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„Erwartung“: Raff-Banker entfachen Zigeunerkrieg im neuen Adler-Olsen-Krimi

dtv-Video über die Arbeit von Adler-Olsen

Diebische Sekte jagt jungen Aussteiger

In seinem neuen „Dezernat Q“-Krimi „Erwartung“ nimmt Dänemarks Starautor Jussi Adler-Olsen die Dispute um Einwanderer und Bankenrettungspakete in seiner Heimat aufs Korn: Im Zentrum steht der junge Taschendieb Marco, der in einer sektenähnlichen Zigeunerbande (die man natürlich heute nicht mehr Zigeunerbande nennen darf) aufwächst, die unter Führung ihres brutalen Gurus Zola Kopenhagens Innenstadt-Passanten ausnimmt. Bis der Knabe eines Tages selbst von Zola bedroht wird und dabei erfährt, dass die Bande in Auftragsmorde verwickelt ist, die einst im Dunstkreis von Ministerien und Hochfinanz ausgelöst wurden – ein Fall für das Sonderdezernat Q für ungeklärte Altfälle unter dem brummigen Vizekommissar Carl Mørck.

Projektionsfläche für skandinavische Ängste

Wie von Adler-Olsen aus früheren Krimis wie „Verachtung“ oder „Das Washington-Dekret“ schon gewohnt, ist Mørcks Zickzack-Ermittlung nicht nur spannende Unterhaltung, sondern zugleich Projektionsleinwand für gesellschaftliche Debatten in Dänemark: Die Einwanderung auch krimineller Osteuropäer beispielsweise, die – wenn man etwa an die schwedischen Wallander-Krimis denkt – viele Skandinavier zu sorgen scheint und deren Folgen Adler-Olsen auch recht kritisch verarbeitet. Auf der anderen Seite die Verärgerung der ohnehin EU-skeptischen Dänen über steuerfinanzierte Banken-Rettungspakete, die nach Meinung vieler Bürger in die Taschen raffgieriger und verantwortungsloser Banker fließen.

Dänen funktionieren literarisch am Besten

Wie schon in seinen Frühwerken „Alphabet-Haus“ und „Washington-Dekret“ offenbart der Autor gewisse Schwächen, wenn er über Menschen schreibt, die er offensichtlich nur in der Außenwahrnehmung kennt, seien es nun Amerikaner, Deutsche oder eben Zigeuner. Das merkt man seinem Marco an, dessen Wettlauf mit seinen Verfolgern zwar sehr spannend erzählt wird, dessen innere Monologe aber oft etwas konstruiert und unauthentisch wirken. Umso stärker zeichnet Adler-Olsen die Menschen, die er wirklich kennt, die Dänen in seinen Büchern, die er von ihren skurrilen, ängstlichen, mürrischen oder heiter-unbesorgten Seiten zeichnet – wobei Antiheld Mørck in letzter Zeit leider etwas weichgespült wirkt.

Foto: dtv

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Fazit:

Trotz gewisser Schwächen hat Adler-Olsen wieder mal einen spannenden und komplexen Krimi vorgelegt, den bis zur letzten Seite zu fesseln vermag – wenngleich ich persönlich finde, dass der Autor die beklemmende und dichte Erzählweise seines ersten „Dezernat Q“-Thrillers „Erbarmen“ nicht mehr erreicht. Heiko Weckbrodt

Jussi Adler-Olsen: „Erwartung – Der Marco-Effekt“, Krimi, dtv-Verlag München 2013 (Original: 2012), 576 Seiten (gedruckte Ausgabe, aus dem Dänischen übersetzt von Hannes Thiess, eBuch-Ausgabe: 16 Euro, ISBN 978-3-423-28020-4
Leseprobe: hier
Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt
Kategorie: Bücherkiste

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Heiko Weckbrodt hat Geschichte studiert, arbeitet jetzt in Dresden als Wirtschafts- und Wissenschaftsjournalist und ist Chefredakteur und Admin des Nachrichtenportals Oiger. Er ist auch auf Facebook, Twitter und Google+ zu finden.

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