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„Chungking Express“: Ananas, Koks und Polizei im verflossenen Hongkong

Polizist 663 (Tony Leung Chiu-wai) trauert um seine Stewardess, joggt bis zur Austrocknung und bemerkt noch nicht mal, wie ihn die Imbiss-Kellnerin Faye (Faye Wong) anhimmelt. Szenenfoto aus "Chungking Express": Plaion

Polizist 663 (Tony Leung Chiu-wai) trauert um seine Stewardess, joggt bis zur Austrocknung und bemerkt noch nicht mal, wie ihn die Imbiss-Kellnerin Faye (Faye Wong) anhimmelt. Szenenfoto aus „Chungking Express“: Plaion

Meisterhafter Episodenfilm von Starregisseur Wong Kar Wai neu aufgelegt

Der deutsche Vertrieb „Plaion“, der bis vor kurzem noch Koch hieß, hat nun einen faszinierenden Episodenfilm von Hongkongs Star-Regisseur Wong Kar Wai neu aufgelegt: „Chungking Express“ entstand bereits 1994, als Hongkong noch britische Kronkolonie war, und erzählt in berauschenden Bildern und Tönen vom Nacht- und Liebesleben in der damals noch freien Großstadt. Der nun fürs deutsche Heimkino editierte Streifen ist für Cineasten ein klares Muss.

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Story um Liebeskummer, Einsamkeit und Großstadt-Träume

„Chungking Express“ ist als Episodenfilm aufgebaut, dessen Handlungsstränge aber nur punktuell verwoben sind. Im Zentrum stehen zwei Polizisten, von denen wir nur die Dienstnummern, nicht aber die Namen erfahren. Sie haben Liebeskummer und bewältigen dies mit recht schrägen Methoden. Polizist Nr. 223 schenkt seiner Freundin tagtäglich Ananas-Dosen mit seinem Geburtstag als Verfallsdatum – in der Hoffnung, dass sie bis dahin zu ihm zurückkehrt. Als dieser Plan scheitert, ist er all diesen Ananas an einem einzigen Abend selbst und baggert dann – unbekannterweise – eine Schneekönigin an, die gerade eine ganze Ladung Koks an eine indische Familien verloren hat. Derweil folgt Polizist 663 folgt dem Rat eines Imbissbesitzers und bringt seiner Freundin eines Tages Fish & Chips statt des üblichen Chefsalats nach Hause. Das weckt in ihr die Idee, auch mal einen neuen Mann auszuprobieren. Während Nummer 663 immer noch seiner Stewardess nachtrauert und bis zum Exzess joggt, um nicht weinen zu müssen, verliebt sich die verträumte Kellnerin (Faye Wong), die an eben diesem Imbissstand arbeitet, in den unglücklichen Polizisten. Sie ergattert dessen Zweit-Schlüssel und erkundet fortan jeden Tag heimlich die Wohnung des Angebeteten, während der Streife läuft…

Polizist 223 (Takeshi Kaneshiro) baggert in einer Bar eine namenlose Blondine (Brigitte Lin) an, ohne zu wissen, dass er da eine Drogenhändlerin an der Angel hat. Szenenfoto aus "Chungking Express": Plaion

Polizist 223 (Takeshi Kaneshiro) baggert in einer Bar eine namenlose Blondine (Brigitte Lin) an, ohne zu wissen, dass er da eine Drogenhändlerin an der Angel hat. Szenenfoto aus „Chungking Express“: Plaion

Sog aus Farben, Musik und Tempiwechseln

Schon die Eingangssequenz mit ihren reduzierten Farbnuancen deutet an, dass wir uns hier auf eine gleichermaßen melancholische wie psychedelisch-grelle Reise durch eine Stadt voller einsamer Menschen machen, die einen ganz eigenen Puls hat. Die es Liebenden manchmal schwer macht, zueinander zu finden, und doch alle Bewohner auf engstem Raum zusammenpresst. All dies inszeniert Wong Kar Wai als einen einzigen Sog aus toller Musik, ständigen Tempi-Wechseln im Geschehen in harten Kontrasten aus Licht und Schatten, unterstützt durch Christopher Doyles dynamische Kameraführung. Beide haben damit einer ganz einzigartigen Stadt ein Denkmal gesetzt, die es heute so nicht mehr gibt.

Bonus: Geschnittene Szenen und Tarantino-Kommentar

Als Extra zum Filmklassiker hat Plaion den Silberscheiben einige Boni beigefügt. Dazu gehören entfallene Szenen, die ursprünglich als dritter Handlungsstrang gedacht waren, außerdem Interviews mit Regisseur Wong Kar Wai und seinem Kameramann Christopher Doyle. Ein besonderes Schmankerl sind ein Pro- und Epilog von Quentin Tarantino („Django Unchained„), der hier nicht als Regisseur, sondern als Cineast über diesen starken Film seines Hongkonger Kollegen und dessen Hintergründe plaudert. Und wenn man diesen gelegentlich regelrecht magischen Episodenfilm einmal angesehen hat, kann man Tarantino nur zustimmen, wenn der in Anspielung auf die katzengleichen Tänze von Faye Wong am Imbissstand sagt, er könne seitdem „California Dreamin“ von „The Mamas and the Papas“ nicht mehr hören, ohne sofort Faye Wong – die damals in Hongkong ein aufstrebender Popstar war – tanzen zu sehen: „Sie ist die Beste.“

Bluray-Hülle der Neuauflage von "Chungking Express". Abb.: Plaion

Bluray-Hülle der Neuauflage von „Chungking Express“. Abb.: Plaion

Kurzüberblick:

  • Titel: „Chungking Express“
  • Genre: Episoden-, Liebes- und Gangsterfilm
  • Entstehungsland und -jahr: Hongkong 1994
  • Regie: Wong Kar Wai
  • Kamera: Christopher Doyle
  • Schauspieler: Faye Wong, Takeshi Kaneshiro, Tony Leung, Brigitte Lin
  • Deutscher Vertrieb: Plaion alias Koch-Film
  • Altersfreigabe: FSK 12
  • Länge: 103 Minuten
  • Sprachen: Deutsch, Kantonesisch
  • Untertitel: Deutsch
  • Bonis: Geschnittene Szenen, Erläuterungen von Quentin Tarantino, Interview mit Regisseur und Kameramann
  • Preis: digital leihen: 5 €, digital kaufen: 10 €, 4K-Bluray: 34 €

Autor der Rezension: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt