt. Ein Insekt, das über solch eine kuriose Flasche krabbelt, läuft also nicht Gefahr, im „Innern“ gefangen zu werden.
„Quantenmaterialien umgeben uns an vielen Stellen im Alltag“
Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen. „Vielen ist es gar nicht bewusst, aber Quantenmaterialien umgeben uns an vielen Stellen im Alltag“, betont „ct.qmat“-Sprecher Vojta: Denn laut einer gängigen Definition versteht man unter Quantenmaterialien all jene Stoffe, deren sichtbare, fühlbare und ausprobierbare Eigenschaften wesentlich durch Effekte der Quantenmechanik bestimmt werden. Eisen und andere Magnete zum Beispiel wirken so anziehend, weil ihre Elektronen alle den gleichen Quantendrall mögen. Und Quantenmateralien mit magnetischen Eigenschaften haben die antiken Chinesen eben auch schon vor über 2000 Jahren in den Farbpartikeln der Terrakotta-Armeen eingesetzt.
Jagd auf die Majorana-Teilchen
Aber es gibt auch weniger offensichtliche Ordnungsprinzipien in der Quantenwelt, die ganz verblüffende Materialeigenschaften hervorbringen: Manche dieser Quantenmaterialien leiten elektrische Energie fast verlustfrei wie etwa die erwähnten tiefgekühlten 2D-Netze aus Wismutatomen. Wieder andere erzeugen Störungen, die verblüffend den seltsamen Majorana-Teilchen ähneln, die bisher noch kein Experimentator in „freier Wildbahn“ nachweisen konnte. Bisher wurden diese Partikel, die Teilchen und Antiteilchen in einem sind, nur theoretisch vom italienischen Physiker Ettore Majorana vorausgesagt – kurz bevor er 1938 in Sizilien unter rätselhaften Umständen verschwand.
Quanten-Großcomputer mit „Majorana-Fermionen“ vorstellbar
Die nach dem verschollenen Italiener benannten „Majorana-Fermionen“ gelten mittlerweile als hoffnungsvolle Kandidaten, um in Zukunft auch große Quantencomputer bauen zu können, die über 1000 Qubits (Qubits sind die Quanten-Versionen von den Bit-Speichereinheiten in heutigen Digitalrechnern) beherrschen und nicht nur ein, zwei Handvoll Qubits. Hintergrund: Heutige Labormuster von Quantencomputern müssen einerseits aufwendig auf tiefe Temperaturen heruntergekühlt und abgeschirmt werden, um überhaupt arbeitsfähig zu sein. Anderseits steigt mit jedem zusätzlich eingebauten Qubit die Gefahr, dass sich die Qubits derart gegenseitig beeinflussen, dass das ganze System zusammenbricht. Mit topologischen Quantenmaterialien, die so agieren, als ob sie „Majorana-Fermionen“ enthalten würden, könnte man dagegen Qubits konstruieren, die auf verschiedene Stellen im 2D-Netz verteilt sind. Dies könnte das Risiko einer gegenseitigen Beeinflussung – und damit des Systemzusammenbruchs – drastisch verringern.
Uns treibt die Neugier an
Solche und andere „topologische“ Konstruktionsprinzipien versuchen die Dresdner und Würzburger Forscher in ihrem gemeinsamen Verbund „ct.qmat“ zu verstehen. Auf dieser Basis wollen sie dann am Computer ganz neuartige topologische Materialien designen und experimentell erproben. „Dabei treibt uns zwar zuallererst die Neugier an, weil wir die tieferen Zusammenhänge in der Natur verstehen wollen“, betont Professor Vojta. „Aber wir widmen uns auch der Frage, wozu diese Effekte in der Praxis nutzbar sind.“
Video vom Exponat "Frustrierte Magneten" (ct.qmat):
Kurzinfos:
- Was? Neue Wechselausstellung im „Schaufenster der Forschung“:
1.) „ct.qmat Quantenmaterialien – der Vorstoß in neue Dimensionen“ und
2.) „Barkhausen-Institut: Schnell und sicher im Internet der Dinge“ - Ort: Technische Sammlungen Dresden, Junghansstraße 1,
- Wann? ab 12. September 2020
- Partner: eine Gemeinschaftsausstellung des Exzellenzclusters „ct.qmat“, des Barkhausen-Instituts, des Leibniz-Instituts für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW) Dresden, der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, des Helmholtz-Zentrums Dresden Rossendorf, der Dresdner Max-Planck-Institute für Chemische Physik fester Stoffe (CPFS) und für Physik komplexer Systeme (PKS) sowie des Zentrums für angewandte Energieforschung. Begleitend öffnet am Freitag auch eine Schau auf der Cluster-Internetseite ctqmat.de
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: Interview Vojta, ct.qmat, TUD, Oiger-Archiv, TSD
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