Ragnitz: So einem „Weiter so“ wird nie was mit dem Westniveau
Dresden, 28. Juni 2016. Die Wirtschaftsminister in den ostdeutschen Bundesländer müssen aufwachen und eine aktivere Politik betreiben, wenn sie jemals den Abstand zum Westen aufholen wollen. Darauf hat Prof. Joachim Ragnitz, der Dresdner Vize-Niederlassungschef des Wirtschaftsforschungsinstituts ifo, am Dienstag hingewiesen, als er die aktuelle Konjunkturprognose für Ostdeutschland und Sachsen vorgestellte.
Osten steht ab 2020 vor enormen Herausforderungen
„In allen ostdeutschen Ländern verhalten sich die Wirtschaftspolitiker seit einiger Zeit eher passiv“, kritisierte der Forscher. Dies gelte für das wachstumsarme ostdeutsche „Sorgenkind“ Sachsen-Anhalt ebenso wie für den Freistaat Sachsen, der sich so gerne als ostdeutscher „Musterknabe“ selbst lobe. Mit einem „Weiter so wie bisher“ werde aber kein Bundesland die „enormen Herausforderungen“ meistern können, die vor allem ab dem Jahr 2020 vor Ostdeutschland stehen, wenn der Solipakt ausläuft und die EU-Zuschüsse weiter schrumpfen.
Ifo-Rat: Weniger Finanz-Eigenanteil, mehr Innovation, mehr Unternehmer
Ragnitz’ Vorschläge: Wenn künftig Fördergeld gen Osten fließt, sollte fortan ein größerer Anteil davon als reiner Zuschuss ausgezahlt werden, so dass die Länder weniger Kofinanzierungs-Mittel aufbringen müssen. Zweitens regt der Ifo-Forscher ein Programm an, die Unternehmensnachfolge-Probleme im Osten zu entschärfen. Hintergrund: Viele Betriebe, die heute zum Rückgrat der ostdeutschen Industrie zählen, wurden kurz nach der Wende gegründet. Ein Großteil dieser Gründergeneration nähert sich jetzt aber dem Rentenalter – und viele dieser Unternehmer haben jetzt Schwierigkeiten, engagierte Nachfolger zu finden.
Drittens sollten die Förderschwerpunkte für Investitionen von Straßenbau und Infrastruktur umgelenkt werden auf Forschung, Entwicklung, Innovation und Vernetzung, damit die ohnehin recht kleinen ostdeutschen Betriebe wettbewerbsfähiger werden und wachsen können.
Osten hinkt Westen um 30 % hinterher
Gemessen an der Wirtschaftsleistung pro Einwohner klafft zwischen Deutschland Ost und West eine Lücke von rund 30 Prozentpunkten, bei nur geringen Unterschieden zwischen den einzelnen ostdeutschen Ländern. Etwa seit der Jahrtausendwende schrumpft der Abstand Ost-West nur noch im Tempo einer rheumatischen Schnecke. Und nur zur Erinnerung: Schon in den 1980ern sonnte sich die SED-Wirtschaftsführung in der (allerdings maßlos schöngerechneten) Behauptung, die Arbeitsproduktivität in der DDR erreiche 70 Prozent des BRD-Niveaus.
Prognose: Sachsens Wirtschaft wächst um 1,8 %
Auch für dieses oder das kommende Jahr ist in Ostdeutschland und speziell in Sachsen ein solides Wachstum zu erwarten, aber kein Turbo: Laut der aktuellen Sommerprognose von ifo Dresden legt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Sachsen um 1,8 Prozent, in Ostdeutschland um 1,7 Prozent und in Deutschland insgesamt um 1,8 Prozent. Für 2017 rechnen die ifo-Prognostiker mit 1,5 Prozent (Sachsen), 1,3 Prozent (Ostdeutschland) und 1,6 Prozent (Deutschland insgesamt) Wachstum.
Negativ wirken laut ifo vor allem der demografische Wandel und der inzwischen schon signifikante Fachkräftemangel, positiv die weiterhin recht günstigen Energieträgerpreise.
Indirekte Brexit-Wirkungen auf Sachsen auch kurzfristig möglich
Der Austritt von Großbritannien aus der EU („Brexit“) werde sich wahrscheinlich über Jahre hinschleppen, meint Professor Ragnitz. Daher seien die langfristigen Folgen für Sachsen noch schwer absehbar. Kurzfristig könnten aber die Entwertung des britischen Pfundes und eine mögliche Wirtschaftskrise im Königreich die sächsischen Exporte dorthin dämpfen. Immerhin sei Großbritannien für Sachsen das drittwichtigste Ausfuhrland. Zugleich warnte Ragnitz davor, die Brexit-Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft zu dramatisieren: „Wenn da einige 0,1 beziehungsweise 0,5 Prozent weniger BIP für Deutschland prognostizieren, dann ist das eine Schätzung, der wir uns derzeit keinesfalls anschließen können.“
Autor Heiko Weckbrodt
Ihre Unterstützung für Oiger.de!
Ohne hinreichende Finanzierung ist unabhängiger Journalismus nach professionellen Maßstäben nicht dauerhaft möglich. Bitte unterstützen Sie daher unsere Arbeit! Wenn Sie helfen wollen, Oiger.de aufrecht zu erhalten, senden Sie Ihren Beitrag mit dem Betreff „freiwilliges Honorar“ via Paypal an:
Vielen Dank!
1 Kommentare