Dresdner Studie: Fisch kann mit regenerierter Netzhaut genauso gut sehen wie mit der alten
Dresden, 27. August 2024. Regenerations-Forscher der TU Dresden hoffen, irgendwann Blinden alte Zebrafisch-Superkräfte beizubringen, so dass sie wieder sehen können. Denn früher, davon sind die Wissenschaftler überzeugt, war auch der Mensch wie der heutige Zebrafisch imstande, zerstörte Photorezeptoren im Auge wieder nachwachsen zu lassen – hat es nur leider im Laufe seiner Evolution verlernt.
In Experimenten mit selbstkonstruierten Spezial-Mikroskopen konnte das Team um Prof. Michael Brand vom „Zentrum für Regenerative Therapien Dresden“ (CRTD) nun nachweisen, dass die nachwachsenden Sehzellen des Wunderfischs Lichtimpulse genauso gut und schnell in elektrische Signale umwandeln wie die alten. „Da die regenerierten Photorezeptoren alle Funktionen wieder herstellen konnten … haben wir auf molekularer Ebene bestätigt, dass die Fische wieder vollständig ‚sehen‘ können“, betonte Professor Brand.
Wissenschaftler: Mensch hat Augen-Selbstreparatur womöglich nur verlernt
Die Hoffnung dahinter ist, blinden Menschen mit Makula-Degeneration oder nach Netzhaut-Verletzungen entweder Regenerationszellen einzupflanzen, um sie wieder sehend zu machen, oder den schlummernden Selbstreparatur-Mechanismus wieder einzuschalten. „Menschen und Fische haben gemeinsame evolutionäre Wurzeln, und der größte Teil der Gene und Zelltypen ist immer noch konserviert zwischen Fisch und Mensch“, argumentiert Michael Brand. „Daher hoffen wir, dass es uns gelingt, diesen ‚Regenerationstrick‘ vom Zebrafisch auf den Menschen zu übertragen. Unsere Forschung ist Grundlagenforschung, und bis zur klinischen Anwendung ist es noch ein langer Weg. Doch die Möglichkeit, aus körpereigenen Stammzellen eine funktionierende Netzhaut nachwachsen zu lassen, könnte die Behandlung von Augenkrankheiten wie Retinitis pigmentosa oder Makuladegeneration revolutionieren.“
Fisch nutzt Vorrat an Müller-Glia-Zellen
Die Vorgeschichte: In vorangegangenen Studien hatten internationale Forschungsteams – darunter auch das Brand-Kollektiv – bereits experimentell nachgewiesen, dass Zebra-Fische geschädigte Netzhäute regenerieren und hinterher wieder sehen können. Dabei erzeugen sie aus einem Vorrat sogenannter Müller-Glia-Stammzellen neue Photorezeptoren in ihrer Netzhaut. „Auch beim Menschen gibt es ähnliche Müller-Glia-Zellen“, erklärt der Regenerations-Experte. „Diese haben im Laufe der Evolution allerdings ihre Fähigkeit zur Regeneration verloren. Vielleicht können wir diesen Prozess aber wieder ankurbeln. Es ist jedoch entscheidend festzustellen, ob die neu entstandenen Photorezeptor-Zellen wieder genauso effektiv funktionieren wie die ursprünglichen.“
Spezialmikroskop gemeinsam mit englischen Kollegen entwickelt
Daher wollten Dresdner Forscher nun herausfinden, welche sensorische und elektrische Qualität die nachgewachsenen Netzhäute auf Zell- und Molekülebene haben, ob die Zebrafische zum Beispiel die richtigen Farben sehen und wie schnell Lichtimpulse in elektrische Signale für das Gehirn umgewandelt werden. Möglich machte dies ein eigens dafür entworfenes Spezialmikroskop, das das Brand-Team gemeinsam mit Prof. Tom Baden von der englischen „University of Sussex“ und Lichtmikroskopie-Chefin Dr. Hella Hartmann vom „Center for Molecular and Cellular Bioengineering“ der TU Dresden konstruiert haben. Es kann die Vorgänge in den Nervenzellen sichtbar machen, ohne durch eigenes Licht die Untersuchungsergebnisse zu verfälschen.
„Gleiche Empfindlichkeit, Qualität und Geschwindigkeit wie ursprüngliche Photorezeptoren“
Die Befunde: Die nachgewachsenen Photorezeptoren des Zebrafisches reagieren auf Licht, übertragen das elektrische Signal an die Nachbarzellen und tun dies mit der gleichen Empfindlichkeit, Qualität und Geschwindigkeit wie ursprüngliche Photorezeptoren in einer intakten Netzhaut.
Einsatzbereite Therapie vorerst nicht in Sicht
Dahinter steht natürlich die Hoffnung, aus solchen und weiteren Forschungsergebnissen letztlich eine „Selbstreparatur“-Therapie für kranke oder verletzten menschliche Augen zu entwickeln. In Sicht ist solch ein Durchbruch allerdings vorerst nicht. Auch von daher sind die Tierversuche von Dresdner Instituten, die auf eine neue Stufe der Regenerations-Medizin zielen, bei Tierschützern umstritten. Tenor: Die Forscher experimentieren schon seit Dekaden an Axolotls, Zebrafischen und anderen regenerationsfähigen Tieren, ohne dass eine Übertragbarkeit der Befunde auf den Menschen näher gerückt sei. Die Wissenschaftler wiederum verwiesen in der Vergangenheit wiederholt darauf, dass sie bei ihren Experimenten ethische Standards einhalten, Grundlagenforschung eben Zeit brauche – und die daraus erwachsenden medizinischen Chancen immens seien.
Autor: hw
Quellen: TUD, Oiger-Archiv
Wissenschaftliche Publikation:
„Restoration of cone-circuit functionality in the regenerating adult zebrafish retina“ von Evelyn Abraham, Hella Hartmann, Takeshi Yoshimatsu, Tom Baden und Michael Brand, in: „Developmental Cell“, August 2024, Fundstelle im Netz: https://authors.elsevier.com/sd/article/S1534-5807(24)00440-4
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