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Mehrheit der Deutschen unterstützte Nazis aus Oppurtunismus

Juden werden während der sogenannten "Reichskristallnacht" gewzingen, mit dem gelben Stern zu marschieren. Die meisten Deutschen schauten aus Indifferenz bei diesem Terror weg. Foto: unbekannt, Wikipedia, gemeinfrei

Juden werden während der sogenannten „Reichskristallnacht“ gewzingen, mit dem gelben Stern zu marschieren. Die meisten Deutschen schauten aus Indifferenz bei diesem Terror weg. Foto: unbekannt, Wikipedia, gemeinfrei

Dresdner Geschichtsphilosoph: NS-Regime kalkulierte mit Unterstützung durch Indifferenz

Durch zuletzt durch Film, Fernsehen und Schulunterricht, die das Trommelfeuer nationalsozialistischer Propaganda und die Bilder „Heil“-schreiender Massen zeigen, ist die Vorstellung entstanden, das sogenannte „Dritte Reich“ sei ein zutiefst ideologisch-totalitärer Staat gewesen. Dieses Bild hatten die Nationalsozialisten schon selbst zu malen begonnen, suggerierten sie Bürgern wie Ausland doch das Image einer wundersam geeinten Volksgemeinschaft, die bis zum letzten Volksgenossen im Aufbruch begriffen sei. Tatsächlich aber waren „in der nationalsozialistischen Gesellschaft die vorherrschenden Verhaltensmuster Opportunismus und Indifferenz“, meint Dr. Wolfgang Bialas in seiner Fallstudie „Legitimation, Kooptation und Repression im NS-Regime“, die nun in einem Sammelband des Dresdner „Hannah-Instituts für Totalitarismusforschung“ (HAIT) erschienen ist.

„Umerziehung“ der Deutschen nach Krieg dadurch erleichtert

Wolfgang Bialas. Foto: V & R

Wolfgang Bialas. Foto: V & R

Die Mehrheit der Deutschen sei dem NS-Regime nicht aus Angst oder Überzeugung gefolgt, folgert Bialas aus seinen Untersuchungen, sondern weil sie sich davon persönliche Vorteile wie Aufwertung, bessere Arbeit und Wohnungen versprach und „in der Annahme der Rechtmäßigkeit und moralischen Unbedenklichkeit“ dessen, was die Regierung tut. Die Langlebigkeit solcher Grundeinstellungen sei auch ein Grund gewesen, warum es den Westalliierten wie auch den Sowjets nach dem Krieg so leicht gefallen sei, die Mehrheit der Bürger in jeweils „ihrem“ Deutschland von Kommunismus oder Demokratie westlicher Prägung zu überzeugen.

Vision radikaler Problemlösungen

Natürlich sei das NS-Regime im Kern eine Ideokratie gewesen, eine Staatsform also, die sich stark auf eine einzige Ideologie im Sinne „utopisch ausgreifenden Denkens“ beziehungsweise einer suggestiven Vision radikaler Problemlösungen gestützt habe, betont der Dresdner HAIT-Forscher Dr. Bialas. Auch habe aus dieser Ideologie Legitimation gezogen und damit echte Anhänger rekrutiert.

Nazis beriefen sich nicht nur auf NS-Ideologie

Ein wesentlicher Teil der Deutschen habe dieser Ideologie jedoch recht indifferent gegenüber gestanden – was die Nazis bis zu einem gewissen Grade tolerierten, ja sogar förderten, um sich nicht zu viele innere Feinde zu machen. Andererseits habe sich das Regime auf deformierte Versionen zum Beispiel traditioneller nationaler, christlicher und humanistischer Ideale gestützt, um auch Wankelmütige an sich zu binden, anderseits aber auch durch konzentrierten Terror gegen besonders Aufmüpfige abschreckende Beispiele für die „Indifferenten“ geschaffen. Von denen wiederum seien viele überzeugt gewesen, dass die Opfer dieses Terrors ihr Los selbst gewählt hätten, der Staat berechtigt sei, „Ordnung“ und Sicherheit“ auch radikal durchzusetzen.

Jüdische Wohnungen & Jobs: Das Zuckerbrot nahm fast jeder gern

Foto: V & R

Foto: V & R

Neben dieser Peitsche zeigte das Regime den Unentschlossenen auch das Zuckerbrot: Zum Beispiel Zuweisungen großzügiger Wohnungen, die der Terrorapparat jüdischen Familien weggenommen hatte. „Die nichtjüdischen Deutschen, die bereitwillig in ehemals jüdische Wohnungen zogen oder durch die Vertreibung und Entlassung jüdischer Kollegen frei gewordene Positionen besetzten, waren sich dieses Zusammenhangs in aller Regel bewusst“, argumentiert der 60-jährige Geschichtsphilosoph. „Solange sie selbst nicht an der Vertreibung der Juden beteiligt waren, konnten sie mit dem guten Gewissen agieren, eine ohne ihr Zutun entstandene Situation lediglich zu ihrem Vorteil zu nutzen.“ Dabei sei es diesen Mitläufern allzu leicht gemacht worden, sich dafür auch noch eine moralische Rechtfertigung zurecht zu legen: „Dabei konnten sie davon ausgehen, dass ihre Weigerung, persönlich Vorteil aus der Misere ihrer jüdischen Nachbarn oder Kollegen … nichts an deren Situation geändert hätte.“ Autor: Heiko Weckbrodt

Dr. Wolfgang Bialas: „Legitimation, Kooptation und Repression im NS-Regime“, in: „Ideokratien im Vergleich“ (Hg.: Uwe Backes/Steffen Kailitz), Verlag Vandenhoeck- & Ruprecht, Göttingen 2014, eBuch: 60 Euro, ISBN ISBN 978-3-647-36962-4
 

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