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„Whispering Star“: Die Menschheit hat sich abgeschafft

Viel ist nicht geblieben von der aten Welt der Menschen und eigentlich kann man längst alles durch die Galaxis beamen - Roboterbotin ID 722 Yoko Suzuki (Megumi Kagurazaka, rechts) liefert dennoch die Pakete an die Alten aus. Abb.: REM

Viel ist nicht geblieben von der aten Welt der Menschen und eigentlich kann man längst alles durch die Galaxis beamen – Roboterbotin ID 722 Yoko Suzuki (Megumi Kagurazaka, rechts) liefert dennoch die Pakete an die Alten aus. Abb.: REM

Sion Sono reflektiert in Sci-Fi-Groteske Verlust und Erinnerung nach Fukushima

Die Hölle ist ein einsamer Ort. Über Jahrzehnte hinweg gleicht ein Tag dem anderen. Die Unterschiede sind kaum wahrnehmbar: Von Samstag bis Montag tropft der Wasserhahn. Am Dienstag werden die Geräusche der Motten, die gegen die Lampenabdeckung fliegen, unüberhörbar. Am Mittwoch tropft der Hahn wieder. Am Donnerstag wird klar, dass der Bordcomputer innen und außen verwechselt, das Innere der Lampe für das ganze Weltall hält. Freitag: eine der Motten stirbt… Solch infernalisches Einerlei kann nur ein Ort wie das Paket-Raumschiff der Roboterin ID 722 Yoko Suzuki (Megumi Kagurazaka) in der japanischen Science-Fiction-Groteske „The Whispering Star“ ausbrüten.

Für Roboterin Yoko Suzuki sind die Lebenden nur Schattenwesen. Abb.: REM

Für Roboterin Yoko Suzuki sind die Lebenden nur unverständliche Schattenwesen. Abb.: REM

Roboter-Postbotin für eine untergegangene Welt

Seit 14 Jahren schon kriecht die künstliche Intelligenz damit von Stern zu Stern, von einer zerstörten Welt zur nächsten – die Menschen haben sich fast restlos gegenseitig ausgerottet und gelten nun als gefährdete Spezies. ID 722 Yoko Suzuki liefert Pakete an die wenigen Überlebenden aus. Pakete mit banalen Artefakten einer untergegangenen Menschenzivilisation: Manche enthalten nur einen abgekauten Stift, ein altes Foto oder eine zerdrückte Zigarettenkippe. ID 722 versteht nicht wirklich, weshalb sich die Menschen erst gegenseitig ausgerottet haben und sich dann an solchem Müll ergötzen.

Werbevideo:
 

The Whispering Star (Trailer, deutsch untertitelt) from Rapid Eye Movies on Vimeo.

 

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Die ruinierten, entvölkerten Welten hier ähneln nicht zufällig den Bildern aus Tschernobyl, aus Tarkowskys „Stalker“ oder dem Endzeitspiel „Metro 2033“: Der japanische Regisseur Sion Sono hat das Konzept für „The Whispering Star“ zwar bereits in den 1990er entworfen, den Streifen aber erst nach der Fukushima-Katastrophe realisiert. „Neben einem großen Raumschiff-Set auf dem Toho Studiogelände dienten als Drehorte vor allem mehrere Städte in Fukushima, die bei dem Unglück 2011 zerstört worden sind“, berichtet der deutsche Verleih „Rapid Eye Movies“. „Der Film gibt zudem Bewohnern in Cameo-Auftritten Gelegenheit, um ihre Niedergeschlagenheit und schmerzhaften Erinnerungen auszudrücken.“ Und tatsächlich erinnert sich der Zuschauer gleich wieder an die Frage, warum so viele Japaner trotz radioaktiver Risiken bei Fukushima wohnen bleiben wollten: Selbst banal wirkende Kleinigkeiten können eben Heimat ausmachen.

Das Post-Raumschiff hat seinen ganz eigenen Selbstbastel-Charme. Abb.: REM

Das Post-Raumschiff hat seinen ganz eigenen Selbstbastel-Charme. Abb.: REM

Fazit: sparsam, aber faszinierend

Passend zur düsteren Grundstimmung hat Sion Sono seinen flüsternden Stern – abgesehen von wenigen Farbszenen auf einem Planeten – fast durchweg schwarzweiß und jeder Hinsicht reduziert inszeniert: Sparsamer Kameraeinsatz, zurückhaltendes Schauspiel, lange Einstellungen. So etwas kann in Langeweile abdriften, tut es aber paradoxerweise nicht: So trist Sion Sono unsere Zukunft hier auch malt, so faszinierend ist es doch, wie unter der Lupe eines kühlen Forscherauges zuzusehen, was bleibt, wenn alles dahin ist.

Autor: Heiko Weckbrodt

„The Whispering Star“, Japan 2015, Regie: Sion Sono, mit Megumi Kagurazaka, 101 Minuten, OmU, Deutscher Vertrieb: Rapid Eye Movies

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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