Konsortium setzt auf supraleitende Quanten-Schaltkreise, Sachsen kümmert sich um Kontrollelektronik
Jülich/Dresden, 2. September 2024. Auf dem Weg zu einem eigenen deutschen Quantencomputer aus supraleitenden Chips will das „Qsolid“-Konsortium demnächst im Forschungszentrum Jülich einen ersten Demonstrator mit zehn Quanten-Datenwerken (Qubits) in Betrieb nehmen. Die supraleitende Ansteuerelektronik in klassischer Halbleiter-Bauweise steuern unter anderem Globalfoundries und das Fraunhofer-Photonikinstitut „IPMS“ aus Dresden bei. Das haben das Forschungszentrum Jülich und das IPMS anlässlich der „Qsolid“-Halbzeit angekündigt.
Bis Ende 2026 soll Rechner auf 30 Qubits kommen
Der Quantenrechner soll bei Rechnerwolke für ausgewählte Teilnehmer aus der Ferne nutzbar sein. Dadurch können sie Versuche mit der neuen Hardware absolvieren, aber auch beginnen, Programme dafür zu schreiben und zu testen. Ende 2026 wollen die 27 Projektpartner aus Wirtschaft und Forschung dann einen größeren Quantencomputer mit 30 Qubits starten, der dann ebenfalls auf supraleitenden Quantenprozessoren „Made in Germany“ basiert.
„System mit vielversprechenden Leistungswerten“
„Die letzten zweieinhalb Jahre haben wir ein System mit vielversprechenden Leistungswerten auf den Weg gebracht“, schätzt Projektkoordinator Prof. Frank Wilhelm-Mauch vom federführenden „Forschungszentrum Jülich“ ein. „Während wir noch letzte Teilsysteme integrieren und aussteuern, arbeiten wir parallel bereits an der Erhöhung der Leistungsfähigkeit des Prototyps, der komplexe Rechenoperationen für Anwendungen in der Industrie und Wissenschaft bewältigen soll.“
3 Hauptwege zum Quantencomputer
Hintergrund: Quantencomputer verarbeiten in ihren Speicherzellen und Rechenwerken nicht nur binäre Zahlen wie heute übliche Digitalrechner, sondern „probieren“ in ihren „Qubits“ stets mehrere Lösungen auf einmal aus. Dadurch sind sie beim Kode-Knacken, bei Simulationen, Optimierungen und anderen ausgewählten Aufgaben – allerdings nicht bei allen – viel schneller als klassische Computer. Die dafür nötigen Zellen im quantenmechanischen Zustand konstruieren Ingenieure heute meist aus Fehlstellen in extrem tief gekühlten, supraleitenden Materialien, durch Fehlstellen in Diamant-Gitter oder durch Ionenfallen. All diese Ansätze haben Vor- und Nachteile. Ihnen gemeinsam sind aber vergleichsweise hohe Kosten und Fehleranfälligkeit sowie geringe Stückzahlen.
Neue Quanten-Prozessoren sollen Fehlerquote der Superrechner senken und eine Serienproduktion ermöglichen
Im Projekt „Quantum Computer in the Solid State“ (Qsolid) wollen die Projektartner nun supraleitende Quanten-Prozessoren und klassische Mikroelektronik so kombinieren, dass sich damit fehlerarme Quantencomputer in Großserien bauen lassen. Supraleitend bedeutet dabei, dass die Elektronik auf sehr tiefe Temperaturen gekühlt wird, so dass sie Strom plötzlich widerstandsfrei leitet.
Nur ein Teil der Elektronik arbeitet quantenmechanisch – dort auch der Rest muss extreme Kälte vertragen
Derartige Kälte vertragen die meisten heute handelsüblichen Chips aber nicht. Daher ist es einerseits eine Herausforderung, die quantenphysikalischen Rechenwerke auf engsten Raum, langzeitstabil und tiefgekühlt unterzubringen. Anderseits will das Qsolid-Konsortium so viel Anschlüsse, Steuer- und Auswerteelektronik wie möglich in klassische Chip-Technik auslagern, die durch sogenannte „Interposer“ eng mit dem Quantenprozessor verbunden ist und von daher auch sehr tiefe Temperaturen aushalten muss.
CNT, Assid und Globalfoundries aus Dresden beteiligt
Hier kommt insbesondere auch sächsische Expertise ins Spiel: Das IPMS-Centrum für nanoelektronische Technologien (CNT) aus Dresden sowie das auf 3D-Chipkontaktierungstechnik spezialisierte „Assid“-Zentrum aus Boxdorf bei Dresden kümmern sich um die Verzahnung der Quantenprozessoren mit der klassischen Kontrolllogik, um die Kontakte und Interposer-Verbindungen. Die Produktion dieser Steuer-Schaltkreise soll dann die Globalfoundries-Fabrik in Dresden übernehmen. Damit hat das Unternehmen bereits aus anderen Quantentech-Aufträgen Erfahrung. Auch Racyics aus Dresden beteiligt sich am Projekt.
Erste Tests unter Chipfabrik-Bedingungen erfolgversprechend
„Eine erste Generation Interposer wurde hergestellt und bei kryogenen Bedingungen erfolgreich getestet“, berichtet Marcus Wislicenus, der im IPMS die Gruppe für Quantentechnologien leitet. „Dies umfasst auch den Nachweis der supraleitenden Eigenschaften der verwendeten Materialien wie etwa der Indium-basierten Bumps. Außerdem waren die Tests für die kryogene Charakterisierung der CMOS*-Chips von Globalfoundries erfolgreich.“
76 Millionen vom Bund, 27 Partner sind im Boot
Angesichts der besonderen Bedeutung der Quantencomputer als Schlüsseltechnologie schießt das Bundesforschungsministerium 76,3 Millionen Euro zum Vorgaben bei. Projektpartner von Qsolid sind folgenden Institute und Unternehmen:
- Admos GmbH Advanced Modeling Solutions
- MKS Atotech
- Cis Forschungsinstitut für Mikrosensorik GmbH
- s+c / Eviden
- Fraunhofer Institute for Reliability and Microintegration (FhG IZM-ASSID)
- Freie Universität Berlin
- Globalfoundries
- Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU)
- HQS Quantum Simulations GmbH
- Fraunhofer Institute for Photonic Microsystems (FhG IPMS)
- IQM Germany GmbH
- Forschungszentrum Jülich (multiple institutes)
- Karlsruher Institut für Technologie
- Leibniz Institute of Photonic Technology
- LPKF Laser & Electronics AG
- Parity Quantum Computing Germany GmbH
- Partec AG
- Physikalisch-Technische Bundesanstalt
- Qruise
- Racyics GmbH
- Rosenberger Hochfrequenztechnik GmbH & Co. KG
- Supracon AG
- Universität Konstanz
- Universität Stuttgart
- Universität Ulm
- Universität Köln
- Zurich Instruments Germany
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: IPMS, FZ Jülich, Qsolid, Wikipedia, Oiger-Archiv
* CMOS = „Complementary metal-oxide-semiconductor“, die meistverwendete Bauweise für heutige Mikroelektronik
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